Das
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von Helene v
Llise Blubberelt nimmt einen Holzstuhl aus der Rüche, geht hinaus in
den Garten zum jZohannisbeerpflücken. Über dem dunklen stumpfen taub
der Büsche spannen sich weiße Fäden und Gardinenfetzen, aber die schwarzen
drosseln kümmern sich nicht darum, schmatzen und schnattern, flattern ein-
zeln davon, kommen zu dreien zurück.
Das Mädchen sitzt, hat die Schüssel im Schoß, beert die glänzenden
Trauben ab, ein wenig achtlos, reißt Blätter mit, quetscht die Früchte, daß
der rötliche Säst ihre schweren Finger färbt. Manchmal sinkt ein Bein des
Stuhles in ein Maulwurfsloch, langsam begreift die Ruhende, was los ist,
sucht sich auf der schiefen Lbene zu halten, bevor sie zögernd aufsteht, den
Stuhl auf sicheren Grund rückt.
Sie ist ganz allein zwischen den blankrieselnden Baumwänden des be-
sonnten Gartens. Hier unten rührt sich kein Blatt, aber in den hohen Wipfeln
brandet der Dstwind. Lücken zwischen den Stämmen, Lücken im Dornzaun
— draußen das blutschimmernde Rleefeld, fern ein Fetzen Luft — ist Luft so
blau? Rein, es ist das Meer, das Heimatmeer, und soviel Tage und Stunden
doch weg von dem Meere, das ihre Heimat kennt... Lrinnern zuckt, wird
nicht wirklicher als der Schatten eines Vogels, der vorbelblitzt. Da - sahst
du ihn, bunt und schön? aber schon ist er hin, so schnell, daß er vielleicht nie-
mals war — man mochte locken und weiß nicht mehr wen...
Nun wird es ein volles Aahr, feit Llise Blubberest keine Heimat mehr
hat. Nicht so war's ihr geschehen wie anderen Menschen, dle mit Tränen
und Herzeleid in die Fremde müssen. Litern waren niemals da für sie, aber
das weiße Lehmhaus, die Ziege, der kleine Hund Hudas, bunt wie eine halb-
reife Nastanie, der Rohlgarten, das stachlich-flache Wäldchen in der Sattel-
düne — die Großmutter, dle vom Hochdeutschen, das die Lnkelin aus der
Schule mitbrachte, nichts verstand. Alles fraß der Rrieg — Mauern, Land
und Tiere, und die aste Frau, die den schiefen, von Sparren überdachten
Rest der Herdmauer nicht verlassen wollte. — Der Flüchtlingsstrom wälzte
sich hierhin, dorthin, endete in Berlin. LIise Blubberest, das große schwere
Mädchen mit dem lichten fühlenden Gesicht, war sechzehn ^ahre alt. Sie
hatte niemals Pflaster, Schienenwege, Spaziergänger gesehen. Sie nahm
nicht aus, erfaßte nicht, blieb ganz fern. Begriff von allem, was um sie
herum war, nur das Donnern und Brausen der großen Stadt, das schlim-
mer schien als alles, was zuhaus der Rrieg gebracht. Hier mußte man auf-
paffen, sich inachtnehmen, das haste man daheim nicht notig gehabt. Da war
keinerlei Zuflucht gewesen, kam doch alles wie es kommen sollte.
Zn der zweiten Woche ihres Aufenthaltes in der Hauptstadt sah Llise
jenseits derStraße ein Hündchen laufen, kastanienbraun gefleckt, mit schönen
weißen Füßen — das war kein anderes als ihres. „Audas!" schrie sie und
brach quer auf den Fahrdamm hinaus. Nach einer viertel Minute lag sie
unter den puffern einer Llektrischen. Ls wurde ihr mit einem Büschel Zopf
ein Stück Ropfhaut weggerissen, mehrere Zähne ausgebrochen, die Schulter
schwer verschürft. Lange lag sie in der Rlinik, Rrämpse stellten sich ein, die
die Genesung erschwerten Nach einem halben Hahre war sie leidlich her-
gestellt. Die Fürsorgestelle schickte sie zur Arbeit aufs Land, weit nach Norden,
übernahm es auch, den Prozeß gegen die Straßenbahn zu führen. Aber es
zeigte sich, daß den Wagenlenker keine Schuld traf, Augenzeugen bekräftig-
ten: blind und taub war das Mädchen in die Fahrlinie hinausgeschnellt.
