Karl Schiedermair (München)
Der Herr Pate
.kvoaßh a goldene Uhr Hab > Vir net 'kauft ... am Enö' hätt'st s' aa
öer Entente abliefern muffen."
Russlftbe Geschichten
Von Rolf Brandt
Geben Sie mir Feuer....
Draußen fielen irgendwo noch immer Schüsse.
Wir saßen im Artisten-Club. Eine sehr schöne
Frau sang ein Zigeun.rlied:
„O jiwo, jiwo, jiwo!
Padei butelka piwo . .
Der Komiker trank Anis-Branntwein. „Sie wollen
mit den Tawarischtschi auf der Straße sprechen?
Es ist gar nicht schwer, es kostet eine Zigarette,
die noch dazu Sie rauchen werden. Sie nehmen
die Zigarette in den Mund, gehen zu solch einen,
Schwarzmeer-Malrosen oder Roten Gardisten, der
gerade raucht, heran. Ruhig, ohne besondere
Freundlichkeit. Sie sagen: Geben Sie mir bitte
Feuer! Er gibt Ihnen das Feuer, verlassen Sie
sich darauf, es ist ausgeprobt. Ja, und während
Sie mit Ihrer Zigarette das Feuer aufsaugen,
sagen Sie so aus den, Mundwinkel: Brüderchen,
was ist eigentlich los? Er wird antworten, ganz
sicher antworten, das Gespräch ist da, zwangs-
läufig. Unterfangen des Bewußtseins nennen das
die Psychologen. Der Mann denkt an tausend
Fülle, da er Feuer gab und nahnr vor der Re-
volution. Er sieht keinen Bourgeois in Ihnen,
sondern den Mann, der Feuer haben will, den
Raucher, den Genossen im Tabak schlechthin. Das
Experiment gelingt immer."
Der Tenor grinste.
„Ach ja! Es ist lächerlich, Davidewilsch! Sie
haben Prügel bekommen dabei. Natürlich. Wissen
Sie, was er gesagt hat? Geben Sie mir bitte
Feuer, mein Herr! Man hat ihn halb tot ge-
schlagen. Nennt man das Unterfangen des Be-
wußtseins, wenn man zu einem Tawarischtschi
„mein Herr" sagt? Mein Herr! Ich bitte Sie!
Es ist eine Herausforderung, eine Gegenrevolution!
Rußland geht an seinen Tenörrn zu Grunde..."
Die schöne Frau sang:
„O jiwo, jiwo, jiwo!
Padei butelka piwo . . .“
Draußen fielen irgendwo Schüsse. Der Tenor
bestellte eine Flasche Benedietines für 800 Rubel.
*
Lackstiefel
Der kleine Leutnant hatte nichts Besonderes
an sich; er leistete sich auch keine besondere Leiden-
schaft, spielte mit den Kameraden, trank den
Monopol-Branntwein, war am Geburtstag des
Zaren und zu den üblichen Festen betrunken, fuhr
nach Warschau mit den Kameraden, die Mädchen
zu sehen. Immerhin, eine kleine Liebhaberei hatte
der Leutnant, er schützte gutes Schuhwerk bei den
Frauen und bei sich. Er trug die elegantesten
Stiefel des Linienregimentes, selbst die Tänzerin-
nen in Warschau ließen die hohen engen Lack-
schäfte und die schmale spiegelblanke Form, die
den Fuß umhüllte, gelten.
Der kleine Leutnant ging in den Krieg, trug
die gutgenähten Iuchtenstiefel, und hatte kaum
viel Gelegenheit, die Mühe belohnt zu sehen, auch
noch seine Lackstiefeln mit sich schleppen zu lassen.
Er marschierte auf den Landstraßen, lag im Graben,
bekam das Georgskreuz. Er focht in Litauen, in
Polen, in der Dobrudscha und floh eines Tages,
als man den Major und den Hauptmann erschossen
hatte, nach der Krim, weil ein paar Kameraden
auch dorthin gingen.
