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UNSER PFAD




Pfad, da der Atem reinster Sterne schwang,
Pfad, dran der Fluß das Lied vom
Frühling sang,

Da weiß und rot und rosenrot umblüht
Die Liebe glühte, wennn der Tag verglüht —

Pfad, wie besäumt von MondundWolkenspiel,
Von Nacht umraunt, mit Rätseln ohne Ziel,
O laß die Tücher über Glanz und Glück
Und ungelöst des Rätsels Frageblick.

Laß schauen, nichts als schauen traumhinein
Uns zwei wie Kinder. Gib uns Stillesein
Und heimlich Horchen auf den Wind im Ried,
Der gleich wie wir den Weg des Lebens zieht.

FRANZ LÜDTKE

VERKLÄRUNG

Vor dunklem Strauchwerk stand sie wie ein
Bild.

Ihre umarmungsmüden Arme rannen
Leise und hilflos ihren Leib hinab,

Hinein in ihres schwarzen Mantels tiefste
Falten —

Es roch nach Flieder.

Doch dann stieg und stieg
Leuchtend der Vollmond aus den Büschen auf,
Bis ihre Zeit erfüllt war und ihr Haupt
In blasser Heiligkeit vor seiner dünnen Scheibe
Alternden Goldes lag und lächelnd ruhte.

HEINZ BRENNER

HUBERT WILM

VON ERNST E. STEIN

Ich habe lieber jahrelang einen Umweg gemacht.

Aber das sieht ja in der Tat so auch als ob ich Angst hätte. Ich bitte:
Angst vor einem — Hauch das noch dazu, seit ich es kenne, unbewohnt ist.
Übrigens, das ist es eigentlich: Ja, wenn sich eine gefesselte Jungfrau mit
fliegenden Haaren, eine verhüllte Gestalt mit Dolch in der Brust, zu
mindest aber doch ein Skelett oder sonst was Schönes, was das Herz er-
freut, gezeigt hätte, dann hätte ich gewußt: „Es ist ein hundsgemeines
Gespensterhaus, wie so viele andre auch" — und wäre beruhigt gewesen.

Aber seit ich zurückdenke: kein offenes Fenster, kein Licht, kein Rauch
aus dem schmalen Schornstein, — das hat mir mit der Zeit den Ein-
druck von etwas heimtückisch Lauerndem gemacht. Das Aussehen des
Hauses hat sicher dazu beigetragen, diese Empfindung zu verstärken, ob-
wohl eigentlich gar nichts Besonderes zu sehen ist. Ich scheine für solche
Dinge überempfindlich zu sein.

Ich kann mir nicht helfen, angenehm ist der Anblick wahrhaftig nicht:
das Haus, schmal und schwindsüchtig, zwischen die Massen der Nachbar-
häuser gezwängt. Bon Baukunst verstehe ich ja nichts,- doch ist es nicht
sinnlos, daß das ganze Haus nur zwei Gassenfenster hat? Aber das
Dach, das Dach: es nahm wohl ein Drittel der gesamten Haushohe
ein und war so steil, daß mir beim Anblick immer ein leichter Schwin-
del ankam. Wie ein spitzer Hut sah es aus oder wie ein krummer Katzen-
buckel. An manchen Stellen zeigte es Abschuppungen, wo sich die Ziegel-
steine losgelöst hatten, Pockennarben nannte ich das. — — Noch einige
solcher unangenehmer Einzelheiten fielen mir auf. Erst hoch oben waren
die beiden Fenster eingelassen, daß es aussah wie ein Gesicht mit zwei
Augen ohne Nase und Mund. Ganz an der Seite hielt sich eine kleine
aber schwere Tür versteckt, die ich immer in Verdacht hatte, daß sie so
manches hätte erzählen können, wenn sie nicht immer so verschlossen ge-
wesen wäre. Daneben eine Türglocke, auch Gegenstand meiner lang-
jährigen Abneigung: in ein Metallbecken eingelassen eine Kugel oder et-
was dergleichen, wie der Nabel eines widerlichen Tieres. Wie ein kleiner
Junge bin ich da vorbeigegangen — sieben Jahre fast — und habe mir
gedacht: „Wenn man da, ohne Aufsehen zu erregen, anläuten dürste!"

Ich habe mich während dieser Zeit ost gefragt, woraus das Haus
denn warte, denn es mußte doch ein Innenleben, einen Daseinszweck
haben, und konnte den Gedanken nicht los werden, ich müsse es aus
seiner Starrheit wecken. Und zwar so: Ich wollte meinem alten Gelüst
nachgeben und anläuten,- sollte dann wirklich jemand herauskommen,
so würde ich fragen, ob hier Doktor Jonathan Meier wohne.

