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Paul

BEGRÜSSUNG

Von Paul Weher

3n meinem Herzen klingelt es an:

Hurtige, kleine Silberglocken,-
Herlmutterputten mit Ringellocken
Klopfen mit goldenen Hämmern dran.

Hinab, hinauf! Und über den höchsten Ton
Tanzen sie munter mit nacktem Bein
Uber Stufen, wie Saiten fein,

Wippend auf schwankender Leiter davon,-
Fassen einander zu zwein und schon
Sind sie kopfüber in die Wolkenkissen hinein!
Verschwunden? Oder hält mir die Augen wer zu?
Wer trillert lind lockt und gibt keine Ruh?

Und lärmt! Die hundert kleinen Genossen
Haben mit jemand ein Bündnis geschlossen
Und trillern und wecken immerzu —

Ein Griff! Und zerstoben ist alles im Nu!
Erwischt nur eines, das lacht: du, du, du!

Segie th

VISION

Von Gert Klinge

Er, den ich jahrelang gehetzt, geflucht,
er war gestellt auf einer letzten Streife.

Er, den ich wie ein Hund gespürt, gesucht,
er mußte stehn und fallen in der Reife.

Grimasse, die ich Tag für Tag gebucht,
um die ich irrgelaufen in der Schleife,
jetzt hing sie vor mir, schamlos und verrucht,
und glich mir selbst, das; ich es nie begreife.

Wir maßen uns vom Auge bis zur Sohle.

Ich hörte meine eigne kalte Stimme:

„Wer du auch seist, der Augenblick ist Trumpf."

Wir hoben auf Kommando die Pistole —

Pupillen zitierten auf Korn und Kimme:

Ich schoß — und schoß den Schädel ihm vom Rumpf.

DER SCHIMMEL

Von Gottfried Kölwel

Zu den besten Menschen seiner Gegend gehörte der Gütler Johann Steil.
Als der Sohn eines Gemeindehirten in den dürftigsten Verhältnissen aus-
gewachsen, verdingte er sich, kaum die Muskeln aus den hageren Gliedern
wellten, bei den Bauern der tlmgebung und galt dort allgemein als das
Muster eines Knechtes, der den Boden des Herrn mit unermüdlichem Fleiß
bestellte. Da er sehr sparsam war und Sonntags nicht hinter Krug und
Spielkarten saß, mehrte sich sein Geld von Jahr zu Jahr. So wurde es
ihm, nachdem er sich mit einer ebenfalls sparsam gewesenen Magd verheiratet
hatte, möglich, ein bescheidenes Haus mit etlichen Ackern anzukausen. Anfangs
begnügte er sich mit Ziegen, erstand jedoch bald einige Kühe und kaufte auch
noch weitere Grundstücke dazu, sodaß er bald einen nicht mehr unansehn-
lichen Besitz knnehatte. Wie gering aber waren diese erworbenen Güter gegen
den Reichtum seines Herzens! Wenn eine fremde Kuh kn seinen Acker lief,
Johannes Steil schimpfte und fluchte nicht, sondern nahm das Der am
Halsband und führte es wieder auf den Weg zurück, meinend, ein Der
könne nicht wissen, wem der Acker gehöre. Wurde ihm eine Gans gestohlen,
so dachte er verzeihend an den Hunger der Diebe, und als einmal Knaben
des Dorfes in seinen Obstgarten einbrachen, rief er ihnen zu: „Kommt nur
her, wenn euch die Apfel gar so gelüsten!" Und er schüttelte den Stamm,
bis ihm die Früchte auf Kops und Schultern fielen.

Wie es aber meistens im Leben geht, daß dem Guten gegenüber der
Böse wohnt, um jenen zu versuchen, zu stürzen und ihm Schaden aufzu-
häufen, so hatte auch der Gütler Johann Steil das Unglück, einen wenig
erfreulichen Nachbar zu besitzen. Der Hagbauer, einer der Reichsten seiner
Gegend, bewohnte ein Haus, das die Fensteraugen jo weit aufmachte, wie
es nur noch der pfarrhof im Dorf wagte, und weitaus die besten Acker
gehörten ihm. Dohdem drohte er schon mit dem Gericht, wenn zufällig
einmal eine Ziege des Nachbars am Saum seines Besitztums graste. Neigte

sich ein Ast aus dem Garten des Gütlers in den seinen herüber, sogleich
holte er die Säge herbei. Zu höllischem Spektakel wurden seine Schimpf-
worte, wenn beim Umkehren des Pfluges oder beim Einfahren der Ernte-
früchte eine Kuh, eine Pflugschar oder ein Wagenrad aus dem Besitz des
Gütlers die äußersten Furche» seines Ackers streiften, und öfter als einmal
schon hatte er Steil solcher Dinge wegen verklagt. Steil freilich lieh es
nie zum Prozeß kommen, und erbot sich stets von selber, eine Entschädigungs-
summe zu entrichten. Gerade deshalb aber, weil es auf diese Weise dem
Hagbauer nie glückte, seinem Nachbar ernstlich zu schaden, fraß seine Ge-
häßigkekt immer tiefer. Stets sah er mit scheelen Augen nach den Fenstern
des Gütlers aus, und wenn er diesen mit seinem Weib am Tisch erblickte,
fühlte er den Drang, ihm in die Schüssel zu spucken.

Zwischen diesen beiden Nachbarn ereignete sich alsbald folgende Geschichte:
Eines Tages kam der Gütler bei einem Gang durch seine Acker, gerade
an der Stelle, wo das Kornfeld leere Ode zeigte, auf den Gedanken, einen
Gaul zu kaufen. Es stände alles besser, wenn der Boden gründlicher ge-
ackert würde. Aber den Kühen mangle die Kraft zum Pflug. Der Gütler
ließ den Gedanken nicht mehr auslöschen und einigte sich zu Hause mit
seiner Frau, eine Kälberkuh samt Kalb zu verkaufen und aus dem Erlös
und einigem Ersparten einen Gaul zu erstehen.

An einem Regentag, um keine Arbeit zu versäumen, machte er sich mit
seinem Vetter, der von Gäulen etwas verstand, auf den Weg, um jene
Pferde anzusehen, die im Postskall eines wektentfernten Dorfes standen.
Durch düstere Wälder stapften sie, über Kot und Stein, ausgestörte Pfützen
sprangen ihnen bis an die Knie, die großen Regenschirme, dicht vors Gesicht
gezogen, schatteten. Da sich der Weg auch noch über Hügel und Berge
hinzog, waren die beiden Bauern froh, als sich nach vielen kleinen Kilometer-
steinen der Wald endlich öffnete und ein spitzer Kirchturm wie ein Weg-

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Register
Paul Segieth: Vignette
Gert Klinge: Vision
Gottfried Kölwel: Der Schimmel
Paul Weber: Begrüssung
 
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