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DER

HEUE KNECHT

VON WILHELM SCHREMMER

q Die Hausdörferin ist mit ihren zwei Mägden auf dem Felde, oben am
Abhang, als (ich aus dem Gehest. am Feldweg entlang ein buntes Gemifch
herausjdiiebt: oben braun, in der Mitte weist, unten grün mit einem flat-
ternden Tuch, als wachse es schrittweise mit dem Raingras zusammen,
q Sie hätten es nicht bemerkt, denn fie find mitten im Rübenbehacken,
wenn nicht die Lust von fortwährenden Schreien erzittert wäre: „Haus-
dörferin, ha - halal - "
tj Weit schallt es in die Felder.

q „No, wus is denn dos?” sagt die Hausdörferin, indem ste ihre Augen
zufammenkneift und hinuntersieht Sie behält aber ihre alte Ruhe, hat fie
doch im Leben schon viel durchgemacht.

q Sie trocknet steh mit ihrer Schürze den Schweist ab, denn die Sonne
meint es gut, die in aller Verwunderung starr am Himmel stehen bleibt
und ebenso wie die Hausdörferin und ihre zwei Mägde den Abhang
hinunterschaut. Es wächst allmählich ein Mensth heraus, ein Mann,
q Die Mägde kichern, je näher er kommt. Die Sonne lacht, die Haus-
dörferin aber bleibt ernst.

q Er trägt eine überaus hohe braune Mütze, mit Umschlag und Knopf an
den Seiten, von altväterlichstem Aussehen, die sacke hinten am Bein-
kleid angehakt, das aus einem grünen Bettuch geschnitten scheint, wie
es die neueste Mode in die Gegend geworfen hatte,
q Gleich den Händen find die blosten Füste von ganz erstaunlicher Gröste,
die grünen Hofen, die mit jedem Grafe in ihrer Farbe wetteifern, unten
so enge, dast jeder Beschauer unwillkürlich die Knöpfe an der Seite sucht,
die das Anziehen erklären. Kein Auge entdeckt ste. Füste und Hofen bleiben
ein ungelöstes Rätsel, das Geheimnis unentdeckbarer Beziehungen und
steter Anteilnahme.

q „Hausdörferin,” sagt der Ankommende, abwechselnd feine Füste und die
Rüben anblickend, „braucht ihr 'n Knecht? Vielleicht besinnt d'r euch. Die
Arbeit kon ich olles, Rübahacken, ich kon säen, mit der Sense haun, er-
fahren mit en, mit zwee Musthlan. Sah dock, Hausdörferin, dreiundddreistig
johr bin ich fchunt Knecht. Ihr ward a ju och kenna, den Jachmann bei
der Eiche in Friedersdorf. Bei dem wor ich zuerst, der da fährt mit zwee
Ochsen. Der Schimmel is eigeganga. Und die ale Orlitten ei Henrichau und
der ale Gube, sah dock ihr Leute, 's ja nich anders möglich, wenn ste 's
afu treiba mit dem Vieh -

q Die Hausdörferin wartet, bis er ein Ende finde. Sie hat eine groste Ruhe.
Aber als es ohne Ende weiter geht, fährt ste in feine Rede hinein: „Seid
doch mol stille, hiert doch mol uf! Man weist ju nich, wos ma antworten
full, ma wird ju verwarrt.”

q Sie macht eine kleine Paufe und will ihn fragen. Er wartet das nicht
ab: „Hausdörferin, ich kenn Euren Moan. Lacht ok nich, ihr Jungfern!
A fuhr mit zwee Braunen. Ja, wie lange is fchunt har, do kam er noch
Michelsdorf amoll zur Arlitten. Die wor im Kühstolle, allene
q Sie must ihn wieder unterbrechen: „Wie heisten Se denn eigentlich?”
q „Leuchtmann Heinrich. Mein Voter kom immer zu Euch. Der is ju mit
Euch verwandt, denn dem Hausdorf (eine
rechte Schwester hotte 'n Bruder. Dem
(eine Schwester wor verheirotet - - - "
q Wieder fährt fie ihm darein; er scheint
es nicht zu merken.

q So reden ste zusammen. - „Hären Se
doch," schreit ste.

q Sie hat alles vergessen, was ste sagen
wollte, und als er schon wieder einfetzen
will, ruft ste: „Sie können doblein, wenn
Sie wulln!"

q Da legt er die Jacke nieder, trägt die
Unkräuter zusammen, bindet ste ins Gras-
tuch: „Sah dock, Hausdörferin und ihr
zwee Jungfern, dos Zeug must ma nich
wegtun. Der Jachmann Korl fogte immer:

Grünzeug bleibt Grünzeug, Kuh bleibt
Kuh, und Milch ist Milch! Sah dock, Haus-
dörferin, ihr Jungfern - - "
q Die Mägde lachen laut auf. Alle Ver-
hältnisse bringt er zusammen, kennt alle
Verwandtschaften in allen Gliedern und
redet, ob er mit dem Grastuch geht oder
kommt: „Hausdörferin ...”
i} Und diese Mütze, diese Hosen und Füste!

