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Paul Neumann (Berlin)

Der Doktor Nase

Skizze von Franz Lüd tke

Er war unser Klassenlehrer, als ich ln der
Sekunda saß, und eigentlich hieß er Doktor
Rennbach; er war aber nur als Doktor Nase
bekannt

Warum?

Es ist mir peinlich genug, davon zu sprechen,
in diesem Stückchen Lebenserinnerung muh es
jedoch sein.

Denn tatsächlich — unser teurer, heißver-
ehrter Lehrer bestand sozusagen fast nur aus
Nase. Es war ein Prachtstück, das er trug,
oder soll ich sagen: das ihn trug? Ja, ich
stehe nicht an zu behaupten: Dr. Rennbachs
Nase war ein wahrhaft königlicher Schnmck!
Man sah sie, wenn ihr Inhaber selbst noch
lange nicht zu entdecken war. Sie schob fid) vor
ihm her in Korridore und Klassen. Sie erteilte
bereits llntcrridjt, wenn ihr glücklich-unglück-
licher Besitzer noch geruhsam im Lehrerzimmer
frühstückte.

Dabei war sie edel geformt, kühn geschwungen,
vielleicht ein atavistisches Erbstück aus der Zeit,
da noch Riesenmenschen mit entspred>enden Rie-
sennasen diese Erde bevölkerten. Mit jenen Bege-
tabilien, die man Kartoffeln, Rettige, Gurken oder
Kürbisse nennt, hatte sie nidjt das geringste
gemein. Ich sagte es schon: sie war Königlid).

Und doch — und dod> — —

Erst spät, als id, die Schule längst hinter
mir hatte, erfuhr ich, daß Rennbachs Nase die
Ursache seines beklagenswerten Schicksals war.

Ein einziges Mal in seinem Leben hatte er ge-
liebt: aus vollstem Herzen und mit tiefster In-
brunst. Ein Glück ohne gleichen schien ihm zu
winken. Als er aber seiner Erkorenen den schuldigen
Verlobungskuß übermitteln wollte, da — ging es
nicht. Die Nase war im Wege. Eine halbe Stunde
sollen sich beide redlid) bemüht haben, es war un-
möglidj. So gaben sie es auf, und sid) auch. Fatum!
Mancher Akensdien tragische Schuld ist es, daß
sie zu groß sind für diese Kleine und Kleinlidze
Welt; und was für die Menschen gilt, das trifft,
in diesem Falle wenigstens, auch für ihre Nasen
zu . ..

So ist Dr. Rennbad) Junggeselle geblieben,
und was er an Sd>önem und Gutem in fid) em-
pfand, hat er seinen Schülern zugewandt und hat
alle reich gemacht, die je zu seinen Füßen sitzen
durften.

Denn — der Mann bestand nid)t nur aus Nase!

Spriäit man bei der gewöhnlid)en Spezies
Mensd) davon, sie sei aus Leib und Seele zu-
sammengesetzt, so drängt sid) in neunundneunzig
Fällen der Leib in den Vordergrund, die Seele
aber — nun, man versteht mid). Hier war es
umgekehrt. Aus Nase und Seele bestand Dr.Renn-
bad), aber den Hauptteil dieses einzigartigen Men-
schen bildete — trotz allem — seine Seele, seine
gleichfalls königliche Seele.

Nur angedeutet sei, daß er uns Schülern Vater
und Freund, Lehrer und Spielgenoß zugleich war.
Herrlid) war sein Unterricht: nadimitlags aber —
da zog er mit uns hinaus in Wald und Flur,
in Sonne und Glück!

Wie wir an ihm hingen, ist kaum zu be-
schreiben. Wir hätten uns nnt ingrimmigem
Lächeln für ihn vier-, acht-, oder aud) sechzehn-
teilen lassen: wir hätten jeden Mord für ihn be-
gangen, wir hätten — nein, wir hatten getan,
was mehr als solche Kleinigkeiten bedeutete: wir
verzid)teten bei ihm auf das uns Sekundanern
zustehende stolze „Sie" und quälten ihn, bis er
wieder „Du" zu uns sagte.

Natürlid) hatte er wie alle Lehrer seinen Spitz-
namen: er hieß, id) erwähnte es sd>on, Doktor
Nase. Das hatte, stumpfsinnig genug, jedes
6chülergesd>led)t dem kommenden vererbt, und so
war es, id) schäme mich noch, aud) von uns über-
nommen worden.

Da kam eine Stunde — ich vergesse sie nie,
eine Stunde des Verhängnisses. Gänzlich un-

Frühmorgens vor einer Scheunentür

Der Reiter:

Feinslieb, es weht ein kühler Wind,

Mein Rößlein schnaubt ins Morgenrot.

Eh' mich das Abendrot umspinnt,

Bin ich vielleicht schon tot.

D as Mägdlein:

Eh' noch heut nacht der Mond aufgeht
Kühl dich ein andres Lieb, o weh!

Denn Reitertreu nicht lang besteht.

Fahr' hin, ade, ade!

Der alte Bauer:

Er fraß mich kahl den langen Tag,

Der Kerl auf seinem Nachtquartier.

Nun reit' er hin, wohin er mag,

Doch reit' er weit von hier!

Der Knecht:

Gewiß, er reite weit von l>ier,

Sonst schlag ich ihm den Schädel ein.

Mir schwant, er lag zu Nachtquartier,

Wo 's nicht hätt' sollen sein!