Die Ma'rösen kamen nach Jalta. Man saß
gerade im Strand-Casino und die Damenkapelle
spielte: „It is a long way to Tipperary,“ da
kamen die Matrosen in die Bar. „Wißt Ihr
Schweinehunde nicht, daß es verboten ist, Alkohol
zil trinken?" sagten sie. Der polnische Graf Tisch-
nowski, der nach seinem Revolver griff, wurde
gleich mit dem Kolben niedergeschlagen. Die An-
deren führte man hinaus.
„Man braucht so wenigstens nicht zu bezahlen,'
sagte der georginische Prinz, dessen Pater halb
Tiflis verspielt hatte. „Halt Dein Maul! Du be-
zahlst schon!" schrie ihn ein Matrone an und gab
ihm einen Kolbenstoß, daß er taumelte. „Dabei
habe ich fast nichts getrunken," entschuldigte der
Prinz sein Torkeln. „Du bist eine spaßhafte Bestie,"
sagte anerkennend der lettische Matrose, der die
Rotte führte. Dann gab er ein paar Befehle. Die
Matrosen lachten und sammelten Kieselsteine in
der Anlage auf. „In die Stiefel, füllt! kom-
mandierte der Lette.
Man wollte auch dem kleinen Leutnant die
hohen Lacksliefel mit Steinen füllen. Sachgemäß
versuchte man die Steinchen in die engen Schäfte
zu pressen. „Verdammt unpraktische Stiesel!" sagte
öer Matrose, der den kleinen Leutnant bediente.
„Ich kann sie ausziehen," meinte bescheiden der
Leutnant. „Idiot!" sagte der Matrose und quälte
sich weiter. „In meinem Leben habe ich so enge
£t;efel noch nicht gesehen!" stöhnte der Matrose.
„Das glaube ich", sagte der kleine Leutnant stolz.
„Sie sind von Dimiroff, der arbeitet sonst nur
für Großfürsten." „Schweig, Kanaille von Deinen
Großfürsten!" schrie der Matrose erbost und verlor
die Ruhe, was der Arbeit nicht nützte.
Inzwischen hatte man die anderen sehon auf
den Landungssteg geschleppt und stieß sie einzeln
in das Meer. Man hörte die Stimme des Fürsten,
der dem Letten erklärte: „Einen hübscheren Scherz
hättest Du schon erfinden können. Aber ihr habt
ja alle keinen Witz, Eure Revolution wird an
Eurer Witzlosigkeit zu Grunde gehen . . . ." Da
traf ihn der Kolbenstoß.
Der Matrose bei dem kleinen Leutnant schwitzte.
„Verfluchter Bourgeois!" stöhnte er, indem er ver-
geblich ein zweites Steinchen zwischen Reithose
und Stiefelschaft hineinzuzwängen suchte.
„Was ist das für eine Schweinerei?" fragte
der Lette, der eben den letzten Offizier von der
Brücke hinabstieß. Er sank mit dem Wort zu-
sammen und schlug rückwärts in das Wasser.
Ein paar Kugeln pfiffen durch den Kurpark und
über die Brücke.
Der Matrose stand gebückt an den Stiefeln
des kleinen Leutnants, als ihm ein riesiger Tar-
tare das Messer in den Rücken stieß. Ueberall
sangen jetzt die Schüsse der tartarischen Frei-
scharen. Es begann der Tartaren-Aufstand, der
dann so blutig von den Bolscheiviki niederge-
schlagen wurde.
Der kleine Leutnant nahm das Gewehr des
Matrosen, griff nach dem Patronengurt, sah lächelnd
an seinen spiegelblanken Lackstiefeln herunter und
schoß mit den Tartaren in Richtung des Kurhauses.
Am Abend tanzte er mit der Freundin des
Grafen Tifchnowski, und er hatte es noch immer
nicht nötig gehabt, die Arbeit, die Stiefel auszu-
ziehen, auf sich zu nehmen.
