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Deuksche Heimat

Deutsche Heimat — Deine Lande
nur noch einmal frei der Bande
mit versehntem 2Iug' zu grüßen
und auf wandermüden Füßen
Deine Erde zu betreten . . .
ist mein Beten.

Nur noch einmal Deine Auen,
Deine Wasser zu erschauen,
die in träumerischem Rauschen
ihres Rohres Flüstern lauschen:
Deine Auen zu betreten
ist mein Beten.

Nur noch einmal Deine Felder,
Deine dunkeldichten Wälder,
wo auf starren Kiesernzweigen
sprießend helle Kerzen steigen:

Deine Wälder zu betreten
ist mein Beten.

Nur noch einmal Deine Heiden,
Deine Blumenhügelweiden,
die in roten Lichtern glänzen,
buntgeschmückt von Blütenkränzen:
Deine Heiden zu betreten
ist mein Beten.

Deutsche Heimat — Deine Erden
nur noch einmal vor dem Sterben
mit dem durstgen Mund zu küssen,
nur in letztem Scheidegrüßen
Deine Gräber zu betreten . . .
ist mein Beten.

Cdwin Erich Bwinger

Liebeszauber

Von dem Hauch, der Deine Stirn umspielt,
Fang' ich haschend ein verflatternd Lüftchen
Und ein Atmen Deines jungen Busens,
Lächeln Deiner Grübchen, einen Funkelblitz
Brauner Augen und ein Woi t vorn Mund'Dir.
Einen bunten Faden stehl' ich heimlich
Deines Kleides, schnitze mir ein Spänchen
Von dem Tisch und greif' ein loses Blättchen,
Das die Wärme Deiner weichen Hand noch
ftsthält;

Nehm' ein Quentchen auch vom Staub
am Boden,

Wo Dein schlanker Mädchensuß geruht hat,
Und ich trag in Sehnsucht eingewickelt,

Meine Beute froh in meine Bude.-

Aber wenn der Tag das stillgewordne
Haus verläßt, schür' ich am Herd die Flamme,
Wers' hinein den Raub und heißes Herzblut,
Blut'ge Tropfen drei und eine Träne;

Und aus altem Zauberbuche fprech' ich
Drauf den Liebesbann. — DieFlamme lodert;
Geistern d ballt Gewölk un dRauch zurForm sich,
Und dann reiß' ich Dich in meine Arme,
Eine kurze, fel'ge Geisterstunde,

Zwischen Mitternacht und Eins.-

Trotzig gehst Du tags an mir vorüber;
Unbeachtet, trifft ein scheuer Blick mich —
Aber nächtlich träumst Du schwül und siebernd,
Eine kurze, fel'ge Geisterstunde,

Zwischen Mitternacht und Eins.

Erwin Heintschel

D [ E SICHERHEITSNADEL

VON E. PETSCM

Der Kapellmeister von der Städtischen Qper und der Professor für Ge-
schichte sind bei der verwitweten Frau Pechterloh zum Tee geladen. Die
verwitwete Pechterloh hat eigentlich immer Herren bei sich zum Tee. Die
Weiber sind ihr zu unlogisch, sagt die verwitwete Pechteiloh. Außerdem
würden sie nur auf das Kleid gucken, dcks man anhat. Manchmal ist die
verwitwete Geheimrätin etwas burschikos. Obwohl sie ini Grunde sehr
weiblich ist. Im Stillen macht sie sogar lyrische Gedichte. Aber darüber
redet sie nicht.

