*
SPLITTER
Der Krieg ist uns die roheste Art unv Weise, in
der die Menschheit sich selber schadet, die rafstnkerteste
heißt: Kultur. ' Wolfgang Krämer
Den guten Geist unseres Schicksals verletzen
wir nicht so leicht, wo wir unser Glück mit Füßen
treten, als wo wir glauben, uns plump und be-
quem Hinsehen zu dürfen. Baer-Oos
2m tiefsten Sinn verlieren, kann man einen
Menschen nur durch das Leben, nicht durch den Tod.
Wer lebt wie er soll, ist ein Sklave, wer lebt
wie er will ein Egoist, und nur wer lebt wie er
muß, ist eine Persönlichkeit. Undine au
*
*
SPLITTER
»Allgemeines Wohlwollen" — hat das nicht
einen verächtlichen Beigeschmack?
Große Menschen sind gleichermaßen km Stande,
sich von der Menge abzuheben, wie in ihr zu ver-
schwinden. Niemqls aber „mischen" sie sich.
Aus dem Wege von dir zu mir, von mir zu
dir sitzt irgendwo das Bein. Wir machten ein
Leben lang um die Stelle einen Umweg. Wir
waren Freunde.
Schweigsamkeit mag in vielen Fällen bloß ein
Mimikry für Klugbeit sein. Immerhin ist die Wahl
des Mittels anzuerkennen. Alfred Grüaewald
*
DAS DIENSTMÄDCHEN
Bon Emil Gradl (Wien)
Der Schriststeller Bensamkn Knoh trat in das Stellenvermkttlungsbureau
ein und fragte: «Nun, was haben Sie gegenwärtig für eine Auswahl?"
Dabei streiste er langsam die Handschuhe ab und gab sich den Anschein, als
sei ihm eben im Vorübergehen der Gedanke gekommen, für seine Frau ein
Dienstmädchen auszunchmen, ihr eine kleine Überraschung zu bereiten, über
die sie sich freuen sollte. Ja, wie er sich zu der Schalteröffnung nieverbcugte
und elegant ein Bein vorsehte, sah es wahrhastig aus, als schicke er sich an,
ein umfangreiches Hauspersonal zu engagieren mit Kutschern, Kammerzofen,
Lakaien, eventuell sogar einer eigenen Silberbeschlkeßerin. Wie? Man konnte
prachtvolle, massive Silberschüsseln in den Kästen haben und unersetzliche
Bestecke, eine ganze Unzahl von Bestecken.
Schließlich einigte er sich auf ein Mädchen vom Lande, das sechzig Kronen
monatlich, Verpflegung und gute Behandlung zugesprochen erhielt. Ein-
verstanden. Eigentlich hatte er nur mit einer Ausgabe von fünfzig Kronen
gerechnet, fünfzig Kronen sind immerhin kein Pappenstiel, es ist eine Note,
die man nicht mehr in die Westentasche steckt, sondern in die Brieftasche.
Nun waren es sechzig Kronen und Benjamin strich mit zwei Fingern seiner
Rechten über die perlende Stirn, denn leider schwitzte er, wenn er Sorgen
hatte, das ließ sich nun einmal nicht vermeiden.
Übrigens fand er sehr bald sein Gleichgewicht wieder, beim Betreten der
Wohnung pfiff er sich sogar eine kleine Melodie und war gefaßt und auf-
geräumt, so daß kein Mensch das Zittern seiner Seele bemerken konnte.
„Liebe Frau," sagte er und erzählte, wo er gewesen. Sie lag km Bett und
strich mit den rauhen, abgearbeiteten Fingern über die Decke und sagte:
„Du Guter". Mehr sagte sie nicht, aber Bensamkn freute sich, daß ihn der
Unterschied von zehn Kronen nicht von seinem Vorhaben abgebracht hatte,
und daß er auch dieses Opfer aus sich zu nehmen entschlossen war. Denn
seine Frau litt ein wenig an den Nieren, sie preßte oft die Hände kn die
Seiten und stöhnte in einem kleinen, runden Laut. Ja, sie war nicht ganz
gesund, Gott sei's geklagt, und brauchte eine kleine Hilfe.