580
Der Herr Pate
.kvoaßh a goldene Uhr Hab > Vir net 'kauft ... am Enö' hätt'st s' aa
öer Entente abliefern muffen."
Russlftbe Geschichten
Von Rolf Brandt
Geben Sie mir Feuer....
Draußen fielen irgendwo noch immer Schüsse.
Wir saßen im Artisten-Club. Eine sehr schöne
Frau sang ein Zigeun.rlied:
„O jiwo, jiwo, jiwo!
Padei butelka piwo . .
Der Komiker trank Anis-Branntwein. „Sie wollen
mit den Tawarischtschi auf der Straße sprechen?
Es ist gar nicht schwer, es kostet eine Zigarette,
die noch dazu Sie rauchen werden. Sie nehmen
die Zigarette in den Mund, gehen zu solch einen,
Schwarzmeer-Malrosen oder Roten Gardisten, der
gerade raucht, heran. Ruhig, ohne besondere
Freundlichkeit. Sie sagen: Geben Sie mir bitte
Feuer! Er gibt Ihnen das Feuer, verlassen Sie
sich darauf, es ist ausgeprobt. Ja, und während
Sie mit Ihrer Zigarette das Feuer aufsaugen,
sagen Sie so aus den, Mundwinkel: Brüderchen,
was ist eigentlich los? Er wird antworten, ganz
sicher antworten, das Gespräch ist da, zwangs-
läufig. Unterfangen des Bewußtseins nennen das
die Psychologen. Der Mann denkt an tausend
Fülle, da er Feuer gab und nahnr vor der Re-
volution. Er sieht keinen Bourgeois in Ihnen,
sondern den Mann, der Feuer haben will, den
Raucher, den Genossen im Tabak schlechthin. Das
Experiment gelingt immer."
Der Tenor grinste.
„Ach ja! Es ist lächerlich, Davidewilsch! Sie
haben Prügel bekommen dabei. Natürlich. Wissen
Sie, was er gesagt hat? Geben Sie mir bitte
Feuer, mein Herr! Man hat ihn halb tot ge-
schlagen. Nennt man das Unterfangen des Be-
wußtseins, wenn man zu einem Tawarischtschi
„mein Herr" sagt? Mein Herr! Ich bitte Sie!
Es ist eine Herausforderung, eine Gegenrevolution!
Rußland geht an seinen Tenörrn zu Grunde..."
Die schöne Frau sang:
„O jiwo, jiwo, jiwo!
Padei butelka piwo . . .“
Draußen fielen irgendwo Schüsse. Der Tenor
bestellte eine Flasche Benedietines für 800 Rubel.
*
Lackstiefel
Der kleine Leutnant hatte nichts Besonderes
an sich; er leistete sich auch keine besondere Leiden-
schaft, spielte mit den Kameraden, trank den
Monopol-Branntwein, war am Geburtstag des
Zaren und zu den üblichen Festen betrunken, fuhr
nach Warschau mit den Kameraden, die Mädchen
zu sehen. Immerhin, eine kleine Liebhaberei hatte
der Leutnant, er schützte gutes Schuhwerk bei den
Frauen und bei sich. Er trug die elegantesten
Stiefel des Linienregimentes, selbst die Tänzerin-
nen in Warschau ließen die hohen engen Lack-
schäfte und die schmale spiegelblanke Form, die
den Fuß umhüllte, gelten.
Der kleine Leutnant ging in den Krieg, trug
die gutgenähten Iuchtenstiefel, und hatte kaum
viel Gelegenheit, die Mühe belohnt zu sehen, auch
noch seine Lackstiefeln mit sich schleppen zu lassen.
Er marschierte auf den Landstraßen, lag im Graben,
bekam das Georgskreuz. Er focht in Litauen, in
Polen, in der Dobrudscha und floh eines Tages,
als man den Major und den Hauptmann erschossen
hatte, nach der Krim, weil ein paar Kameraden
auch dorthin gingen.
