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Der Tyrann von Äerkiu

Zum drittenmal innerhalb weniger Wochen streiken in Berlin
die Straßenbahner. Beim ersten Mal wollten sie mehr Geld
haben, beim zweiten Mal noch mehr Geld und beim dritten
Mal nochmal noch mehr Geld, Beim zehnten Streit
wird man folgendes Idyll erleben können:

Schauplatz: Zwischen Potzdamer platz und Spistelmarkt,

Der Fahrgast itip-top gekleidet,pompöse ilhrkette, dioersc
Briilantringe, ein großes Paket im Arm, schickt sich an
einzusteigen,!

Der Schaffner: „Halt,Männeken, so schnell jetzt
det nich, Wat zahlen Ge for die Fahrt?"

Der Fahrgast: „Hier, das palet habe ich Ihne»
mitgebracht. Eine Gans, ein paar Stiefel, ein
Pfund Butter und ein Opernhausbillet, SO Marl
lege ich noch gutwillig dazu, - für Ihre Auslagen."
Der Schaffner (bespricht sich durch das Klappfensterchen
mit dem Wagenführer): „Wat meenste, wvll'n wir'»
rinlassen?"

Der Fahrgast: „Ach nehmen Sie mich doch mit,
bester Herr, Hier den Ring lriegen Sie auch noch,"
Der Schaffner: „Ra, denn man rinn! Aber
bissen plötzlich. Wie weit woll'n Se denn fahren?"
Der Fahrgast (kleinlaut): „Bis Spittelmarkt,"

Der Schaffner: „Wat, bis Spittelmarcht? Ick
dachte heechstens bis Friedrichstraße, Ra, Männeken,
denn langen Ge man Ihre ührkette ooch noch her,
Go billig haben Se lange keene Reise jemacht,"
Der Jahrgast (bleibt verschüchtert draußen auf der Platt-
form stehen).

Der Schaffner (nimmt im Wageninnern in einem von
der «irekiion gelieferten Klubsessel Platz und zündet sich eine
Importe an): „Sie Männeken, lassen Se sich nich
einfall'n da draußen zu rvochen, Go wat jiibt's
bei uns nich. Hier herrscht Ordnung." Mer Wagen
bleibt plötzlich stehen. Der Schaffner begibt sich zu dem
Wagenführer, parlamentiert mit diesem und kehrt be-
kümmert zurück.)

Der Fahrgast (ungedutdig): „Herrjeh, was ist den»
nun schon wieder los?"

DerGchaffner: „Mein Kolleje davor» is in Aus-
stand jetreten und verlangt -Lohnerhöhung. Et hilft
Ihn' nischt, Ge müssen schon so jut sein und Ihren
scheenen Anzug ooch noch hier lassen,"

Der Fahrgast (während er sich langsam entkleidet)
„Aber ich kann doch nich nackt über den Spittel-
lnarkt gehen."

Der Schaffner: „Ra, dann steijen Se am Oeen-
hoffplah quö, Sie sind doch nich der erste Berliner,
den wir aHjezojen haben. Bei unsere Direktion
hat schon langst keen Aaas ’ti Hemde mehr. Hier
haben Ge fünf Mark Trinkjeld, Iehn So damit
in ’n Gpielklub und wenn Se zehn Mille jewonn'
haben, können Se unsre Strecke mal wieder be,
ehren. Mahlzeit!" Franze aus Berlin

Oaö Wappentier

„Eigentlich sollte man nicht nur die Farben Schwarz-
cheiß-rot ändern, sondern auch die Wappentiere!"
ichlug ein bayrischer Minister vor, „Was für ein
Mecherl hielten Sie für das geeignetste, Kollege
Gchneppenhorst?"

„Das Chamäleon!" antwortete Schneppenhorst
°knst und mit Überzeugung,

A. Schmidhammer

Der neue plutarch

„5ic/ 6er Contoö von Hohendorfs, der will jetzt ine
Qttjulö am Elend auf öen Zalkenhagn schieben!"

