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Wer in Ketten...

Von Hans Kyser

Wer in Ketten ackern muß,

<Zisensaat fällt von
seinem Fuß,

<Zisensaof wächst schnell in
eiserner Zeit:

Schnitter,
mackiet euch bereit!

*

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*

O i e Gestirne

Don Hans Ky|er

Oie Gestirne sind Nichtleiter,

Sind nur Wächter
unsrer Werke,

Unsrer Freudigkeit Äe gl eit er,

Trost im Dunkel, Quell
der Stärke.

*

Frau Mathilde sagte zu ihrem Sohn: „Weißt du, Methie, - hör' mai, was
soll aus dir werden - hast du zu irgend etwas besondere -Lust - weißt du, Me-
thie, ich habe auch schon mit Onkel Theo gesprochen, der das große Topfgeschäfi
hat, wo du ost als kleiner Junge warst, und Onkel Theo meint, — später 'mal
na ja —." Bitternis quoll in ihm auf. Zu den Töpfen - aber er sagte: „Ja,
Mutter, wenn du meinst, daß Onkel Theo meint -" „Siehst du, Methie, ich
wußte doch, daß du ein vernünstiges Kind bist" - und sie reichte über den Tisch
ihrem Sohn die Hand. — An diesem Abend ging Methusalem Lörchen zu den
drei Pappeln. - ,Auch über die Töpfe komme ich zu der blauen Fahne! —'

In der Woche, als Glorgow und Jauermann die Stadt verließen, um zur
Universität zu gehen, war Methusalem die ersten Tage in der Topfhandlung
Onkel Theos. Im Kontor, in das man von der Straße aus hereingelangte, saß
Onkel Theo voll Freundlichkeit und-Lächeln: ihm gegenüber die hübsche, junge
Buchhalterin Fräulein Hildegard Pfeffer. Sie trug einen marineblauen Rock und
eine Spitzenbluse und ihr blondes Haar war, wie sich Methusalem Lörchen ein-
gestehen mußte, äußerst sauber frisiert. Ans Comtoir schloß sich das durch Gas-
lampen erhellte Topslager. Dort arbeiteten zwei Herren, welche gegen Abend
stets sehr lustig wurden und sich dann gegenseitig Herr Kalbsbraten und Herr
Napfkuchen anredeten. Aus dem letzten, kleinen Raum tönten Hammerschläge,
mit denen der alte Hausdiener unter grimmigem Lachen Kisten zunagelte. Me-
thusalem wurde von den beiden -Lagerhaltern über Form und Wesen der Töpfe
aufgeklärt und mußte darauf halten, daß sie sauber und gerade in den hohen
Regalen standen. - Ost auch reichte Methusalem dem alten Hausdiener Nägel zu
und lächelte über dessen Flüche, - Kisten, Hammer und „Pfaffen" und Schutzleute
betreffend. In der Mittagzeit aber, wenn Onkel Theo, die beiden Herren und der
Hausdiener zu Tisch waren, ging er ins Kontor. Sonne flutete durch die Fenster
und machte das blonde Haar des Fräulein Hildegard Pfeffer brennen. Methusa-
lem -Lörchen stellte sich an das Pult des Fräulein Pfeffer und sprach über die
Sonne und das -Leben, das er und sie führten, ilnd Fräulein Pfeffer legte den
Federhalter aus der Hand.-

Als Methusalem zwei Jahre bei den Töpfen war, starb Onkel Theo und hinter-
ließ ihm jeine Topfhandlung. Methusalem setzte sich an den Schreibtisch Onkel
Theos, Fräulein Hildegard Pfeffer gegenüber. Die Herren Kalbsbraten und Napf-
kuchen, die sich freuten, ihm gegenüber stets zuvorkommend gewesen zu sein,
blieben bei ihm, gleicherweise der alte Hausdiener. —

An einem milden Sommerabend starb Frau Mathilde -Lörchen, nachdem sie
noch einmal zu ihrem Sohn ruhig und sehr sonst „Methie" gesagt hatte. Sie
wurde neben Augustin -Lörchen und Onkel Theo beigeseht. -

