BEKLEMMUNG
Die Nachtigall sucht Liebe zu verkünden,
Die Blütenbäume träumen, träumen: Mai,
Oie Quelle klagt vom ewigen Einerlei,
Ich denke: Seele mein, wo wirst du münden?
Ein Stern löst plötzlich sich vom Himmel frei
Und fällt und war - der Mond scheint mich
zu meinen,
Gesichte drohen mir aus allen Hainen -
Die Quelle klagt vom ewigen Einerlei. ...
Herbert Barbar
Graphisches Kahmet
7*1 ax S Jevogl
MORGEN
Das Fenster stand offen die ganze Nacht,
Der Frühlingssturm riß Gewölle auf -
Nun ist Morgen und Sonne und kühle Lust
und das ganze Zimmer voll Fliederduft!
Ich habe gewacht und gewartet auf etwas
Oie Seele zu lösen aus dumpfer Qual -
Nun drängt mein Leben freudeerhellt -
Was soll ich tun, du selige Welt!? —
M A E
Von K. a r 1 C h r
Eröffnungsausftellung des Malerbundes „Der tönende Pinsel". An allen
Wänden Farbenorgien von aufrührerischer Lasterhaftigkeit. Oie Uneingeweihten
getrauten sich überhaupt nichts zu reden.
Ma Ekke hatte Saal um Gaal durchschritten und war schwer enttäuscht. Alles,
was da hing, war jür sie bereits Vorvergangenheit. Etliche ratlose Besucher
wagten es schon, ihre Art nachahmend, ganze Wandflächen voll Bilder mit einem
einzigen Blick abzutun, nur daß es diesen Leuten ohne mandelförmige Augen
und ohne schmale, überbleiche Hände auch nicht im entferntesten so gut gelingen
mochte. Eine Hülle von Müdigkeit bildete sich um sie, — aber da geschah das
nicht mehr Erwartete.
Ma Ekke mußte vor einem Bilde stehen bleiben, auf dem ein grasgrüner
Himmel schwer niedersank und ein nacktes, blaues Weib unter sich erdrückte Das
Blut lief ihr als hellgelber Bach aus den Füßen über die violette Erde hin.
Ma Elke verschlang die ungeheure Enthüllung ihrer eigenen Wesenheit in
diesem Bilde. Oie Ratlosen stauten sich um sie und blickten bewundernd auf ihr
kastanienbraunes Haar und ihren unnachahmlichen Modellhut.
Das Weitere vollzog sich in einer Weise, daß jedermann spürte, wie es mit
Notwendigkeit geschah Sie durchbrach den Schwarm derer, die, vom großen
Staunen ihrer Augen geblendet, aus dem Kataloge festzustellen versuchten, worum
es sich denn da eigentlich handle, und schritt in der unbeirrbaren Art tragischer
Heldmnen nach der Derkaufskanzlei.
Einige Sekunden später war das Bild ihr Eigentum.
Jos Klinkert, der Maler, wurde ihr vorgestellt. Er neigte sich tief vor ihr und fraß
sie hierauf wortlos mit einem einzigen langen Blicke. Ma Ekke hatte das Gefühl,
daß er sie gewissermaßen ganz eingenommen hatte und sie so besaß, daß ihr nichts
mehr für sich selbst übrig blieb. Und damit war für sie auch alles folgende bestimmt.
Als einige Wochen später das Bild beim Schluß der Ausstellung in Ma Ekkes
Haus wanderte, lud sie eines Tages Jos Klinkert zu Gast, um mit ihm über den
besten Platz für sein Werk zu beraten.
Er staunte über die Kultur, die er vorfand. Sie erwartete ihn im Zimmer
der roten Schreie, wie sie es nannte, weil es grau war und über die Wände hin
verteilt hellrote kurze Striche trug.
Angesichts der Tatsache, daß Jos Klinkert die erdrückte blaue Frau gemalt
hatte, war es unmöglich, daß er mit Ma einen regelrechten Dialog führte. Das
meiste, was er sprach, war ähnlich halb verschluckt wie der zweite Teil seines
Vornamens.
Eine weizengelb gepuderte junge Dame servierte geisterhaft lautlos den Tee.
„Ich kann ihre roten Wangen nicht sehen," sagte Ma Ekke. „Zch empfinde in
ihr zu sehr die Sklaverei des Dienstes, den ich nicht entbehren kann. Anders
wäre sie mir Lüge!" Go fein war Ma Ekke!
Oer Maler las ihr eines seiner Gedichte vor, in denen er mit Tönen pinselte.
Sie saß ganz zeitverloren und hörte:
„Blaue Frau.
