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DIE RECHTFER1

Eine Legende von

Gott lag in sich, dunkel und wesenlos, alldurchtränkt vom eisigen Schweigen,
Sein und Nichtsein ruhte erstarrt, Gott lag seiner selbst mächtig und satt, eine
grenzenlose Nacht von Ewigkeit her.

Da ergrimmte ihn der Schauder seiner Tiefe, daß er nach dem eigenen Wesen
verlangte, — Für einen pulsschlag der Ewigkeit war Gott von feuriger Lohe
durchkraust, in stürmischem Kampf rang Licht und Finsternis, krastbegabter Stoff,
gestoßen und getrieben von dem gährenden Gotteswillen, ballte sich zu Well-
gebäuden von unsäglicher Kleinheit bis zu solch unermeßlicher Größe, daß eine
Erdensonne mit allen ihren Begleitern darin nur dem flimmernden Glutstäubchen
glich. Es gab kein W.sen im All, und besaß es auch nur den Körper des kleinsten
Teils, das nicht den endlosen Raum für sich und seine Hast begehrt hätte, war
doch ein edes aus der ilnbegrenstheit Gottes geboren. Wo es ein anderes traf,
vernichtete es oder wurde vernichtet; solange es aber bestand, war seine Begierde
unerschöpflich, denn in zedem lebte das erste Verlangen Gottes nach seinem Wesen,
Llnd Gott erschrak vor dem Ungestüm seiner selbst,

Oie großen Genien erbebten und vermeinten zu vergehen, sie scharten sich in
ohnmächtigem Entsetzen um die höchste Gewalt,

Gott lprach ihnen vernehmt ch: „Ich habe mein Wesen gesucht und bin aus
mir herausgetreten. Ihr seid geworden und alles. Ich habe meine Grenzen ge-
sehen. Mein Wesen wurde zum Ih an se neu Grenzen,"

Betäubende Trauer ergriff die Genien, Sie rangen alle mit dem unerträg-
lichen Gedanken: Er wurde zum Ich an seinen Grenzen, Eine fassungslose
Schar verdichtete sich zu seinen Füßen und Nagte: „Herr, weshalb hast du uns
in diesem Leide ertränkt!" Einer aber richtete sich auf aus ihrer Mitte und lechzte
zu Gott empor wie eine begierige Flamme: „Was sagst du uns, Herr, du habest
dein Ich, gesunden, das wir nicht fassen können! Laß mich deine Grenzen sehen,
so will ich verderben!"

An diesem fürchterlichen Verlangen erwachten und entbrannten die großen
Genien. I;re Angst ward Glaube, ihr Schmerz ward Zorn, ihre Liebe Rache,
Sie warfen sich auf die verzweifelte Schar und den Engel in ihrer Mitte, Sie
stießen sie in den äußersten Abgrund der Welt, die aus Gottes Verlangen nach
dem eigenen Wesen hervorgegangen war,

„Ich will alles, was ist, mit dem siebenfachen Ring seines Ich umgeben, un-
durchdringlich von außen und innen. Dies erste Gesetz soll Ursprung und Mutter
aller sein," - Da legte sich das ungestüme Rasen und das All sank mählich in
dumpfe Gelbsteinsamkeit. Die großen Genien trauerten, denn sie fühlten, daß
Gott am eigenen Wesen litt

In der Gelbsteinsamkeit der Welt fand Gott die Ruhe seiner ersten wesen-
losen Ewigkeit nicht. Alles Sein lag in dem siebenfachen Ring des ersten Ge-
setzes und verzehrte sich im Verlangen, denn in jedem pulste die allgebärende
Kraft, Aber nicht Wasser noch Stein, nicht Lust noch Pflanze und Tier, nicht
Sternb.ld noch letztes Teichen, auch keiner der großen Genien vermochte das
Gesetz zu durchbr.chen. Sie waren je einzig und allein im All und wußte» doch
von den andern. Wo immer sich die Vaseinsringe berührten und kreuzten nnd sei
es auch, daß sie einander bis an den innersten durchdrangen, jedes Geschöpf er-
faßte und bewältigte von dem andern nur das, was ihm von Anbeginn ureigen,
und blieb einzig und allein,