Benjamin setzte sich auf den Beltrand und lachte und hieb mit der Hand
auf seinen Schenkel, daß es klatschte. „Was sagst du?" rief er und wußte
sich vor Selbstbewußtsein nicht zu halten. „Ob es unsere Verhältnisse
erlauben? Hoho, da sollst du noch ganz andere Dinge erleben, das
wirst du sehen. Es kann nicht mehr lange dauern, so nehmen wir auch
eine Köchin ins Haus, die von früh bis abends nichts anderes tun wird,
als Buttertekg kneten und Sauce über den dampfenden Braten gießen.
,Was befehlen gnädige Frau zur Abendtafelfi kann sie dich fragen, und
dann zählst du die Gänge auf."
Während Benjamin so sprach, fühlte er die Kraft in sich, seine Einnahmen
mit Leichtigkeit so weit zu steigern, daß er damit den Untcrhali eines Dienst-
mädchens bestreiten konnte. O ja, es waren Energien in ihm aufgespeichert,
die nach Betätigung rangen, sein Gehirn zuckte in schöpferischen Wehen.
Blinkende Gedanken sprangen auf wie Goldfische an der Oberfläche eines
Teiches, er mußte nur zugreifen und sie festhalten. Es fiel ihm ein, daß er
die Tage noch lange nicht so ausgenützt hatte, wie er es konnte, da unv
dort gab es noch Stunden, die er leer wie einen Luftballon in die Ewig-
keit fliegen ließ.
Nun wuchtete das Mädchen vom Lande mit zäh kämpfenden Beinen durch
die Wohnung, sie ging, als müsse sie bei jedem Schritt den Fuß aus kleb-
rigen Ackerschollen ziehen, obwohl ihr ein gutgewichfter Parkettboden zur
Verfügung stand. Ihre Brüste schwell en vor Kraft, und wenn sie sich scheuernd
nkcderbeugte, dann bekam man einen Begriff von ihren Ausmaßen, den man
nicht so bald vergaß. Ja, ja, ein gesunder Menschenschlag, dachte Benjamin,
und um Rosa leichter an sein Haus zu gewöhnen, fragte er nach den Lebens-
verhältnissen in ihrer Heimat. Rosa dachte wohl, daß er einen Witz ge-
macht habe, sie deutete die Frage nach ihren Verhältnissen vielleicht kn
frivoler Weise und lachte. Gott, was war das für ein Lachen! Ihre weißen
Zahnreihen entblößten sich, es war, als habe man einen Klavierdeckel ge-
öffnet.
Zum Glück war auch ihr Magen gesund, so daß sie sich bei Kräften er-
halten unv selbst die schwersten Arbeiten verrichten konnte. Man kann wohl
sagen, daß sie gegen gar keine Speise einen angeborenen Widerwillen zeigte,
nein, im Gegenteil. Ost kam Benjamin zu ungewöhnlicher Zeit in die Küche,
um bei der Wasserleitung seine arbeitsheiße Stirn zu kühl n. Dann saß
Rosa, das Dienstmädchen, stets da und kaute, während ihre Augen vor
lauter Wollust nur noch einen schmalen Spalt bildeten. Sie gab sich mit
ganzer Seele der Beschäftigung des Kauens hin, es war ein heiliger Akt,
bei dem die rechteckigen Kieferknochen malmend sangen. Benjamin freute sich
über ihren rechtschaffenen Appetit, Gott segne ihn, dachte er und meinte es
ehrlich, wenn er in seiner gütigen Art fragte: „Schmeckt's, Rosa?" Sie
blickte ihn an und stieß durch einen Klumpen von Wurst, Kartoffeln und
Kraut ein zufriedenes „Danke" hervor.
Als Benjamin wieder ins Zimmer trat, fragte seine Frau: „Ist dir so
heiß, Benjamin?" Er wischte den Schweiß von der Stirn und weiterte
gegen die Kohlenverschwendung, es sei eine unerträgliche Hitze. Aber es
stellte sich heraus, daß das Feuer im Ofen längst erloschen war,- nun, daraus
war nichts zu erwidern.