Auf dem Gute haste man sie wohl ausgenommen, hielt sie ordentlich,
alle gröbste Arbeit war ihr Teil. Llise dachte nicht, verglich nicht, wirkte so
hin, zufrieden, nach all der lockeren und überflüssigen Zeit mit ihren Händen
und Füßen irgendwo dazuzugehären. Sie kannte keine Sehnsucht, alles was
hinter ihr war, haste aufgehärt zu sein, lebte nicht mehr, war von der
Rrankheit überwachsen. Nur manchmal, nicht wenn sie allein, sondern gerade
wenn sie unter vielen Menschen war, brach da eine inwendige Mauer ein.
Ls breitete sich vor ihren Augen, spülte um sie herum, floß über sie weg —
das war das Meer,das so böse sein konnte, grün und schaumig, und an anderen
Tagen so innigblau dahinlag, so blau, daß es süß wie Weinen war, sich hinzu-
denken ... Niemals weinte Llise, sprach auch kaum, dafür aber sang sie, wenn
alles was sie nicht wußte, am meisten lebendig war. Singen? Sie haste nie-
mals singen gekonnt. Da gibt es kein falsch und kein recht, keinen Laut, der
auf Noten zu bringen wäre. Wenn man will, ist's schon Gesang, aber nicht
der eines Vogels in Wäldern, es ist die Stimme eines großen klagenden
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aigt-Viederichs
Tieres, tief, einförmig suchend — die Hörer lachen, aber ihr selber ist's so
ernst, daß sie das Lachen nicht spürt wie etwas, das ihren Gesang betrifft.
An einem Hunitage, genau vor sechs Wochen, wurde auf dem Gute ein
neuer Schweizer eingestellt. Lr war grobschnauzig und empfindlich, schalt
viel, ließ sich selber nichts sagen. Das gehört zum Stallschweizxr wie das
rote Hemd. Unentbehrlich ist er. weiß von keinem Sonntag, weil doch auch
das Vieh mit Fressen und Milchgeben keinen Feiertag macht. Dafür teilt
er sich Zeit und Arbeit ein wie er mag. Findet sein Herr ihn am hellen Vor-
mittage hinterm Zaune schlafend, so denkt er wohl: der Rerl könnte die
Sense nehmen, hinter den angepsläckten Rühen her die Disteln wegrasieren
— aber er sagt das nicht. Bestenfalls würde der Schweizer aufstehen, die
Hände tief in den Hosentaschen, pfeifen, seine Papiere verlangen. — Dieser
Schweizerpaul ist jung und hoch, sehr mager, mit einem steilen Rops und
einem dicken braunen Haarbüschel in der Stirn, über der die Haut bis zu
den Dhren hin immer in Bewegung ist, sich spannt, Wellen schlägt; nicht nur
wenn er spricht, wenn er bloß denkt, tut sie das schon. Lr geht gebückt und
schlenkrig, war wohl eigentlich schwer lungensiech, hat sich aber an der vielen
Milch gesund getrunken. Trifft der Herr ihn mit dem Limer am Mund, so
fällt es Paul nicht ein, abzusetzen. Und der Herr geht still vorbei. Wenn er
sieht, muß er etwas sagen, und es ist besser, nichts zu sagen, nichts zu sehen.