q Was ist das für ein Grün im Beinkleide! Von hinten gesehen will es als
Giftgrün erscheinen. Es wechselt den Eindruck.

q Dann must er den Ochsen herausholen, um den Wagen mit den Un-
kräutern hineinzufahren. Auch ihm scheint er zu erzählen; die drei hören
aus der Entfernung nur die Anrede: „Mufchlan, - Mufchlan - ” Er be-
handelt das Tier so menschlich, wie es noch kein Knecht bei der Haus-
dörferin vollbrachte. Der vorige, brummig und verschlossen, hatte schon
am ersten Tage das Tier so misthandelt, dast die Hausdörferin dagegen
einfehreiten mustte

q Beim Mittagessen bringt er bei jeder Kartoffel, die in den Mund soll,
erst eine Geschichte heraus. Die drei Kinder der Hausdörferin, die aus
der Schule heimgekommen find, hören, staunen und vergessen alles. Er
spricht und spricht, dast die Bäuerin schon zornig ruft: „Estt doch lieber,
stoppt Euer Maull” Er wetzt (ich das Messer an den Hofen und schweigt
einen Augenblick. Sein Stachelgeßcht bleibt unbewegt, die lichten Äuglein
glänzen wie immer. Er ist nicht verletzt. Er erzählt schon weiter! Die
Kinder verschlingen ihn förmlich mit ihren Blicken. Die wunderliche Tracht,
die Rede ziehen ste hestig an. Der Kleinste, der dicht bei der Bäuerin fitzt,
verwendet kein Auge von dem Zugewanderten, und die beiden anderen
rücken auf der Bank näher zu ihm.

q „Hausdörferin,” sagt er nach dem Essen, „do möcht ich mir jitze men
Kasten hulln aus Henrichau. Vielleicht kann ich mir a Mufchlan einfponn.
Sah dock, ihr Leute, die Orlittin, wie ich bei der wor, deren Schwester, die
unten im Lande ist - - "
q „Da fahrt”, sagt ihm die Bäuerin.

q Am Abend bringt er auf dem Wagen einen ungeheuren Kasten an,
der allseitig bunt bemalt ist. Alle Kinder des Dorfes geben ihm das Geleit.
Die Dorfstraste kann das Gedränge und Geschiebe kaum fassen. Er hat den
Ochsen am Kopf gefastt und lenkt vorsichtig den Wagen über den Bach
in den Hof. Die Kinderschar jagt er zurück.

q Die Bäuerin, die zwei Mägde, die Kinder der Hausdörferin müssen mit
anpacken, um das Kastenungeheuer in die Kammer zu schaffen Unter den
Schreien: „Ha — Hala” gelingt es endlich. Erwartungsvoll harren ste alle
der Dinge, die nun kommen sollen.

q Er zieht seine Jacke herbei und greift mit dem ganzen Arme in das
tiefste Eutter hinab. Ein Schlüssel kommt heraus, der sicher einen Viertel-
meter Länge hat. Der Kleinste der Hausdörferin ruft: „Mutter, steh ock!"
und der größte zeigt auf das unförmige Schloß: „Sieh ock, Mutter!”
q „Meine Mutter”, erzählt der neue Knecht, „die im Februar storb, sah
dock, ihr Leute, ’s wor (ihr kalt, hot ihn vo ihrer Mutter. Der Kleinert
Tischler, der amoll 'n Finger verlern hot, da bemolt a. Sah dock, wenn
ma ihn zu fchorf anpackt, do zerreibt a. Der Wurm is fchunt drinne, und -"
q „Mocht endlich uf! Wos soll dos lange Gerede!” ruft die Bäuerin,
q Er stöstt den Schlüssel ins Schiost, rüttelt, rackert, hebt, zerrt, stöstt, schließt
- der Kasten springt endlich auf, und eine Wolke von Staub wirbelt um
die Staunenden. Dann greist er hinunter in die dunkle Tiefe, es klappt

ein Brett, ein langgezogener Klagelaut er-
tönt, die Aufmerksamkeit kann nicht mehr
höher steigen, und eine - Ziehharmonika
kommt ans Licht. Er bläst den Staub her-
unter und fängt an zu spielen,
q Die Eugen wimmern, es knittert und ringt
immer nach Atem, aber das Wesen will
doch zeigen, dast es noch lebt und Schmer-
zen fühlt, wenn die Klappentore aufgerissen
werden; nach einer unendlichen Paufe klagt
ein Stimmlein. Und dann noch eins - und
dann wieder eins - -
q Die Bäuerin läuft eilig die Treppe hinunter,
q Wieder greift er in das Dunkel hinab.
Eine Dose erscheint. Er klopft auf den
Deckel und pocht an die Seitenwände.
Dann reistt er an einem Lederriemen. -
Sein Gesteht rötet (ich und kommt in Ver-
zerrung.

q „Nu, wirst du glei!” ruft er.
q Endlich folgt der Deckel den aufgebote-
nen Kräften. „Tobak, guder Tobak!” er-
schallt es freudig.

q Er greift hinein und bietet ihn allen an
Die Kinder schnupfen, ohne an Vergif-

K. ROESSING

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Register
Karl Rössing: Vignette
Wilhelm Schremmer: Der neue Knecht
 
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