Der Reiter:

Feinslieb, auf meinem Horn, Trara,

Ich blase mich von Herzleid frei.

Was heut' zu Nacht an Glück geschah.

Das wissen nur wir Zwei!

Das Mägdlein:

Vergessen wirst, treuloser Gast,

Du bald, was heut zu nacht geschah!

Doch bleibt, die du verlassen hast,

Im Traum noch lang dir nah!

Trara, Trara, Trara!

Franz Karl Ginzkey
(Aus dem Georg-Htrth» Schrein)

dramatisch freilich, aber doch uns im Tiefsten
unserer jungen Seelen erschütternd und auf-
rührend.

Wir halten einen neuen Mitsdiüler in un-
serem Kreise, Fritz Büsd)el: dem Unglücksmen-
fd)cn mag Gott seine Sünde verzeihen, wir
konnten es nicht, obwohl er ja schuldlos war . . .

Also, es war Semesteranfang, und wir über-
setzen gerade die berühmte Rede des römisdien
Bolksbeauftragten Cicerogegen den Versd)wörer
Catilina —: „Wie lange noch, o Catilina, miß-
brauchst du unsere Geduld?"

Bei einer knifflichen Stelle fragt Dr. Renn-
bach nad) dem grammatischen Zusammenhang:
wir sud>en, zögernd und unsicher, nach einer
Antwort, da ruft der siegesgewisse Fritz Büsd)el,
der im Lateinischen etwas voraus war, laut und
stürmisch dazwischen: „Herr Doktor Nase, id)
weiß es, ich weiß es!"

Alles erstarrt. Finger, die sich sd>on erhoben
hatten, gleiten zurück, Köpfe ducken sid) — scham-
übergossene Gesichter — Totenstille —--

Nie hatten wir uns bei dem tausendfach
ausgesprochenen Beinamen etwas geirndji; jetzt,
als er dem Träger keck und fred) ins Gesicht
geschleudert wurde, empfanden wir das Un-
erhörte, Grausame, Scheußliche unsrer Hand-
lungsweise, gerade diesen Lehrer so zu nennen

Auch Rennbad, war zusammengezuckt, wie
unter einem Peitschenhiebe. Er war leichenblaß
— ich sah es genau, ich saß auf der ersten Bank.

Dann raffte er sich empor.

„Wie — — wie-nennt ihr mich?"

Fritz Büschel, der Neuling, war der einzige,
der die Sachlage nid)t begriff. Der Unselige
kannte den richtigen Namen seines Lehrers ja gar
nid>t — er hatte immer nur „Dr. Rase' gehört.

Er guckte sid) verstört um. Niemand kani ihm
zu Hilfe.

„Ja, Herr Doktor," stammelte er, „heißen Sie

denn nid)t-—"

„Id, heiße Rennbad)," erwiderte der.

„Ad>, Verzeihung, Verzeihung," stotterte nun
Büsdiel ganz außer sich, „id, hatte immer nur —"
„Es ist gut, Büschel, du kannst nichts dafür."
Fassungslos knickte der Unheilsmann zu-
sammen.

Rennbach sah lange auf uns. Id, glaube, nicht
einer hat ihn anzublicken gewagt. Es war die
furchtbarste Stunde unseres Lebens.

Alles starrte in die Büd)er. „Wie lange nod>,
o Catilina . . . ." Die Buchstaben tanzten vor
uns, höhnisch, grinsend, fratzenhaft. Es war, als
wolle der Kerl, der Catilina, fid) noch nach fast
zweitausend Jahren an den Nachbetern seines Tod-
feindes Cicero räd>en!

Da brad> Rennbach das entsetzliche Schweigen.
„Liebe Jungen," sagte er, „id, weiß, jeder
Lehrer führt ja so einen Namen. Ich bin aud,
Sd)üler gewesen, id, kenne das. Aber — wir be-
saßen einen Lehrer, den hatten wir alle lieb, und
wenn wir von ihm sprachen, nannten wir nur
seinen Namen, einen Beinamen hatte er njd)t, als
einziger von allen — wie eine Ausze!d>nung war
das — und da dad)te ich — da dachte id) —"
Er schwieg wieder: er konnte wohl nid)t weiter
sprechen, aber wir wußten, was er sagen wollte
und was doch ungesagt blieb. Es war ein furcht-
bares Schweigen.

Aus diesem Zustande der Qual erlöste uns der
lange Wendland, ein Hüne von Gestalt: der sprang
auf, fuchtelte mit seinen Fäusten in der Luft, als
gelle es, hundert Feinde auf einmal zu erlegen,
und schrie in die Klasse:

„Iungens, sage id> eud>, Iungens, wer den
Herrn Doktor Rennbad) bloß noch ein einziges
Mal so nennt, so — so — na, ihr wißt ja —
den hau' id) zu Zwetsd,genmus, versteht ihr mid)?"

lind er sah so grimmig aus, daß jeder es ihm
wie auf Ehrenwort glaubte.

Freilid, — die Drohung wäre nid)t nötig ge-
wesen. Keiner von uns hätte den unseligen Spitz-
namen wohl je wieder über die Lippen gebracht.
Aber — wir atmeten auf. Und der Doktor —
lächelte — — lüdjelle ganz leise.


sys
Register
Franz Lüdtke: Der Doktor Nase
Franz Karl Ginzkey: Frühmorgens vor einer Scheunentür
Paul Neumann: Vignette
 
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