«Leider! Vitter! Vas kann ja gut werden, wenn
öle Generäle auch noch üa« Schieben anfangen!"

Wo Alles streikt...

Als jüngst mein Kopf vom Traum umnebelt war,

Stand ich inmitten einer Götterschar

llnd lauschte bebend, was ihr Mund mir töne,

„Ich bin die Arbeitslust," sprach eine Schöne,
„Die Sängerin der Lebensmelodie,

Die Schüherin der Daseinsharmonie,

In deren Hand des Schicksals Würfel ruhn -
Doch schweig ich, Schwestern,,. denn ich streike nun!"

Mit trohgem Angesicht trat sie zur Seite,

„Ich bin die Lebensfreude!" rief die Zweite,
„Die Freude, ohne die kein Werk erblüht,

Das Feuer, das den Wunsch zu Taten glüht,

Oer Quell, der mit Derjüngungszauber letzt,

Doch schweig ich, Schwestern,,, denn ich streike jetzt!"

ünd eine nach der andern trat hervor,

llnd immer klang 's „ich streike!" an mein Ohr,

Bis sich zuletzt, an meinen Füßen dicht,

Hob aus dem Gras eist hagrer, bleicher Wicht,

Haß um die Lippen, in den Augen Spott,

Und gellend lachte: „Ich bin der Bankrott!

Ich bin die Schlange, die am Boden kauert,

Die auf der Götter Generalstreik lauert
Und sie dann tödlich in die Ferse sticht!

Streikt, Rarren, immerzu - ich streike nicht!"

arI Ettlinger

Wozu?

Die Presse nennt täglich neue Namen, welche in die Lifte
der an die Entente Auszuliefernden ausgenommen sein sollen.

Sie wägen scharf nach Wissen und Gewissen,
Verwerfen, was soeben schon Beschluß,

Beschließen wieder, was sie schon verschmissen,

Weil Pünktlichkeit und Recht hier walten muß.

Manch' Tag' und Rächte zieht flch's in die Länge,
Manch' goldne Worte sind geredet schon:

Das ist des Melbunds weise und gestrenge
Auslieferungslisten aufstellkommission.

Die Liste wird allmählich ungeheuer?

Sie wird zum Heft, das Heft gedeiht zum Band,
Schon liest man achtzig Schulze, neunzig Meyer,
Und ist dabei noch lange nicht am Rand,

Bis jeder dasteht, der dem Areopage
Ob seines Daseins nicht so recht genehm,

Erwächst für uns in neuster Reuauflage
Ein Reichsadreßbuch, billig und bequem.

Allein ich frag': Wozu die ganze Mache
Und dieses scharfe Einzelechauffemang?

Zum mindesten verspätet kommt die Sache,

Denn: „ausgeliefert" sind wir alle lang!

3. A. Sowas

*

Neues Nheinlied

Die französische Fahne auf der Nheinbrücke von Lud-
wigshafen muß von allen Passanten gegrüßt werden.

Neue Bad. Landesztg.

An den Rhein, an den Rhein, zieh nicht an den Rhein,
Mein Sohn, ich rate dir gut!

Da gehst du sonst elend und gründlich ein,

Da steckt auf der Stange der Hut, , ,

Es hängt ein popowisch von Schreiben dabei:

Du müssest ihn grüßen als Knecht!

Und bist du nichts als ein gemeiner Lakai,

So dünkt's dich wohl billig und recht, , ,

Ooch läßt du aus leicht verständlichem Grund
Den Hut ohne Hutziehen stehn,

Ia, denkst du gar: Lecco, du Schweinehund! -
Mein Sohn, so ist es gescheht,!

Dich belauert der Spitzl, der Fosch sperrt dich ein,
Obwohl du im eigenen Haus -
Dann singst du nur immer: A m R h e i n, a m R h e i n
Sieht's gottes erb ärmlich jetzt aus! A, «, vk.