Das Mädchen Llise Blubbereit sitzt im Garten, die Beerenschüssel im
Schoß. Die Sonne scheint aus ihren Rops, brennt durch das Tuch weg auf
der jungen Haut über der kahlen Stelle am Vorderkops. Das Tuch hat sie
als Rind schon gehabt, es ist gelbgeflockt mit schwarzen Streifen, ein rotes
Rosensträußchen prangt in jedem Feld. Das schwere braune Rleid, die ge-
webten Schürzen — nichts von allem ist ihr erhalten geblieben. Nur gerade
dieses eine Ropftuch hat sich durch all die Zeit hindurchgerettet, vielemal
gewaschen, besonnt, aber die Farben sind nicht totzukriegen.
Draußen auf dem Rieeseld hinterm Dornzaun klingen die Retten der
Rühe, ein Dust quillt von verdauten Rräutern, die Stimme des Schweizers
brodelt von ferne heran. Paul singt und schimpft, mitten drin steigt ein
Hodler auf. Lr ist fleißig und stark bei seinen Rühen, aber alles was er tut,
ist irgendwie gegen den Garten hingerichtet, fragt an den Baumwänden
herum — vor einer Stunde, als Llise sich den Stuhl für die Beeren holte,
stand er an der Rellertreppe, hätte gut und gern ein Gespräch angefangen,
ärgerte sich, daß er Lust dazu gehabt, drehte seine Augen wie Rorkenzieher
hinter dem stummen Mädchen her.
Llise lauscht hinaus, sieht vor sich den Lockenbüschel in des Schweizers
Stirn, greift an ihren eigenen Scheitel — in-diesem Augenblick sällt ihr ein,
daß Hulie. das hübsche Hausmädchen, ihr gesagt hat: Brennesseln graben,
in Weinessig kochen, das gibt ein gutes Nittel, daß über der Narbe die Haare
wiederkommen. Llise stellt die Beerenschüssel auf den Stuhl, tritt in die
hölzernen Sandalen, schleicht zur Unkrautwildnis in der Nähe des Zaunes.
Nit ihren bloßen Händen knickt sie die Nesseln, bohrt ihnen, in der lockeren
Lrde grabend, mit den Nägeln nach. Sie nimmt ihr Blumentuch vom Ropse,
knotet den Raub hinein, rollt und preßt ihn in die Tasche von ihrem Rock
— in einem Monat, vielleicht in einer Woche schon, wird daß weiße Loch in
ihren erdigbraunen Haaren zugewachsen sein. Sie späht durch den Zaun,
sieht ganz nah den Schweizer hocken vor der haarigen Ruh, sieht, wie die
braunen Männerhände an dem nackten weißen Luter locken, erschrickt,
fürchtet, er könne sie gesehen haben, kehrt zurück zu ihrer Schüssel, die
sonnenheiß, halbvoll von roten Beeren, in der Sonne steht und wartet.
Draußen jodelt der Schweizer. Seine Stimme schnappt, überschlägt sich
— ein Teufelskerl ist er, kein Tier kann so was. Llifens Hände vergessen das
pflücken. Sie hebt das Rinn, duckt sich und lauscht. Ls ist, wie wenn einer
sie nach ihrer Heimat fragt. Sie weiß von nichts, hat alles vergessen, ein
bittersüßer Drang zu antworten läßt ihre Lippen voneinander fallen. Zhre
Stimme schwimmt hinaus, rund und grau, — ein Seil zu einem Rnoten
gerollt, hingeworfen in das fremde Leben, daß jemand es ausfängt, zurück-
wirft, seinen lebendigen Anfang in sicheren Händen behält.
Der Hodler setzt ab. Line Weile bleibt es still draußen bei den heißen
duftenden Rühen, sogar das scharfe Strippen im Limer stockt. Llise ver-
nimmt das Schweigen, wie es lauscht durch ihren murmelnden Gesang.
Lauter singt sie, der offene Mund bleibt unbewegt, nur die Zunge hebt sich.