Jrn Übrigen macht die Geheimrätin keinen Hehl daraus, daß sie sich
wieder verheiraten will. Weil das Anlehnungsbedürfnis der Frau schließlich
Naturgesetz ist, sagt die verwitwete Pechterloh. Über das man nicht hin-
wegspringeu kann. Der Kapellmeister denkt: Sie ist ja viel weicher als sie
so tut! Denkt der Kapellmeister, der sich immer sehr für das rein Seelische
interessiert. All diese Weiber mit den hohen Tönen . . . denkt der Kapell-
meister. Im übrigen ist sie eine entzückende Frau! Und apart! Persönlich!
Denkt der Kapellmeister. Rafsim'ert im Geschmack! Der Kapellmeister niag
das überhaupt, das Verfeinerte. Wie das hier ist. Das Schwüle. Schon
die dicken Kiffen überall. Und die gelben Rofen. Und die blauen Vorhänge!
Natürlich Seide! Und gedämpft! Der Kapellmeister braucht das für feine
Nerven. Für seine ganze Stimmung! Moll! Moll! Aber im möblierten
Zimmer ist da ja überhaupt nicht daran zu denken! Jeden Morgen doch,
daß der Kapellmeister der Wirtin sagt, daß sie die Vorhänge zuziehen soll.
Jeden Morgen! Ohne daß das Weib das kapiert! Überhaupt, wenn der
Kapellmeister an diese Wirtin denkt. Mit dem aufgeschweinmten Kopf.
Der immer wie ein Braten in der Fettfoße sitzt! Schon wie diefe Weiber
den Kaffee bringen! Stillos! Direkt stillos! Wie gestern. In der Nacht-
jacke! Weißer Barchent mit Festons! Barchent mit Festons! Bringt das
Weib den Kaffee! Dem Kapellmeister steht das ganze Junggefellenleben
überhaupt da! Da! Sein ganzes Schaffen wird hier unterdrückt. Syste-

matisch unterdrückt! Der Kapellmeister könnte Gott weiß was leisten, wenn
er nicht immer auf diese elende Stillosigkeit stoßen würde. Weiß der Deuwel!
Wenn dcr Kapellmeister so eine Frau um sich hätte, wie diese verwitwete
Pechterloh! Die schon mit einem Rafsinement ihre Kleider trägt — ein
bißchen großzügig, wie das da vorne mit der Sicherheitsnadel statt dem
abgerissenen Knopf — aber sonst raffiniert! So Geschmack von innen
raus! So durch Generationen quasi kultiviert und übertragen!

„Tja, meine Herren," sagt die verwitwete Pechterloh und beißt in ein
Keks. „Die Ehe. Das ist fo ein Kapitel! Man freut sich auf das zweite,
wenn das erste zehnmal scheußlich war. Na, reden wir nicht mehr davon!
Kleinliche Menschen haben überhaupt keine Existenzberechtigung."

Der Professor für Geschichte, der ebenfalls ein Keks anbeißt, übrigens
eine tadellose Sorte mit Schokoladenfüllung, wie sie der Professor zu Hauie
nie bekommt, der Pcofefsor denkt, das mit den Keks und so übei Haupt das
ganze, das versteht sie ja entzückend. Sie ist überhaupt eine reizende Frau.
Aber so mit der Anspielung immer auf ihre Ehe — jedenfalls verwechselt
sie Ordnung und Stilgefühl mit Kleinlichkeit. Der Professor rückt seine Brille
zurecht und sagt: „Gnädige Frau verwechseln schließlich doch Stilgefühl
oder Ordnung, die man nun einmal haben muß, mit Kleinlichkeit." Sagt
der Professor, weil er sieht, wie wenig stilvoll das hier ist. So wie das
mit dem Spinnrad neben dem indischen Speer. Und das mit dem Schiff,
das da herunter baumelt. Wo doch hier keine Holländer-Stube ist.

Die verwitwete Pechteiloh sagt mit einem kleinen Seufzer: „Ach nein,
bester Professor, es war schon kleinlich. Verlassen Sie sich darauf. Ich habe
eS zehn Jahre lang mitgemacht. Aber reden wir doch nicht mehr davon!"
Der Professor denkt. Da springt sie nun einmal drüber weg. Sie ist eine
entzückende Frau! Aber das mit der Ordnung — obenan das mit der Sicher-
heitsnadel, da vorne an dem Seidenkleid! Also wo würde Tante Amalie,
die dem Professor den Haushalt führt, je eine Sicherheitsnadel tragen!

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Register
Paul Segieth: Vignette
Elsbeth Petsch-Krapp: Die Sicherheitsnadel
Edwin Erich Dwinger: Deutsche Heimat
Erwin Heintschel: Liebeszauber
 
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