Gott sühlke in dem Verlangen der Welt sein eigenes nach einem Wesen, das die
Welt von jener Schuldbefreie, durch die das erste Gesetz gekommen war: nach einem
Wesen, das den siebenfachen Ring seines Ich durchbräche, oi ne schuldig zu werden,
Und weil Gottes Verlangen ebensowenig im kleinsten llrkörperchen beschränkt als
von dem größten Gterngebilde umfaßt werden kann, schu, er auf einer der winzigen
Erden den Menschen, Die Sehnsucht der ganzen Welt war in den Menschen gelegt.

Gott rief kie Genien zu sich. „Ich habe die Sehnsucht der Welt in die Brust
des Menschen gelegt, daß er die Schuld der Schöpfung sühne und den sieben-
fachen Ring der Selbsteinsamkeit durchbreche. Doch wo ist ein Geschöpf, das
wissentlich solche Last ertrüge ohne zu vergehen? Es müßte mir gleich sein. -
Also habe ich dem Menschen verliehen, daß er die Grenzen seines Ich nicht kenne
und nicht wisse, was gut und böse ist. Denn wer erlösen soll, muß voll Gnade sein."

Der Mensch aber nahm die Gnade Gottes wie ein Verdienst, Und ob ihn auch
ahnende Unrast von Lager und Spiel trieb, sodaß er hohe Felsen erstieg, um über
die Wipfel hinweg in die Schneeberge zu sehen, er sank doch immer wieder er-
sättigt in den Schoß seines Weibes und aß ein schläferndes Genügen an den
reichen Früchten des Gartens Eden,

Nach eines Tages zielloser Wanderung war der Mensch mit wunden Sohlen
an das Gestade des Meeres gelangt und sah wie die Sonne, ferner denn je, wo
Himmel und Erde in eins verschwamme», entschwand. Es ergriff ihn die Sehn-
sucht neu und gewaltiger, er breitete die Arme gegen Untergang,

IGUNG GOTTES

E. G. Kolbe nheyer

Da erhob sich an der äußersten Grenze des Wassers eine Gestalt wie ein
Wolkenturm und wuchs in den leuchtenden Himmel auf bis zur Mittagshöhe.
Sie schwebte über dem Meeresspiegel mit Sturmeseile näher und verlor zu-
sehends ihre Riesengröße, sodaß sie endlich Aug in Aug vor dem Menschen stand,
„Warum bist du nicht in Eden bei deinem Weibe geblieben? Neben deinem
Mooslager harren die herrlichsten Früchte auf roten Weinblättern, Das Weib
verlangt nach dir. Du aber stehst hungernd und durstend mit wunden Sohlen am
Gestade, wo keine süße Quelle stießt und kaum ein fruchtbarer Halm grünt! Bist
du deines Glückes satt?"

„Ich weiß nicht, was du meinst. Es trieb mich hierher."

„Er trieb dich, Mensch! Er, dessen göttliche Laune uns erschaffen! Er, der in
die quälende Enge unseres Ich seinen unbändigen Drang gegossen, daß wir an
ihm schuldig werden! Du dürstest, Mensch? Hier ist Wasser in endloser Fülle.
Trink, lösche den Brand deines Gaumens im Meer!"

Der Mensch wich einen Schritt zurück und sank auf einen Stein nieder. Die
Ginne wurden ihm schwer, und das Blut brauste in mächtigen Stößen den
Wellen gleich, die seine heißen Fuße pulsend umspülten. Seine Nüstern zogen
die feuchte Lust ein. Er riß sich empor, schritt bis an die Hüsten ins Meer, schöpfte
und trank begierig. Aber die Salzflut ließ seinen Durst nur heftiger aufbrennen,
Oer Mensch lauschte in die sinkende Nacht, deren stumpfes Licht die Wellen-
täler schwerer färbte. Wie der Ga'ztrunk seinen Gaumen, so brannten die qual-
vollen Worte des Versuchers in seinem Herzen, Er wandte sich langsam um, denn
die Flut war ihm bis an die Brust gestiegen. Aber er sah die Gestalt nicht mehr.
Die Wellen peitschten ihn ans Land und meerwärts fuhr ihn ein Sturm an,
als wolle weder Wasser noch Land seinen Leib, Er rang sich hindurch und das
ilfer hinan gegen Eden zu. Seine Stirn war im Trohe gefaltet, er fühlte nicht
Hunger und Durst und nicht den Schmerz seiner Sohlen,