Es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß Benjamin alle seine Fähig-
keiten ausschöpfen, jedes Ouentchen Zeit kn heißer Anstrengung nützen mußte,
um die gesteigerten tzaushattungskoften zu befreiten. So machte er sich
voll Eifer hinter seine Arbeiten, wühlte alle Notizblätter aus den Schub-
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Der Krieg ist uns die roheste Art unv Weise, in
der die Menschheit sich selber schadet, die rafstnkerteste
heißt: Kultur. ' Wolfgang Krämer
Den guten Geist unseres Schicksals verletzen
wir nicht so leicht, wo wir unser Glück mit Füßen
treten, als wo wir glauben, uns plump und be-
quem Hinsehen zu dürfen. Baer-Oos
2m tiefsten Sinn verlieren, kann man einen
Menschen nur durch das Leben, nicht durch den Tod.
Wer lebt wie er soll, ist ein Sklave, wer lebt
wie er will ein Egoist, und nur wer lebt wie er
muß, ist eine Persönlichkeit. Undine au
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»Allgemeines Wohlwollen" — hat das nicht
einen verächtlichen Beigeschmack?
Große Menschen sind gleichermaßen km Stande,
sich von der Menge abzuheben, wie in ihr zu ver-
schwinden. Niemqls aber „mischen" sie sich.
Aus dem Wege von dir zu mir, von mir zu
dir sitzt irgendwo das Bein. Wir machten ein
Leben lang um die Stelle einen Umweg. Wir
waren Freunde.
Schweigsamkeit mag in vielen Fällen bloß ein
Mimikry für Klugbeit sein. Immerhin ist die Wahl
des Mittels anzuerkennen. Alfred Grüaewald
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DAS DIENSTMÄDCHEN
Bon Emil Gradl (Wien)
Der Schriststeller Bensamkn Knoh trat in das Stellenvermkttlungsbureau
ein und fragte: «Nun, was haben Sie gegenwärtig für eine Auswahl?"
Dabei streiste er langsam die Handschuhe ab und gab sich den Anschein, als
sei ihm eben im Vorübergehen der Gedanke gekommen, für seine Frau ein
Dienstmädchen auszunchmen, ihr eine kleine Überraschung zu bereiten, über
die sie sich freuen sollte. Ja, wie er sich zu der Schalteröffnung nieverbcugte
und elegant ein Bein vorsehte, sah es wahrhastig aus, als schicke er sich an,
ein umfangreiches Hauspersonal zu engagieren mit Kutschern, Kammerzofen,
Lakaien, eventuell sogar einer eigenen Silberbeschlkeßerin. Wie? Man konnte
prachtvolle, massive Silberschüsseln in den Kästen haben und unersetzliche
Bestecke, eine ganze Unzahl von Bestecken.
Schließlich einigte er sich auf ein Mädchen vom Lande, das sechzig Kronen
monatlich, Verpflegung und gute Behandlung zugesprochen erhielt. Ein-
verstanden. Eigentlich hatte er nur mit einer Ausgabe von fünfzig Kronen
gerechnet, fünfzig Kronen sind immerhin kein Pappenstiel, es ist eine Note,
die man nicht mehr in die Westentasche steckt, sondern in die Brieftasche.
Nun waren es sechzig Kronen und Benjamin strich mit zwei Fingern seiner
Rechten über die perlende Stirn, denn leider schwitzte er, wenn er Sorgen
hatte, das ließ sich nun einmal nicht vermeiden.
Übrigens fand er sehr bald sein Gleichgewicht wieder, beim Betreten der
Wohnung pfiff er sich sogar eine kleine Melodie und war gefaßt und auf-
geräumt, so daß kein Mensch das Zittern seiner Seele bemerken konnte.
„Liebe Frau," sagte er und erzählte, wo er gewesen. Sie lag km Bett und
strich mit den rauhen, abgearbeiteten Fingern über die Decke und sagte:
„Du Guter". Mehr sagte sie nicht, aber Bensamkn freute sich, daß ihn der
Unterschied von zehn Kronen nicht von seinem Vorhaben abgebracht hatte,
und daß er auch dieses Opfer aus sich zu nehmen entschlossen war. Denn
seine Frau litt ein wenig an den Nieren, sie preßte oft die Hände kn die
Seiten und stöhnte in einem kleinen, runden Laut. Ja, sie war nicht ganz
gesund, Gott sei's geklagt, und brauchte eine kleine Hilfe.