Methusalem Lörchen saß am Schreibtisch. In der Mittagszeit ging er an das
Pult des Fräulein Pfeffer und sprach über die Sonne und das Leben, das er und
sie führten, llnd als er eines Tages wieder an ihrem Pulte stand, trat er hinter
das Fräulein Pfeffer und drückte auf ihr brennendes, wohlfrisiertes Haar einen
überaus zarten und schüchternen Kuß — so wie Augustin Lörchen seinen Sohn ge-

küßt hatte, wenn er an das grüne Plüschsofa herantrat. - Von dieser Zeit an
gingen sie beide an den Sonntagen durch die Dörfer, durch die ihn einst die
lustigen Spaziergänge mit Alfons Jauermann geführt hatten. Abends saßen
sie dann in irgendeinem musikrauschenden Biergarten, und Methusalem Lörchen
trank ein Glas helles Bier, während Hildegard Pfeffer das . dunkle vorzog. -
Methusalem stand an den drei Pappeln - ,die Fahne - ich küsse den Himmel

- Spalier - Hilde!'-Brausende Akkorde rauschten in Methusalem Lörchen. -

Eines Mittags saß.Hildegard Pfeffer allein im Kontor. Methusalem war zu
seinem Schneider gegangen, um sich zu einem Frackanzug Maß nehmen zu lassen.
Am Eingang zur Kirche standen zwei Reihen Zuschauer. Methusalem lächelte:
,das Spalier-'

Er bewohnte mit seiner Frau die Wohnung seiner Eltern. - llnd Frau Hilde-
gard Lörchen wurde dick und fröhlich.— — Als ein strenger Winter zu Ende
ging, kam Sanitätsrat Anton Glorgow wieder in die Stadt. Er besuchte Lörchen
in seinem Geschäft und berichtete, daß Alfons Jauermann, der die Stelle eines
Direktors am städtischen Elektrizitätswerk erhalten hätte, bald kommen würde.
Im Frühling kam Alfons Jauermann. Glorgow und Jauermann waren ver-
heiratet. llnd ihre Frauen kamen mit Frau Lörchen des öfteren bei einer Tasse
Kaffee und einem Stück Eigen-Gebackenem zusammen. Ihre Männer saßen zwei
Abende in der Woche in dem Kaffeehaus am Ring. Des Sonntags aber gingen
die drei Familien durch die Dörfer nahe der Stadt und kehrten dann und wann

in rauchigen Wirtshäusern ein.-

Methusalem stand an den drei Pappeln. Matt spiegelten sich Sterne im Wasser.
Ein leiser, weher Ton war in ihm, — übriggeblieben von den rauschenden Akkor-
den, die in ihm gebraust hatten in der Zeit, da er zu seinem Schneider gegangen
war, sich Maß zu einem Frackanzug nehmen zu lassen. - ,Sie bildeten Spalier -
aber als ich aus der Kirche trat, - waren sie nach Hause gegangen/ - Als er ins
Zimmer trat, schlief seine Frau - dick und fröhlich. -
„Ich war gestern bei ihm," sagte Sanitätsrat Glorgow zu Alfons Jauermann,
„er gefällt mir nicht. Er sitzt im Lehnstuhl und ist still und sehr schwach."

Methusalem Lörchen saß in dem Lehnstuhl mit dem großblumigen Überzug.
Das Fenster stand offen. Er sah über die Felder - - ,mein Vater - ich weiß
nur von ihm, daß er drin im Eßzimmer auf dem Sofa lag, und wenn ich an
ihn herantrat, — küßte er mich/ - In der Ferne leuchtete der See. Hoch ragten
die drei Pappeln. Aus Methusalem Lörchens Augen rannen Tränen. -
Das las am nächsten Morgen Alfons Jauermann seiner Frau mit zitternder
Stimme vor:

Am gestrigen Abend verschied mein lieber Mann
Methusalem Lörchen

im Alter von dreiundvierzig Jahren. Megard Lörchen, geb. Pfeffer.

Es war ein guter Mensch.

Kranzspenden mit Dank verbeten.

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Hans Kyser: Die Gestirne
Lotte Liebing: Sonntag
 
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