Zu meinem Unternehmen, das mir viel Herzklopfen verursachte, suchte
ich mir einen Freitag aus, weil man ihn allgemein für einen Unglücks-
tag hält,- so etwas beruhigt mich überaus und stimmt mich zuversicht-
lich. Na, und ich habe wirklich angeläutet. Es war ein hoher, spitzer Ton,
desgleichen ich nie vernommen, so, als ob man mir mit einem scharfen
Gegenstand im Ohr herumbohre. Natürlich kam niemand hervor. Eigent-
lich war es mir ja nur darum zu tun, zu sehen, wie sich das Haus dabei
verhalten würde. Hingegen zeitigte mein Versuch einen anderen Erfolg.

Aus dem Nebenhause Nr. 9, einem breitgesäßigen Zinsbau, erschien der
Hausmeister, fragend und neugierig. Wenn ich die Augen fest zukneife,
gelingt es mir, die Erinnerung an diese aufkreischend platte Visage los
zu werden. Ich fragte ihn nach Doktor Meier, über den er mir begreif-
licherweise keine Auskunst geben konnte, und verwickelte ihn in ein Ge-
spräch, in dessen Verlauf ich vor allem erfuhr, daß er Drohubek hieß.
Ich hätte auch darauf geschworen, er sah ganz danach aus, und über-
dies, scheint mir, gehen alle Hausmeisternamen in Wien auf — ek aus.

Ich erzählte, daß ich soeben aus Südamerika zugereist sei und mich
verwundere, in einer so modernen Stadt noch einen so altmodischen Bau
wie Nr. 11 zu finden. Was er mir hierauf über die Behörden, seine Ver-
wandtschast und ähnliche belangreiche Erscheinungen seines Hausmeister-
daseins erzählte, interessierte mich nur wenig,- ich konnte über das Haus
nur dies erfahren, daß es einer alten Witwe gehöre, deren Mann von
einem wilden Volksstamme auf gräßliche Art umgebracht worden sei.
Das hat mich auch nicht freundlicher gegen das Haus gestimmt, ich
kann alte Witwen nicht leiden, auch nicht, wenn ihre Männer von wilden
Volksstämmen ermordet worden sind. Und wenn der betreffende Volks-
stamm noch so wild und exotisch ist.

Herrn Drohubek habe ich noch gefragt, ob nicht wenigstens einmal
eine altmodische Kutsche vorgefahren, daraus eine vermummte Gestalt
gestiegen und im Haus verschwunden sei. Aber auch damit war es nichts
und übrigens zeigte er deutlich den Wunsch, das Gespräch zu beenden.
So empfahl ich mich, um wenig Wissenswertes reicher.

Die Sache ging mich ja gar nichts an, aber gerade die Hartnäckig-
keit, die das Haus meinem Interesse entgegensetzte, reizte mich zu neuen
Versuchen. So habe ich mich zu einem verzweifelten Schritt entschlossen:
ich ging auf das Polizeikommissariat, möglich, daß es das Bezirksamt
war, — ich bitte, ich kann das wirklich nie genau auseinanderhalten,
— ging also dahin und wünschte eine Auskunst, nein, eine Information
über das Haus Hoygasse 11.

Man nahm mein Nationale auf, bloß konnte ich nicht sagen, wie ost
ich geimpft sei — und ließ mich dann zwei Stunden warten, bis ein Glatz-
kopf mit einem schwarzen Zwicker erschien und mich fragte, ob ich das
Haus käuflich erwerben wolle. Ich nicht, erwiderte ich bescheiden, aber
mein Bruder sei soeben aus Südamerika zurückgekehrt und möchte sich
hier ansiedeln. Der Glatzkopf blickte einen andern vielsagend an, dann
blätterten beide in dicken Büchern mit schmierigen Deckeln, und nach
einer Weile sagte der erste: „Sie haben bei Ihrer Niederlassung hier-
orts angegeben, keinerlei Verwandte zu besitzen, und mache ich Sie
aufmerksam, daß alle Ihre Angaben der Wahrheit zu entsprechen
haben. .." Ich weiß nicht, was ich erwiderte, noch wie ich hinauskam.
Hinter mir hat etwas höhnisch gelacht. So wurde ich der persönliche
Feind des Hauses Hoygasse 11. — Übrigens: Hoygaste? Wer war Hoy?
Hieß wirklich je ein lebender Mensch so oder ist es bloß ein Pseudonym
des Satans? Ich schrieb den Namen wohl hundertmal und stellte Ver-
gleiche an, woran er erinnere, um so den fremdartigen Eindruck, den er

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Register
Heinz Brenner: Verklärung
Franz Lüdtke: Unser Pfad
Ernst E. Stein: Hoygasse 11
Hubert Wilm: Vignette
 
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