Marianne an ihren Hausfreund
Lazzarvni

Mein Liebster! _

Du bist mir also ernstlich böse hätten dich ja
recht gerne zu unsrem FestbratH. eingeladen! Aber
du wußtest ja selbst, wie zahlreiMmd hungrig unsre
Tischgesellschaft war! Onkel Woodruff hat sofort ge-
sagt: „Für deinen kleinen Lazzaroni bleibt nichts üb-
rig," Trotzdem haben wir aus dem schönsten Braten-
stück ein paar gute Knochen sorgfältig ausgelöst und
dir durch meinen Hausknecht überbringen lassen, da-
mit du wenigstens eine Ahnung vom Geschmack un-
seres Bratens bekommen solltest. Du hättest dir ja
leicht von deinem Gabriele einen panegyrikus dazu
dichten und ihn von puccin! in Musik sehen lassen
können, da hätte die Schose auch einen feierlichen An-
strich gehabt!

Im übrigen sind wir alle sehr um deine Ge-
sundheit besorgt. Hattest du dir nicht schon am liby-
schen Oattelkuchen, den wir dir zugeschanzt haben,
den Magen verdorben?! Soll dein Übel chronisch
werden?!

Bedenke deine schwache Konstitution!

Ich danke dir noch nachträglich recht schön, daß du
mir an der Marne aus der patsche geholfen hast.
Wenn ich dich wieder einmal brauche, schreibe ich dir
wieder.

Fang mir inzwischen ja kein Verhältnis mit deiner
ftüheren Gattin an! Du weißt, daß ich Untreue nicht
ausstehen kann. Deine ewig getreue Freundin
Marianne,

P.8.1. Soeben höre ich, daß dir die Knochen beim
Essen Beschwerden verursachen! Hattest du Erstik-
kungsanfälle? Siehst du, wie recht wir hatten, dich
nicht einzuladen! Du solltest eine richtige Hungerkur
durchmachen! Sicher bist du ain Isonzo zu sehr durch-
näßt worden oder hast dir im Trentino den Bauch er-
kältet oder hast dich am Piave übernoinmen! Es tut
mir leid, daß du so ein ungeschicktes Tollpatscherl
warst. Oder leidest du gar schon am russischen Schar-
lach? Die Farbe müßte dir gut stehen!

?. 8. 2. Ich höre, daß du meinen Hausknecht
schlecht behandelst. Kann er etwas dafür, daß du nicht
einmal ein paar leere Knochen abknabbern kannst?!

Beda

*

Konjunktur

Punkt 3 ühr 12 Minuten - so meldeten die Abend-
blätter mit peinvoller Genauigkeit — hatten die deut-
schen Delegierten ihre ünterschriften unter das Schand-
dokument von Versailles gesetzt.

Oer Obst- und GemüsehändlerBullrich hatte kaum
einen Blick auf das noch druckfcuchte Exemplar seines
Leiborgans geworfen, als er auch schon vor seine La-
dentllre eilte und in fliegender Hast auf das draußen
hängende schwarze Brett mit plumpen Kreidebuchsta-
ben die Worte malte:

„Heute prima frische Kohlrabi, beste Jriedens-
ware!" x.Kf,

A. Schmidhammer

Der neue plutarch

„0er Friede," sagte ein kritischer Zeitungsleser, „soll
auf dem Tische Ludwigs XV. unterzeichnet worden
sein, wozu dieses Möbel erwähnen . . . V
„l01)o!" rief der Tischnachbar,' «Sic vergessen, daß
cs sich um den nämlichen Tisch handelt, auf öen die
Pompadour ihrem königlichen Freund das denkwürdige
Zitat eingeschnittei: hat: apres nous le deluge!

667
Register
Plutarch [Pseud.]: Der neue Plutarch
J. A. Sowas: Wozu?
Karl Ettlinger: Wo alles streikt...
Beda: Marianne an ihren Hausfreund Lazzaroni
A. D. N.: Neues Rheinlied
Arpad Schmidhammer: Illustrationen zum Text "Der neue Plutarch"
Franze aus Berlin: Der Tyrann von Berlin
 
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