Die Ma'rösen kamen nach Jalta. Man saß
gerade im Strand-Casino und die Damenkapelle
spielte: „It is a long way to Tipperary,“ da
kamen die Matrosen in die Bar. „Wißt Ihr
Schweinehunde nicht, daß es verboten ist, Alkohol
zil trinken?" sagten sie. Der polnische Graf Tisch-
nowski, der nach seinem Revolver griff, wurde
gleich mit dem Kolben niedergeschlagen. Die An-
deren führte man hinaus.
„Man braucht so wenigstens nicht zu bezahlen,'
sagte der georginische Prinz, dessen Pater halb
Tiflis verspielt hatte. „Halt Dein Maul! Du be-
zahlst schon!" schrie ihn ein Matrone an und gab
ihm einen Kolbenstoß, daß er taumelte. „Dabei
habe ich fast nichts getrunken," entschuldigte der
Prinz sein Torkeln. „Du bist eine spaßhafte Bestie,"
sagte anerkennend der lettische Matrose, der die
Rotte führte. Dann gab er ein paar Befehle. Die
Matrosen lachten und sammelten Kieselsteine in
der Anlage auf. „In die Stiefel, füllt! kom-
mandierte der Lette.
Man wollte auch dem kleinen Leutnant die
hohen Lacksliefel mit Steinen füllen. Sachgemäß
versuchte man die Steinchen in die engen Schäfte
zu pressen. „Verdammt unpraktische Stiesel!" sagte
öer Matrose, der den kleinen Leutnant bediente.
„Ich kann sie ausziehen," meinte bescheiden der
Leutnant. „Idiot!" sagte der Matrose und quälte
sich weiter. „In meinem Leben habe ich so enge
£t;efel noch nicht gesehen!" stöhnte der Matrose.
„Das glaube ich", sagte der kleine Leutnant stolz.
„Sie sind von Dimiroff, der arbeitet sonst nur
für Großfürsten." „Schweig, Kanaille von Deinen
Großfürsten!" schrie der Matrose erbost und verlor
die Ruhe, was der Arbeit nicht nützte.
Inzwischen hatte man die anderen sehon auf
den Landungssteg geschleppt und stieß sie einzeln
in das Meer. Man hörte die Stimme des Fürsten,
der dem Letten erklärte: „Einen hübscheren Scherz
hättest Du schon erfinden können. Aber ihr habt
ja alle keinen Witz, Eure Revolution wird an
Eurer Witzlosigkeit zu Grunde gehen . . . ." Da
traf ihn der Kolbenstoß.
Der Matrose bei dem kleinen Leutnant schwitzte.
„Verfluchter Bourgeois!" stöhnte er, indem er ver-
geblich ein zweites Steinchen zwischen Reithose
und Stiefelschaft hineinzuzwängen suchte.
„Was ist das für eine Schweinerei?" fragte
der Lette, der eben den letzten Offizier von der
Brücke hinabstieß. Er sank mit dem Wort zu-
sammen und schlug rückwärts in das Wasser.
Ein paar Kugeln pfiffen durch den Kurpark und
über die Brücke.
Der Matrose stand gebückt an den Stiefeln
des kleinen Leutnants, als ihm ein riesiger Tar-
tare das Messer in den Rücken stieß. Ueberall
sangen jetzt die Schüsse der tartarischen Frei-
scharen. Es begann der Tartaren-Aufstand, der
dann so blutig von den Bolscheiviki niederge-
schlagen wurde.
Der kleine Leutnant nahm das Gewehr des
Matrosen, griff nach dem Patronengurt, sah lächelnd
an seinen spiegelblanken Lackstiefeln herunter und
schoß mit den Tartaren in Richtung des Kurhauses.
Am Abend tanzte er mit der Freundin des
Grafen Tifchnowski, und er hatte es noch immer
nicht nötig gehabt, die Arbeit, die Stiefel auszu-
ziehen, auf sich zu nehmen.
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