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©te Beredsamkeit hat den merkwürdigen
Reiz an sich, das; sic imstande ist, nicht nur
den Beredeten, sondern auch den Bereder
zu bereden. Oft mit mehr Erfolg.

Ein Traum! Was bedeutet ein Traum?
Daß wir geschlafen haben!

©as Mitleid, das man mit Schurken hat,
ist ein Diebstahl an ehrlichen Leuten.

Alfred Fried mann

Paul Segletb

Es ist doch sonderbar, das; es soviel Leute
gibt, deren Mut im Quadrat der Entfernung
von der Gefahr wächst. Eduard Krapf

„gesunder Menschenverstand" und „In-
tuition" sind ost zwei Name» für dieselbe
Sache: Dilettantismus. FrihMainzcr

©er Anatom kommt immer etwas zu spät
in der Wissenschaft und noch mehr km Leben.

Baer-Oos

EINE MERKWÜRDIGE GESCHICHTE

VonWillVesper

Es war im Jahre 19.., als sich in der Hauptstadt eines großen
mitteleuropäischen Reiches, kurz nach einem großen, den Staat und
den ganzen Erdteil zerrüttenden Kriege und nach einer gewalt-
samen Umwälzung nicht nur aller Staatsformen, sondern auch aller
Begriffe und Grundlagen des bisherigen Lebens, die folgende
merkwürdige Geschichte ereignete.

An einem bestimmten Tage jenes Jahres saßen kn einem ver-
schlossenen und streng bewachten Saale der Hauptstadt in einer feier-
lichen Sitzung die Minister des Staates zusammen, die Männer,
die das schwere Amt übernommen hatten, in das durch äußeren
Druck der Feinde und inneren bösartigen Unfrieden chaotisch durch-
einandergeworfcne Staatswesen wieder einige Ordnung, Sinn
und Folge zu bringen. Einstweilen, so ging aus allen Reden und
Klagen hervor, die sie einander nicht zum ersten Male vortrugen,
schienen alle ihre Bemühungen wenig Aussicht auf Erfolg zu haben.

Soeben war der Minister der Finanzen bemüht, vor den
anderen den ganzen verworrenen Zustand des Geldwesens mit
anschaulichen Worten auszubreiten und ihre Hilfe anzurufen in
einer Lage, in der es keine Hilfe mehr zu geben schien. „Uber das,
was wir künftig zahlen sollen und müssen," schloß er seine Aus-
führungen, „ist ja nun geziemende Klarheit hergestellt. In völliges
Dunkel gehüllt ist dagegen, woher wir auch nur für die nächsten
Monate, ja Wochen das Notwendigste für den Haushalt des
Staates austreiben sollen. Es ist ja nicht so, als ob nicht noch ein
reichlicher Vorrat an Geld und Werten im Lande vorhanden wäre,
aber wie sollen wir es fassen und greisen? Das ist die große, nicht
zu beantwortende Frage. Ein jeder scheint die neu verkündete Frei-
heit nur dahin aufzufassen, das; es nun erlaubt, ja ein Recht sek,
sich allen Verpflichtungen dem Staate gegenüber zu entziehen.
Vom Reichsten bis zum Ärmsten denkt jedermann nur an sich und
sein nächstes Interesse. Die großen Vermögen, von der Not des
Staates und den gewalttätigen Zugriffen der Arbeiter bedrängt,
fließen in das Ausland ab. Wir haben die Grenzen versperrt,
aber mit dieser nichtsnutzigsten aller Erfindungen, die wir noch wie
eine große Errungenschaft gefeiert haben, den Flugmaschinen, seht
sich der Mensch über alle Grenzen hinweg. Wir haben unsere
Grcnzwächtcr und Kriminalisten, wie Sie wissen, mit den gleichen
und noch schnelleren Apparaten ausgerüstet, mit dem einzigen
Erfolg, das; unsere Beamten mit den Verbrechern gleiche Sache
machen und noch schneller entfliehen als jene.

Denn das ist ja das Schlimmste, auch alle Bande der Sitte
und der Sittlichkeit sind zerrissen. Die allgemeine Not und mehr

noch die allgemeine Jagd nach leichtem Erwerb hat jeden, einst in
unserem Volk so feststehenden Begriff von Ordnung und Ehrlichkeit
vernichtet. Sie alle kennen den gegenwärtigen Zustand und Sie alle
wissen, wie ich, keinen Ausweg. Und irgend etwas muß doch ge-
schehen! Oder sollen auch wir die Hände in den Schoß legen, das
Chaos hereinbrechen lassen, bis jeder am eigenen Leibe erfährt,
wohin ein solches Wesen zuletzt führen muß und was es heißt,
wenn ein Volk das Wichtigste verliert, was es besitzt, das —"

Seine Stimme riß jäh ab/ seine Augen standen groß und er-
schreckt offen wie sein Mund. Alle anderen sprangen von ihren
Sitzen aus und klammerten sich an Tischkanten und Stuhllehnen.
Etwas Unerhörtes stand vor ihren Augen, plötzlich und wahr-
haftig wie aus dem blauen Duft des Zigarrenrauches heraus-
krkstalltsiert trat mitten zwischen die Herren, aus der Luft, aus dem
Nichts heraus ein junger Mann und verbeugte sich höflich. Die
Anwesenden — Ungläubige, wie alle Politiker — begannen in der
Eile ihre Weltanschauung zu revidieren und wo nicht an Gott, so
doch an Geister zu glauben, denn nichts anderes als die Materiali-
sation eines solchen hatte sich ja eben vor ihren Augen vollzogen.
Doch hatte der Geist weiter nichts Überirdisches an sich, glich viel-
mehr einem einfachen, gutgekleidetenund ganz hübsch anzuschauenden
jungen Manne, der sich höflich verbeugte und zu sprechen begann.

„Erschrecken Sie nicht, meine Herren," sagte er, „und verzeihen
Sie diese etwas sonderbare Art meines Erscheinens. Ich werde es
Ihnen sogleich erklären, daß garnkchts Unheimliches und keinesfalls
etwas Übernatürliches dabei im Spiele ist. Ich wohne schon seit
einigen Tagen Ihren Beratungen bei und bin gekommen, Ihnen
und dem Vaterlande in seiner tiefsten Not Hilfe zu bringen.

Es ist mir, wie Sie gesehen haben, möglich, mich zu entmateriali-
sieren, unsichtbar zu werden" — er machte eine rasche Bewegung
und zerfloß sogleich vor aller Augen in der Lust. Man hörte nur
noch seine Stimme, die sortsuhr: „Ich gehe durch jede verschlossene
Türe und jede Wand. Ich bin in jedem Augenblick dort, wohin ich
mich wünsche." — Es folgte eine kleine Stille. Dann trat der junge
Mann wieder sichtbar vor aller Augen hervor, eins der bekannten
Abendblätter der Hauptstadt in der Hand.

„Ich war einen Augenblick," sagte er, „auf der Straße unten
und überreiche Ihnen hier die neueste Nummer der Zeitung, die ich
ausrufen hörte. — Nicht, als ob Sie darin etwas Neues oder
Wertvolles fänden, nur um Ihnen zu beweisen, wie schnell meine
Wandlungen und Verwandlungen vor sich gehen."

„Entsetzlich!" stöhnte einer der Minister.

ross
Register
Paul Segieth: Vignette
Will Vesper: Eine merkwürdige Geschichte
Fritz Mainzer: Aphorismen
Baer-Oos: Aphorismen
Eduard Krapf: Aphorismen
Alfred Friedmann: Glossen
 
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