„Wo bist du, Frager? Wo bist du, du Kluger? Mich bekümmert dein Drang,
Auch ich bin allein. Ich will meine Einsamkeit brechen und sollte ich schuldig
werden wie du!"

Ein Schrei gellte durch die Welt, als müsse alle Kreatur des jammervollen
Todes sterben, Adam irrle durch das Llngestüm, das ihn mit Flammen und
Frost, mit Waffergüffen und stürzenden Berghängen umtoste. Der Garten Eden
brannte, eine einzige Lohe, Vor den Trümmern seines Felstores lag regungslos
das Weib, - Adam nahm Eva auf und trug sie in die Niederung,

Verloren war Eden mit seinen reichen Früchten und süßen Quellen, Das un-
gestillte Verlangen Gottes und der Kreatur war in des Menschen Brust geblieben,

Adam sah die Erde karg, das Tier scheu und verwildert. Sein Rücken erlahmte
unter des Lebens Notdurst, seine Nägel brachen und seine Finger bluteten. Da
griff er zu Stein und Keule, erkannte die Schärfe der Muschelschalen, wand
Stränge aus Lianentrieben, schärfte Wurzelknorren zur Pflugschar, fing das
wilde Getier, band und zähmte es. Er überschritt die Schranken seines Leibes,
Und das Weib wurde ihm Gefährtin: aus der Qual ihrer Geburlswehen brach
ein Quell grenzenlo en Opferwillens.

Adams Hände erhärteten am Werkzeug. Mühsal und Schweiß durchfurchten
Stirn und Wangen. Seines Weibes Leib wurde herb und ihr Blick war den
Kindern zugewandt. Sie genossen ihr Mahl, nicht nur um den Hunger zu stillen,
auch um zu rasten.

Das Lebensgeschenk, der Garten Eden, war ihnen genommen. Aber in dem
gewaltigen Ringen um des Lebens Noldurst ward ihnen die karge Erde zur
Heimat und das Glück der Ihren schien ihnen köstlicher als ihr eigenes.

Als Adam alterte und er sein Weib begraben hatte, trieb ihn eine friedvolle
Sehnsucht an jenes Gestade und er verharite im Schweigen gelöster Einsamkeit,
bis die vertraute Sonne in die Flut gesunken war.

Da trat der Versucher neben ihn,

„Adam, wo ist deine Iugendfülle? Wo ist dein herrliches Verlangen? Du
warst auf dem Wege, Gott gleich zu werden!"

„Ich weiß nicht, was du meinst. Es kam Sorge und Arbeit über mich, die ließen
mich meiner vergessen,"

„Mensch, du warst Herr, und Gott erniedrigte dich zum Knecht! Willst du dein
Eden verleugnen? Tue deine matten Augen auf! Alles lebt um des eigenen Ichs
willen, und du wurdest ein Knecht! Verflucht hat dich Gott, weil du mir folgtest
und aus der Salzflut trankst. Verflucht: Im Schweiße deines Angesichtes sollst
du dein Brot essen, bis du wieder Erde wirst, davon du genommen bist!"

Adam wandte seinen Kopf von der Gestalt und sah über das Meer hinweg
in den verlöschenden Himmel, Er sagte mehr zu sich selbst: „War es ein Fluch?
— Du einsamer, du armer Geist,.."

Da fiel der Versucher zu des Menschen Füßen nieder.

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Erwin Guido Kolbenheyer: Die Rechtfertigung Gottes
 
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