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M i r ^ u f f d) m ö (/ d e r Weise

Ein indisches Märchen von Alfred Manns

Im Märchenlande Indien lebte ein sehr reicher und frommer Mann,
namens Kublar.

Kublar war nicht nur fromm, sondern auch gut, zum mindesten, wenn ihm
seine Andachtsübungen und seine umfangreichen Geschäfte Zeit ließen.

Eines Tages, nach der Rückkehr von einer Geschästsreise, die er mit einer
Wallfahrt verbunden hatte und die für ihn also von doppeltem Nutzen gewesen
war, beschloß Kublar, früh am Morgen schnell noch die laufenden Geschäfte zu
erledigen und danach für den Rest des Tages nur Gutes zu tun.

Als ein rechter Kaufmann aber sorgte er dafür, bei den geplanten Wohltaten
einen Zeugen zugegen zu haben, auf den er sich berufen konnte, falls die Götter
im Drange der Geschäfte die Gutschrift vergessen sollten.

Dieser Zeuge konnte niemand anders sein, als der Brahmane Mir Rutschmal.
Dieser stand in dem Rufe einer ungeheueren Gelehrsamkeit, weil, wenn man
eine Frage an ihn richtete, er stets eine Antwort gab, die nicht das Allergeringste
mit der Frage zu tun hatte.

Zu diesem Heiligen ging Kublar.

„Ich möchte, daß Du mich begleitest. Mir Rutschmal," so sprach er, „denn ich
gedenke heute viel Gutes zu tun. Welches ist Deine Ansicht?"

„Der Mistkäfer frißt auch Paradiesvogelaas," antwortete der Weise, indem
er sich bereit machte.

Kublar, an die Gonderlichkeiten des Brahmanen gewöhnt, nickte nur zustimmend,
als ob er nichts anderes zu hören erwartet hätte.

Alsdann begaben sich die beiden Männer auf die Straße.

Dort hielt ein Karren, auf dem sich Gefäße voll feinsten Öles befanden, das
der Händler mit lauter Stimme pries und zum Verkauf stellte. Etwas abseits
stand eine arme Frau, an jeder Hand ein Kind. Der Hunger hatte allen Dreien
sein Mal aufgedrückt. Gierigen Blicks schaute die Bettlerin auf die kostbare
Nahrung, von der zu kaufen sie nicht in der Lage war.

Da trat Kublar zu dem Händler, fragte nach dem preise für alles Öl auf dem
Karren, handelte einiges ab, und winkte der armen Frau:

„Das sendet Dir Brahma durch seinen unwürdigen Diener Kublar, Weib.
Nimm. Alles ist Dein!"

Während das Weib in die Knie sank, schrie alles Volk: „Heil dem
edlen Kublar!", denn man wußte ja nun, wer der Wohltäter war, der sich
bescheiden entfernte.

„War das nicht eine gute Tat, Mir Rutschmal?" fragte er, nachdem er ver-
vergeblich auf eine freiwillige Äußerung des Weisen gewartet hatte.

„Eine Maus hatte eine Laus. Sie wollte sie loswerden, lief in den Ganges
und ersoff," erwiderte der Brahmane und schritt weiter.

Der Weg führte durch eine enge Gasse.

Aus einem der Häuser ertönten entsetzliche Schreie. Im Innern des Hauses
sah man, wie ein Mann ein Weib an den Haaren hielt und mit einem Bambus-
stecken auf sie einhieb.

Von Mitleid und Zorn überwältigt trat der große, kräftige Kublar ein und
entriß dem Manne den Stock. Oer Wüterich wich erschrocken zurück und vertrat
sich den Fuß, der sofort schmerzhajt anschwoll. Mühsam kroch er in den Neben-
raum, und unfähig sich aufrecht zu erhalten, legte er sich auf das Bett.

Die Frau aber weinte Freudentränen: „Habe Dank, edler Fremdling, der
furchtbare Mensch hätte mich umgebracht."

Kublar war gerührt, und als er sah, daß auch hier die Armut herrschte, reichte
er der Frau einige Goldstücke und verließ das Haus.

Mir Rutschmal hatte mit regungslosem Gesicht den Ereignissen zugeschaut.
Abermals gefragt, ob diese Tat nicht Brahma wohlgefällig sei, entgegnete er:
„In Samarkand lebte ein Mann, der wollte einen Teppich mit einer Kolibri-
feder ausklopfen."

Kublar war etwas verstimmt. Er hätte nun doch gewünscht, seine Gutheit in
etwas konkreterer Weise loben zu hören, und nahm sich vor, das nächste Mal die
Wohltaten erstaunlich reich zu bemessen.

Nach einer Weile begegneten die beiden Männer einem Bäuerlein, das mit
unsagbar trübseligem Gesichte fünf Ziegen feilhielt.

„Warum bist Du traurig, Bauer?" fragte Kublar.