Malmend nieder borstend Wildnis in Gaden,
Weib triefend versorgt,
nicht mehr entlöst und wartend in seidenen Gnaden,
die auf Spiralen des Lichtes Sehnsucht laden,
da eine Seele hoffnungsleer verargt."
Das war das Bild! Er hatte genau das gesagt, was sie empfand.
K K E
i a n Reh
Sie tranken den Tee in tiefer Derstummtheit. Llnd aks sie dem Bilde endlich
einen platz gegeben hatten, hing es ganz nahe der Diele. Es sah dort so ver-
sunken aus. Rechts davon stand auf einer Konsole die Statue des Mannes mit
dem gebrochenen Genick und der Raum war durch die beiden Kunstwerke wunder-
bar auf das Leiden abgestimmt.
Am selben Abende noch war es Ma Ekke klar, daß der Maler und Dichter des
„Blauen Weibes" der einzige Mensch war, der sich selbst zum Unerhörten erlöst hatte.
Es wirbelte Ios Klinkert vor den Augen, als er zwei Tage später einen Brief
aus schwerem, hellgelben, holländischen Bütten empfing, in dem sich nichts als die
Worte fanden: „Ich schreie Dich in mein Haus!"
Am Duste des Papiers erkannte er, wer ihn geschrieben hatte. Die Schrifi, in
der alle Haken zurückschlugen, war für ihn eine schier unmäßige Seelenenthüllung.
Er traf sie so, daß er die stundenlange Erwartung aus ihr fühlte.
„Wir wollen mitsammen schaffen," sagte sie. „Mein Reich bauen und Sie
sollen mir helfen!"
Sehr deutlich gebrauchte sie die Anrede „Sie" und er wußte also, daß jener
Brief mit den sechs Worten ein Gedicht war.
Wochen schwerster Arbeit brachen an. Sie erforschten mitsammen alle Dinge
des Hauses und des Gartens nach ihrer Wesenheit und erlösten sie dazu.
Er brachte ihr einen neuen Hund, der bei den Augen Krähenfüße hatte und
aussah, als verwundere er sich unaufhörlich. Wenn ein unerwünschter Gast kam,
saß dieser Hund neben Ma und es war sicher, daß vor seinem Blicke der Abschied
nicht lange auf sich warten ließ.
Alle Stühle wurden abgetan. Sie betteten ihre Leib-Lasten in Kuben und
Prismen, in denen man nicht mehr nur so dasaß, in denen man es vielmehr auch
immerzu denken mußte.
Im Zimmer der Nachdenklichkeit waren die Wandverkleidungen unter ver-
schiedenen Winkeln vor- und zurückgeneigt, und im Zimmer der Stille erschienen
zwei übereinander liegende Räume in eins verbunden.
Ein ganzer Stab von Maurern, Malern, Tischlern und Dekorateuren hatte
Tag und Nacht zu tun, ehe dies vollendet war.
Gleichzeitig fand auch der riesige Garten seine Erlösung. Oie Wege wurden
mit farbigen Schlackensteinen belegt und die Bäume und Siräucher ihrem Wesen
nach an Ästen und Zweigen gestutzt. Schließlich waren sie alle nichts mehr als
gewachsene Gebärden. Die Bäume im Osten und Westen starrten wie Beter
gegen Morgen und Abend hingekehrt; oder wie Galgen, meinte einer der un-
ehrerbietigen Gärtner. An den Bäumen der Mitte war ein seltsamer Kreiselzug
enthüllt und ihre Wipfel schwangen gleich riesenhast hohen Besen.
Aber was konnte Ios Klinkert dagegen tun, daß der ganz gewöhnliche Himmel
in Ma Elles Garten guckte? Daß unerlöste Wolken darüber zogen und unerlöste
Sterne nachts darüber funkelten? Hier schien die Grenze aller Möglichkeiten.
An jenem Abende, an dem sie dies erkannt hatte, fragte sie das einzige Wort:
„Vollendung?" Er wußte, daß sie letztes von ihm erwartete.
Oer Maler sann die ganze Nacht und am nächsten Morgen begann er den Bau
einer seltsamen Grotte aus Steinen, die wie schräge Riesennadeln aus der Erde
wuchsen. Als sie fertig war, konnte man aus dem llmfang einer runden Decken-
platte Wasser niederrieseln lassen, so daß es einen sie nernen Sitz in der Mitte
mit der Gestalt eines Zylinders umgab.
Ma empfand, es könne keine Erlösung mehr jenseits dieser kristallenen Wasser-
Hülle gefunden werden, durch die Klinkert ihrer beider Einsamkeit umgrenzte.