Benjamin setzte sich auf den Beltrand und lachte und hieb mit der Hand
auf seinen Schenkel, daß es klatschte. „Was sagst du?" rief er und wußte
sich vor Selbstbewußtsein nicht zu halten. „Ob es unsere Verhältnisse
erlauben? Hoho, da sollst du noch ganz andere Dinge erleben, das
wirst du sehen. Es kann nicht mehr lange dauern, so nehmen wir auch
eine Köchin ins Haus, die von früh bis abends nichts anderes tun wird,
als Buttertekg kneten und Sauce über den dampfenden Braten gießen.
,Was befehlen gnädige Frau zur Abendtafelfi kann sie dich fragen, und
dann zählst du die Gänge auf."
Während Benjamin so sprach, fühlte er die Kraft in sich, seine Einnahmen
mit Leichtigkeit so weit zu steigern, daß er damit den Untcrhali eines Dienst-
mädchens bestreiten konnte. O ja, es waren Energien in ihm aufgespeichert,
die nach Betätigung rangen, sein Gehirn zuckte in schöpferischen Wehen.
Blinkende Gedanken sprangen auf wie Goldfische an der Oberfläche eines
Teiches, er mußte nur zugreifen und sie festhalten. Es fiel ihm ein, daß er
die Tage noch lange nicht so ausgenützt hatte, wie er es konnte, da unv
dort gab es noch Stunden, die er leer wie einen Luftballon in die Ewig-
keit fliegen ließ.
Nun wuchtete das Mädchen vom Lande mit zäh kämpfenden Beinen durch
die Wohnung, sie ging, als müsse sie bei jedem Schritt den Fuß aus kleb-
rigen Ackerschollen ziehen, obwohl ihr ein gutgewichfter Parkettboden zur
Verfügung stand. Ihre Brüste schwell en vor Kraft, und wenn sie sich scheuernd
nkcderbeugte, dann bekam man einen Begriff von ihren Ausmaßen, den man
nicht so bald vergaß. Ja, ja, ein gesunder Menschenschlag, dachte Benjamin,
und um Rosa leichter an sein Haus zu gewöhnen, fragte er nach den Lebens-
verhältnissen in ihrer Heimat. Rosa dachte wohl, daß er einen Witz ge-
macht habe, sie deutete die Frage nach ihren Verhältnissen vielleicht kn
frivoler Weise und lachte. Gott, was war das für ein Lachen! Ihre weißen
Zahnreihen entblößten sich, es war, als habe man einen Klavierdeckel ge-
öffnet.
Zum Glück war auch ihr Magen gesund, so daß sie sich bei Kräften er-
halten unv selbst die schwersten Arbeiten verrichten konnte. Man kann wohl
sagen, daß sie gegen gar keine Speise einen angeborenen Widerwillen zeigte,
nein, im Gegenteil. Ost kam Benjamin zu ungewöhnlicher Zeit in die Küche,
um bei der Wasserleitung seine arbeitsheiße Stirn zu kühl n. Dann saß
Rosa, das Dienstmädchen, stets da und kaute, während ihre Augen vor
lauter Wollust nur noch einen schmalen Spalt bildeten. Sie gab sich mit
ganzer Seele der Beschäftigung des Kauens hin, es war ein heiliger Akt,
bei dem die rechteckigen Kieferknochen malmend sangen. Benjamin freute sich
über ihren rechtschaffenen Appetit, Gott segne ihn, dachte er und meinte es
ehrlich, wenn er in seiner gütigen Art fragte: „Schmeckt's, Rosa?" Sie
blickte ihn an und stieß durch einen Klumpen von Wurst, Kartoffeln und
Kraut ein zufriedenes „Danke" hervor.
Als Benjamin wieder ins Zimmer trat, fragte seine Frau: „Ist dir so
heiß, Benjamin?" Er wischte den Schweiß von der Stirn und weiterte
gegen die Kohlenverschwendung, es sei eine unerträgliche Hitze. Aber es
stellte sich heraus, daß das Feuer im Ofen längst erloschen war,- nun, daraus
war nichts zu erwidern.
Es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß Benjamin alle seine Fähig-
keiten ausschöpfen, jedes Ouentchen Zeit kn heißer Anstrengung nützen mußte,
um die gesteigerten tzaushattungskoften zu befreiten. So machte er sich
voll Eifer hinter seine Arbeiten, wühlte alle Notizblätter aus den Schub-
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