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Llise Blubberelt nimmt einen Holzstuhl aus der Rüche, geht hinaus in
den Garten zum jZohannisbeerpflücken. Über dem dunklen stumpfen taub
der Büsche spannen sich weiße Fäden und Gardinenfetzen, aber die schwarzen
drosseln kümmern sich nicht darum, schmatzen und schnattern, flattern ein-
zeln davon, kommen zu dreien zurück.
Das Mädchen sitzt, hat die Schüssel im Schoß, beert die glänzenden
Trauben ab, ein wenig achtlos, reißt Blätter mit, quetscht die Früchte, daß
der rötliche Säst ihre schweren Finger färbt. Manchmal sinkt ein Bein des
Stuhles in ein Maulwurfsloch, langsam begreift die Ruhende, was los ist,
sucht sich auf der schiefen Lbene zu halten, bevor sie zögernd aufsteht, den
Stuhl auf sicheren Grund rückt.
Sie ist ganz allein zwischen den blankrieselnden Baumwänden des be-
sonnten Gartens. Hier unten rührt sich kein Blatt, aber in den hohen Wipfeln
brandet der Dstwind. Lücken zwischen den Stämmen, Lücken im Dornzaun
— draußen das blutschimmernde Rleefeld, fern ein Fetzen Luft — ist Luft so
blau? Rein, es ist das Meer, das Heimatmeer, und soviel Tage und Stunden
doch weg von dem Meere, das ihre Heimat kennt... Lrinnern zuckt, wird
nicht wirklicher als der Schatten eines Vogels, der vorbelblitzt. Da - sahst
du ihn, bunt und schön? aber schon ist er hin, so schnell, daß er vielleicht nie-
mals war — man mochte locken und weiß nicht mehr wen...
Nun wird es ein volles Aahr, feit Llise Blubberest keine Heimat mehr
hat. Nicht so war's ihr geschehen wie anderen Menschen, dle mit Tränen
und Herzeleid in die Fremde müssen. Litern waren niemals da für sie, aber
das weiße Lehmhaus, die Ziege, der kleine Hund Hudas, bunt wie eine halb-
reife Nastanie, der Rohlgarten, das stachlich-flache Wäldchen in der Sattel-
düne — die Großmutter, dle vom Hochdeutschen, das die Lnkelin aus der
Schule mitbrachte, nichts verstand. Alles fraß der Rrieg — Mauern, Land
und Tiere, und die aste Frau, die den schiefen, von Sparren überdachten
Rest der Herdmauer nicht verlassen wollte. — Der Flüchtlingsstrom wälzte
sich hierhin, dorthin, endete in Berlin. LIise Blubberest, das große schwere
Mädchen mit dem lichten fühlenden Gesicht, war sechzehn ^ahre alt. Sie
hatte niemals Pflaster, Schienenwege, Spaziergänger gesehen. Sie nahm
nicht aus, erfaßte nicht, blieb ganz fern. Begriff von allem, was um sie
herum war, nur das Donnern und Brausen der großen Stadt, das schlim-
mer schien als alles, was zuhaus der Rrieg gebracht. Hier mußte man auf-
paffen, sich inachtnehmen, das haste man daheim nicht notig gehabt. Da war
keinerlei Zuflucht gewesen, kam doch alles wie es kommen sollte.
Zn der zweiten Woche ihres Aufenthaltes in der Hauptstadt sah Llise
jenseits derStraße ein Hündchen laufen, kastanienbraun gefleckt, mit schönen
weißen Füßen — das war kein anderes als ihres. „Audas!" schrie sie und
brach quer auf den Fahrdamm hinaus. Nach einer viertel Minute lag sie
unter den puffern einer Llektrischen. Ls wurde ihr mit einem Büschel Zopf
ein Stück Ropfhaut weggerissen, mehrere Zähne ausgebrochen, die Schulter
schwer verschürft. Lange lag sie in der Rlinik, Rrämpse stellten sich ein, die
die Genesung erschwerten Nach einem halben Hahre war sie leidlich her-
gestellt. Die Fürsorgestelle schickte sie zur Arbeit aufs Land, weit nach Norden,
übernahm es auch, den Prozeß gegen die Straßenbahn zu führen. Aber es
zeigte sich, daß den Wagenlenker keine Schuld traf, Augenzeugen bekräftig-
ten: blind und taub war das Mädchen in die Fahrlinie hinausgeschnellt.