„Ach Herr, ich schulde meinem Nachbarn etwas Geld. Nun will er mich aus der
Hütte treiben, die schon meinem Großvater gehörte, und da stehe ich hier, mein
letztes Vieh zu verkaufen, um einen Aujschub zu erlangen."

seinen Knecht Kublar.
nun Deinerseits Deinen

„Brahma wendet Dein Schicksal, durch mich,

Hier, nimm diesen Beutel. Sein Inhalt reicht, um
Nachbarn auszukaufen."

Dem Dank des Bauern und den Huldigungen der Menge entzog sich
der Wohltäter eilig.

„Oer Arme wird heute für seine Errettung aus schwerer Not heiße Freuden-
gebete zu Brahma schicken. Denkst Du nicht auch so, Mir Rutschmal?"

Der Weise starrte eine Minute vor sich hin.

„In Neapel gab es einen Fuchs, der fraß gern fette Gänse, alte Knochen
mochte er nicht!" kam es dann gewichtig über seine Lippen.

Durch diese Antwort schoß dem gütigen Kublar die Hitze ins Geblüt, sodaß er
in der Erregung einem kleinen Knaben, der ihm vor die Füße lief, einen Tritt
versetzte, der den Kleinen blutend auf die Steine warf.

Erschreckt wollte Kublar das Kind aufheben, aber schon war aus einem Hause
ein altes Ehepaar mit gütigen Gesichtern gekommen. Der Greis wies Kublars
Hilfe und sein Geld schroff ab und trug den Knaben in das Haus.

„O, Mir Rutschmal," sagte der reiche Mann verstört, „welches Llnheil habe
ich angerichtet!"

„Ein Ifrit wollte nachts eine Königstochter rauben. Er vergriff sich in der
Dunkelheit und stahl die Urgroßmutter der Amme."

Nach diesen Worten grüßte der Weise den Kaufmann und ging nach Hause.
Kublar aber tat noch sehr viel Gutes. Er mußte sich nun mit dem Volke als
Zeugen begnügen, das ja auch die Stimme Gottes darstellt.

Nach einem guten Mahle streckte den Wohltäter am Abend eine erquickende
Ruhe seelischer Befriedigung auf das Ruhebett, eine Ruhe, die indessen leicht
beeinträchtigt war durch die einzige häßliche Tat des Zorns.

Plötzlich erschien Mir Rutschmal im Raume.

„Ein Zicklein hatte einen Floh. Ein Felsen, den das Zicklein dauerte, stürzte
sich auf den Floh," sprach er, hustete nach rechts, spie nach links und blies in die
Mitte. Da entstand ein weißer Nebel wie eine Wand.

Auf der Wand bildeten sich schwarze Schatten, die sich verdichteten. Oie
Schatten wurden zu Gestalten.

Man sah eine erbärmliche Kammer, und auf dem Boden sich in Schmerzen
und einer eklen Flüssigkeit windend, drei Menschen, eine Frau mit zwei Kindern.

„Das Öl," murmelte Kublar, „das viele Öl-O, diese Menschen, sie

haben sich überfressen!-"

Schon war das Bild verschwunden und an seine Stelle ein anderes getreten.
Wieder ein Zimmer, dasjenige, in dem der Wüterich das arme Weib fast zu
Tode geschlagen hatte.

In diesem Zimmer saß das Weib, üppig herausgeputzt, vor einem reichbesetzten
Tische auf dem Schoße des Buhlen, um deffentwillen der Mann sie heute ge-
sckjlagen hatte, während letzterer, ohne die Möglichkeit, sich zu erheben, im
Nebenraume lag.

Kublar faßte sich an die Stirn: „Heiliger Schiwa, von meinem Gelbe!"

Auch dieses Bild verfloß. Eine öde Landstraße ward sichtbar. Mitten auf dem
Wegs lag ein wunder Mann, den soeben drei Räuber ausplllnderten, während
ein vierter einige Ziegen fortlrieb.

Laut auf stöhnte der Wohltäter:

„Allmächtiger Wischnu, wie mag es erst dem armen Knaben gehen, wenn
Guttaten so ausschlagen?"

Schon hatte sich auf der Nebelwand abermals die Szene verändert.

Eine trauliche Stube hob sich ab. Vor einem einfachen Lager stand das
alte Ehepaar. Es sah mit unsagbar liebevollen Blicken auf das Knäblein nieder,
das sich schon ersichtlich von der kleinen Wunde und dem Schreck, das es durch
den Fall erlitten, erholt hatte.

Wie aus weiter Ferne kamen leise, freundliche Worte: „Es sei, wie Du sagst,
Aja, den elternlosen Knaben hat uns die Vorsehung geschickt. Wir wollen
ihn behalten."

Hiernach verschwand der Nebel.

Maßloß verwirrt sprang Kublar von seinem Ruhebette auf: „Mir Rutschmal,
hat denn gar keine gute Handlung Zweck?"

„Zm Pundschab fand ein Affe eine Spiegelscherbe. Zärtlich wollte er den
andern Affen lausen, da schnitt er sich am Glase und verfluchte alle Nächsten-
liebe," antwortete der weise Brahmane.

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Alfred Manns: Mir Rutschmal, der Weise
 
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