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WALTHER PÜTTNER

DER LETZTE MENSCH

VON OTTO ADOLF ZEITENWITZ

So konnte es nicht weiter gehen. Ein Schrei durchzuckte die Welt.
Die tiefgequälte Menschheit gab es auf, an ihrer Zukunst zu schaffen.
Man hatte in törichter Verblendung die ernsten Lehren von 1918 ver-
gessen. Kaum 200 Jahre waren seitdem vergangen, da hatte wieder
Haß und Eigennutz die Völker aufeinander gehetzt. Da wütete wieder
Mord und Hungersnot, während eine hochentwickelte, teuflische Technik
neue Triumphe feierte. Da gab es wieder bittere Selbstvorwürfe, die
die geschwächten Überbleibsel dieses entsetzlichen Krieges marterten. Doch
diesmal waren die Leiden auf Erden zu groß gewesen, sodaß auch der
letzte Glaube an ein besseres Menschentum hatte untergehen müssen.
Statt dessen griff eine tiefe, hoffnungslose Resignation mit immer
wachsender Gewalt um sich.

Was durste man noch von diesem Leben erwarten, in dem kein ein-
ziger von bitterer Rot verschont blieb? Sollten das die Herren der Schöp-
fung sein, die jetzt dicht gedrängt und unzufrieden die Häuser der Städte
übervölkerten? Millionen und Abermillionen hatte der eiserne Tod,
Seuche und Hunger dahingerafft. Trotzdem waren immer noch viel zu
viele, die da lebten. Sie lebten, weil ein launisches Geschick sie vor allen
Gefahren bewahrt hatte. Sie hatten keinen anderen Grund zum Leben.
Die Erde war zu eng geworden, das sahen die Menschen allmählich
ein, und sie ergriff ein Mitleid mit den Ungeborenen, die für die Schuld
ihrer Väter büßen sollten. Denn der Mensch dieser Welt war schlecht
und selbst der Urheber alles Leidens. So reiste denn allmählich der
Beschluß, keinen weiteren Menschen mehr den Unbilden des Daseins
auszusehen. Die Geburtenziffer war schon lange im Sinken, und eines
Tages trat der Moment ein, daß überhaupt keine Geburten mehr statt-
fanden. Die Menschheit hatte es in der Erkenntnis ihres Unwertes ab-
gelehnt sich weiter sortzupflanzen.

Diese widernatürliche Tatsache wurde auf sonderbare Art allgemein
bekannt, als die internationale Hebammenliga sich in einem flammen-
den Protest gegen die jungen Frauen wandte, deren Saumseligkeit ihre
Existenz bedrohte. Die Sache der Ungeborenen fand jedoch in der
Öffentlichkeit ihren Anwalt, sodaß die Hebammen sich mit einer kleinen
Pension abfinden mußten. Noch mehr: es wurden Gesetze erlassen, die
neue Geburten einfach verboten. Die Aufgabe der Menschheit bestand
von nun an darin, sich selbst zu genügen.

Zum erstenmal strebte der Mensch nicht über sich selbst hinaus. Um so
eifriger war er bemüht, zu prüfen, wie sich ein Geschlecht ohne Nachwuchs
eknzurlchten habe. Die fähigsten Köpfe fanden sich zusammen und versuch-
ten systematisch die schwierige Arbeit zu bewältigen. So wurde angeordnet,

daß der Tag der letzten Geburt auf der Welt den Anfang einer neuen Zeit-
rechnung bilden sollte. Der erste Tag des Jahres 0 war damit festgelegt.

Daß der Beruf der Hebammen nicht allein unter den neuen Ver-
hältnissen zu leiden hatte, war unschwer vorauszusehen, denn gar bald
wurden alle Artikel zur Säuglingspflege überflüssig,- auch die Spiel-
warenfabrikanten sahen ihre Zeit herankommen. Eine Unmenge Leute
verloren aus diese Weise ihre Beschäftigung. Doch sollten sie schnell
neue finden,- denn es gab gar viel zu tun. Da war zu sorgen, daß die
Jüngsten, die jetzt lebten, in ihrem Alter keine Not litten. Wer sollte
ihnen helfen, wenn sie schwach waren? Es gab ja dann keine jungen Kräfte
mehr. Drum waren emsige Hände bemüht, Vorräte aufzuspeichern für
das Alter der Jüngsten. Die Konservierungskunst entwickelte sich zu einer
nie geahnten Höhe,- man verstand Lebensmittel aller Art auf Jahrzehnte
hinaus in Behältnissen, die man leicht öffnen konnte, aufzubewahren.

Unterdessen waren wieder viele eines natürlichen Todes gestorben,
und niemand machte Anspruch aus ihr Erbe. Wozu Besitz anhäufen?
Es war ja alles im Überfluß vorhanden. Eine Menge Häuser stand
leer. Wer wollte, konnte zugreifen und fand Möbel, Kleider und was
er sonst brauchte. Man hatte übergenug an allem. Was man besaß,
reichte aus für die Lebenden. Man war glücklich und verbrachte das
Dasein froh in einer Gesellschaft, unter der sich der reine Sozialismus
mühelos verwirklicht hatte. Den Staat hatte man ohne Murren zum
alleinigen Erben der Toten gemacht, und der Staat bot freigebig seinen
Reichtum den Bedürftigen an. Kein Neid trübte mehr die Gemüter,
seitdem der Gedanke an die Ungeborenen die Welt verlassen hatte. Hab-
gier und Ehrgeiz waren ohne Sinn, da es keine Zukunft, keine Nach-
welt mehr gab. Die Menschheit versöhnte sich endlich mit ihrem Ge-
schick, in dem Augenblick, in dem sie ihren eigenen Untergang ins Auge
sah, sie fühlte sich jung und freudig in ihrer Todesstunde. Noch lag
aber diese Todesstunde in weiter Ferne.

Man zählte erst das Jahr 20. Im Laufe zweier Jahrzehnte hatte sich
jedoch vieles geändert. Die Kinderspielplätze und Schulen lagen ver-
lassen da, auf den Straßen traf man nur Erwachsene. Das Antlitz der
Städte war ernster geworden. Die erste Todesahnung befiel die Mensch-
heit, als sie bemerkte, daß ihre Arbeitskräfte nachließen. Die Acht-
zehn- und Neunzehnjährigen fehlten. Das stimmte bedenklich angesichts
der schweren Aufgabe, die noch zu erfüllen war. Eine fieberhafte Energie
war aufzubringen. Die Technik zeigte sich weiter den steigenden An-
forderungen gewachsen. Was sie schuf, schien wie für die Ewigkeit gebaut.
Unverwüstliche Wasserturbinen und riesige Akkumulatoren-Batterien

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Otto Adolf Zeitenwitz: Der letzte Mensch
Walter Püttner: Zeichnung ohne Titel
 
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