Auf dem Gute haste man sie wohl ausgenommen, hielt sie ordentlich,
alle gröbste Arbeit war ihr Teil. Llise dachte nicht, verglich nicht, wirkte so
hin, zufrieden, nach all der lockeren und überflüssigen Zeit mit ihren Händen
und Füßen irgendwo dazuzugehären. Sie kannte keine Sehnsucht, alles was
hinter ihr war, haste aufgehärt zu sein, lebte nicht mehr, war von der
Rrankheit überwachsen. Nur manchmal, nicht wenn sie allein, sondern gerade
wenn sie unter vielen Menschen war, brach da eine inwendige Mauer ein.
Ls breitete sich vor ihren Augen, spülte um sie herum, floß über sie weg —
das war das Meer,das so böse sein konnte, grün und schaumig, und an anderen
Tagen so innigblau dahinlag, so blau, daß es süß wie Weinen war, sich hinzu-
denken ... Niemals weinte Llise, sprach auch kaum, dafür aber sang sie, wenn
alles was sie nicht wußte, am meisten lebendig war. Singen? Sie haste nie-
mals singen gekonnt. Da gibt es kein falsch und kein recht, keinen Laut, der
auf Noten zu bringen wäre. Wenn man will, ist's schon Gesang, aber nicht
der eines Vogels in Wäldern, es ist die Stimme eines großen klagenden
m a t m e e
aigt-Viederichs
Tieres, tief, einförmig suchend — die Hörer lachen, aber ihr selber ist's so
ernst, daß sie das Lachen nicht spürt wie etwas, das ihren Gesang betrifft.
An einem Hunitage, genau vor sechs Wochen, wurde auf dem Gute ein
neuer Schweizer eingestellt. Lr war grobschnauzig und empfindlich, schalt
viel, ließ sich selber nichts sagen. Das gehört zum Stallschweizxr wie das
rote Hemd. Unentbehrlich ist er. weiß von keinem Sonntag, weil doch auch
das Vieh mit Fressen und Milchgeben keinen Feiertag macht. Dafür teilt
er sich Zeit und Arbeit ein wie er mag. Findet sein Herr ihn am hellen Vor-
mittage hinterm Zaune schlafend, so denkt er wohl: der Rerl könnte die
Sense nehmen, hinter den angepsläckten Rühen her die Disteln wegrasieren
— aber er sagt das nicht. Bestenfalls würde der Schweizer aufstehen, die
Hände tief in den Hosentaschen, pfeifen, seine Papiere verlangen. — Dieser
Schweizerpaul ist jung und hoch, sehr mager, mit einem steilen Rops und
einem dicken braunen Haarbüschel in der Stirn, über der die Haut bis zu
den Dhren hin immer in Bewegung ist, sich spannt, Wellen schlägt; nicht nur
wenn er spricht, wenn er bloß denkt, tut sie das schon. Lr geht gebückt und
schlenkrig, war wohl eigentlich schwer lungensiech, hat sich aber an der vielen
Milch gesund getrunken. Trifft der Herr ihn mit dem Limer am Mund, so
fällt es Paul nicht ein, abzusetzen. Und der Herr geht still vorbei. Wenn er
sieht, muß er etwas sagen, und es ist besser, nichts zu sagen, nichts zu sehen.
