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Tümpeln vorbei und stieß
uufPrielc, die er nicht melir
durchwaten konnte. Da
blieb er noch einmal stehen,
dachte an das Mädchen,
das vergeblich warten
würde »ach drei Tage»,
sah sich selbst ersticken in
der steigenden Flut, und
schrie auf wie ein Tier in
unsäglicher Verzweiflung.

Ein Fremder stand ir-
gendwo im Nebel, grau
und verschwommen, Nieß
Brokers brüllte zu ihm
hinüber, rannte auf ihn zu
und versuchte, ihn anzu-
rufen, Aber der wich wie
ein Spuk, schien sich im
Nebel zu wiegen, und liest
sich nicht erreichen. Der
Bauer blieb atemlos ste-
hen, sah mit stieren Augen
hinüber und begriff nicht,
warum der andere nicht
auf ihn wartete. — Er
schrie noch einmal hinüber,
schwamm durch den Priel,
flehte ihn an in seiner Not,
und konnte es doch nicht
glauben,daß es ein Mensch
sei, der ihn narrte. Bis
ihm noch einmal einfiel,
was Elsbe Steen zuletzt
gesprochen hatte. Da war
ihm plötzlich, als hätte sie
gewußt, was kommen
würde, als wäre sie aus-
gezogen, um ihm zu helfen.
Oder als wäre es ihrWille,
der ihm folgte und ihm die
Heimkehr weifen wollte.

Nicß Broders überkam
eine seltsame Zufriedenheit
mitten in seiner Frrsal. Er
begann an Elsbe Steen zu
glauben wie ein Kind an
eine wunderliche Macht,
die es in jedem Rätsel, in
jeder unverständlichen Be-
wegung sicht. Wie unter
einem Zwangfolgteerdcm
Schatten und es dünkte
ihni etwas Lebendes, das
an den Sandrändern ent-
lang lief, sorgfältig vor den
Schlickmulden auswich,
und wie ein Mensch vor
ihm hcrstapfte. wenn er
durch das weiche Watt
gehen mußte. Eine sonder-
bare Scheu und ein Ver-
trauen erfüllten ihn. Ein-
mal war es, als sehe er
deutlich, daß cs Elsbes
Steen sei, die vor ihm
herlief. Er wollte zornig
sein und glaubte, daß sie
sich über ihn lustig machte.
Dann schien der Spuk zu
schwinden,kam wieder und
führte ihn,wohl eine Stun-
de lang Die Flut kreiste
über die Watten, rieselte
durch die Mulden,^, in
denen der Sand wie er-
starrte kleine Wellen stand,
spielte um seine Knöchel
und trug schmale Gischt-
streifen wie graues Ge-
äder. Zuweilen verlor er
den Fremden, aber Nieß
Broders wartete in fel-
senfestem Vertrauen, rief
durch den Nebel nach
seinem Mädchen, und
folgte wieder, als der

Hermann Urban (München)

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Sommerpracht
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Hermann Urban: Sommerpracht
 
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