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Die Nachtigall sucht Liebe zu verkünden,
Die Blütenbäume träumen, träumen: Mai,
Oie Quelle klagt vom ewigen Einerlei,
Ich denke: Seele mein, wo wirst du münden?
Ein Stern löst plötzlich sich vom Himmel frei
Und fällt und war - der Mond scheint mich
zu meinen,
Gesichte drohen mir aus allen Hainen -
Die Quelle klagt vom ewigen Einerlei. ...
Herbert Barbar
Graphisches Kahmet
7*1 ax S Jevogl
MORGEN
Das Fenster stand offen die ganze Nacht,
Der Frühlingssturm riß Gewölle auf -
Nun ist Morgen und Sonne und kühle Lust
und das ganze Zimmer voll Fliederduft!
Ich habe gewacht und gewartet auf etwas
Oie Seele zu lösen aus dumpfer Qual -
Nun drängt mein Leben freudeerhellt -
Was soll ich tun, du selige Welt!? —
M A E
Von K. a r 1 C h r
Eröffnungsausftellung des Malerbundes „Der tönende Pinsel". An allen
Wänden Farbenorgien von aufrührerischer Lasterhaftigkeit. Oie Uneingeweihten
getrauten sich überhaupt nichts zu reden.
Ma Ekke hatte Saal um Gaal durchschritten und war schwer enttäuscht. Alles,
was da hing, war jür sie bereits Vorvergangenheit. Etliche ratlose Besucher
wagten es schon, ihre Art nachahmend, ganze Wandflächen voll Bilder mit einem
einzigen Blick abzutun, nur daß es diesen Leuten ohne mandelförmige Augen
und ohne schmale, überbleiche Hände auch nicht im entferntesten so gut gelingen
mochte. Eine Hülle von Müdigkeit bildete sich um sie, — aber da geschah das
nicht mehr Erwartete.
Ma Ekke mußte vor einem Bilde stehen bleiben, auf dem ein grasgrüner
Himmel schwer niedersank und ein nacktes, blaues Weib unter sich erdrückte Das
Blut lief ihr als hellgelber Bach aus den Füßen über die violette Erde hin.
Ma Elke verschlang die ungeheure Enthüllung ihrer eigenen Wesenheit in
diesem Bilde. Oie Ratlosen stauten sich um sie und blickten bewundernd auf ihr
kastanienbraunes Haar und ihren unnachahmlichen Modellhut.
Das Weitere vollzog sich in einer Weise, daß jedermann spürte, wie es mit
Notwendigkeit geschah Sie durchbrach den Schwarm derer, die, vom großen
Staunen ihrer Augen geblendet, aus dem Kataloge festzustellen versuchten, worum
es sich denn da eigentlich handle, und schritt in der unbeirrbaren Art tragischer
Heldmnen nach der Derkaufskanzlei.
Einige Sekunden später war das Bild ihr Eigentum.
Jos Klinkert, der Maler, wurde ihr vorgestellt. Er neigte sich tief vor ihr und fraß
sie hierauf wortlos mit einem einzigen langen Blicke. Ma Ekke hatte das Gefühl,
daß er sie gewissermaßen ganz eingenommen hatte und sie so besaß, daß ihr nichts
mehr für sich selbst übrig blieb. Und damit war für sie auch alles folgende bestimmt.
Als einige Wochen später das Bild beim Schluß der Ausstellung in Ma Ekkes
Haus wanderte, lud sie eines Tages Jos Klinkert zu Gast, um mit ihm über den
besten Platz für sein Werk zu beraten.
Er staunte über die Kultur, die er vorfand. Sie erwartete ihn im Zimmer
der roten Schreie, wie sie es nannte, weil es grau war und über die Wände hin
verteilt hellrote kurze Striche trug.
Angesichts der Tatsache, daß Jos Klinkert die erdrückte blaue Frau gemalt
hatte, war es unmöglich, daß er mit Ma einen regelrechten Dialog führte. Das
meiste, was er sprach, war ähnlich halb verschluckt wie der zweite Teil seines
Vornamens.
Eine weizengelb gepuderte junge Dame servierte geisterhaft lautlos den Tee.
„Ich kann ihre roten Wangen nicht sehen," sagte Ma Ekke. „Zch empfinde in
ihr zu sehr die Sklaverei des Dienstes, den ich nicht entbehren kann. Anders
wäre sie mir Lüge!" Go fein war Ma Ekke!
Oer Maler las ihr eines seiner Gedichte vor, in denen er mit Tönen pinselte.
Sie saß ganz zeitverloren und hörte:
„Blaue Frau.