Das Mädchen Llise Blubbereit sitzt im Garten, die Beerenschüssel im
Schoß. Die Sonne scheint aus ihren Rops, brennt durch das Tuch weg auf
der jungen Haut über der kahlen Stelle am Vorderkops. Das Tuch hat sie
als Rind schon gehabt, es ist gelbgeflockt mit schwarzen Streifen, ein rotes
Rosensträußchen prangt in jedem Feld. Das schwere braune Rleid, die ge-
webten Schürzen — nichts von allem ist ihr erhalten geblieben. Nur gerade
dieses eine Ropftuch hat sich durch all die Zeit hindurchgerettet, vielemal
gewaschen, besonnt, aber die Farben sind nicht totzukriegen.
Draußen auf dem Rieeseld hinterm Dornzaun klingen die Retten der
Rühe, ein Dust quillt von verdauten Rräutern, die Stimme des Schweizers
brodelt von ferne heran. Paul singt und schimpft, mitten drin steigt ein
Hodler auf. Lr ist fleißig und stark bei seinen Rühen, aber alles was er tut,
ist irgendwie gegen den Garten hingerichtet, fragt an den Baumwänden
herum — vor einer Stunde, als Llise sich den Stuhl für die Beeren holte,
stand er an der Rellertreppe, hätte gut und gern ein Gespräch angefangen,
ärgerte sich, daß er Lust dazu gehabt, drehte seine Augen wie Rorkenzieher
hinter dem stummen Mädchen her.
Llise lauscht hinaus, sieht vor sich den Lockenbüschel in des Schweizers
Stirn, greift an ihren eigenen Scheitel — in-diesem Augenblick sällt ihr ein,
daß Hulie. das hübsche Hausmädchen, ihr gesagt hat: Brennesseln graben,
in Weinessig kochen, das gibt ein gutes Nittel, daß über der Narbe die Haare
wiederkommen. Llise stellt die Beerenschüssel auf den Stuhl, tritt in die
hölzernen Sandalen, schleicht zur Unkrautwildnis in der Nähe des Zaunes.
Nit ihren bloßen Händen knickt sie die Nesseln, bohrt ihnen, in der lockeren
Lrde grabend, mit den Nägeln nach. Sie nimmt ihr Blumentuch vom Ropse,
knotet den Raub hinein, rollt und preßt ihn in die Tasche von ihrem Rock
— in einem Monat, vielleicht in einer Woche schon, wird daß weiße Loch in
ihren erdigbraunen Haaren zugewachsen sein. Sie späht durch den Zaun,
sieht ganz nah den Schweizer hocken vor der haarigen Ruh, sieht, wie die
braunen Männerhände an dem nackten weißen Luter locken, erschrickt,
fürchtet, er könne sie gesehen haben, kehrt zurück zu ihrer Schüssel, die
sonnenheiß, halbvoll von roten Beeren, in der Sonne steht und wartet.
Draußen jodelt der Schweizer. Seine Stimme schnappt, überschlägt sich
— ein Teufelskerl ist er, kein Tier kann so was. Llifens Hände vergessen das
pflücken. Sie hebt das Rinn, duckt sich und lauscht. Ls ist, wie wenn einer
sie nach ihrer Heimat fragt. Sie weiß von nichts, hat alles vergessen, ein
bittersüßer Drang zu antworten läßt ihre Lippen voneinander fallen. Zhre
Stimme schwimmt hinaus, rund und grau, — ein Seil zu einem Rnoten
gerollt, hingeworfen in das fremde Leben, daß jemand es ausfängt, zurück-
wirft, seinen lebendigen Anfang in sicheren Händen behält.
Der Hodler setzt ab. Line Weile bleibt es still draußen bei den heißen
duftenden Rühen, sogar das scharfe Strippen im Limer stockt. Llise ver-
nimmt das Schweigen, wie es lauscht durch ihren murmelnden Gesang.
Lauter singt sie, der offene Mund bleibt unbewegt, nur die Zunge hebt sich.
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