Malmend nieder borstend Wildnis in Gaden,
Weib triefend versorgt,
nicht mehr entlöst und wartend in seidenen Gnaden,
die auf Spiralen des Lichtes Sehnsucht laden,
da eine Seele hoffnungsleer verargt."
Das war das Bild! Er hatte genau das gesagt, was sie empfand.
K K E
i a n Reh
Sie tranken den Tee in tiefer Derstummtheit. Llnd aks sie dem Bilde endlich
einen platz gegeben hatten, hing es ganz nahe der Diele. Es sah dort so ver-
sunken aus. Rechts davon stand auf einer Konsole die Statue des Mannes mit
dem gebrochenen Genick und der Raum war durch die beiden Kunstwerke wunder-
bar auf das Leiden abgestimmt.
Am selben Abende noch war es Ma Ekke klar, daß der Maler und Dichter des
„Blauen Weibes" der einzige Mensch war, der sich selbst zum Unerhörten erlöst hatte.
Es wirbelte Ios Klinkert vor den Augen, als er zwei Tage später einen Brief
aus schwerem, hellgelben, holländischen Bütten empfing, in dem sich nichts als die
Worte fanden: „Ich schreie Dich in mein Haus!"
Am Duste des Papiers erkannte er, wer ihn geschrieben hatte. Die Schrifi, in
der alle Haken zurückschlugen, war für ihn eine schier unmäßige Seelenenthüllung.
Er traf sie so, daß er die stundenlange Erwartung aus ihr fühlte.
„Wir wollen mitsammen schaffen," sagte sie. „Mein Reich bauen und Sie
sollen mir helfen!"
Sehr deutlich gebrauchte sie die Anrede „Sie" und er wußte also, daß jener
Brief mit den sechs Worten ein Gedicht war.
Wochen schwerster Arbeit brachen an. Sie erforschten mitsammen alle Dinge
des Hauses und des Gartens nach ihrer Wesenheit und erlösten sie dazu.
Er brachte ihr einen neuen Hund, der bei den Augen Krähenfüße hatte und
aussah, als verwundere er sich unaufhörlich. Wenn ein unerwünschter Gast kam,
saß dieser Hund neben Ma und es war sicher, daß vor seinem Blicke der Abschied
nicht lange auf sich warten ließ.
Alle Stühle wurden abgetan. Sie betteten ihre Leib-Lasten in Kuben und
Prismen, in denen man nicht mehr nur so dasaß, in denen man es vielmehr auch
immerzu denken mußte.
Im Zimmer der Nachdenklichkeit waren die Wandverkleidungen unter ver-
schiedenen Winkeln vor- und zurückgeneigt, und im Zimmer der Stille erschienen
zwei übereinander liegende Räume in eins verbunden.
Ein ganzer Stab von Maurern, Malern, Tischlern und Dekorateuren hatte
Tag und Nacht zu tun, ehe dies vollendet war.
Gleichzeitig fand auch der riesige Garten seine Erlösung. Oie Wege wurden
mit farbigen Schlackensteinen belegt und die Bäume und Siräucher ihrem Wesen
nach an Ästen und Zweigen gestutzt. Schließlich waren sie alle nichts mehr als
gewachsene Gebärden. Die Bäume im Osten und Westen starrten wie Beter
gegen Morgen und Abend hingekehrt; oder wie Galgen, meinte einer der un-
ehrerbietigen Gärtner. An den Bäumen der Mitte war ein seltsamer Kreiselzug
enthüllt und ihre Wipfel schwangen gleich riesenhast hohen Besen.
Aber was konnte Ios Klinkert dagegen tun, daß der ganz gewöhnliche Himmel
in Ma Elles Garten guckte? Daß unerlöste Wolken darüber zogen und unerlöste
Sterne nachts darüber funkelten? Hier schien die Grenze aller Möglichkeiten.
An jenem Abende, an dem sie dies erkannt hatte, fragte sie das einzige Wort:
„Vollendung?" Er wußte, daß sie letztes von ihm erwartete.
Oer Maler sann die ganze Nacht und am nächsten Morgen begann er den Bau
einer seltsamen Grotte aus Steinen, die wie schräge Riesennadeln aus der Erde
wuchsen. Als sie fertig war, konnte man aus dem llmfang einer runden Decken-
platte Wasser niederrieseln lassen, so daß es einen sie nernen Sitz in der Mitte
mit der Gestalt eines Zylinders umgab.
Ma empfand, es könne keine Erlösung mehr jenseits dieser kristallenen Wasser-
Hülle gefunden werden, durch die Klinkert ihrer beider Einsamkeit umgrenzte.
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