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Nein Gfen

von Roderich Müller

Ich habe vorigen Winter gefroren, sage ich euch, gefroren! Ihr, meine
armen Leser auch, ich weiß es, seid beruhigt, ich glaube es euch. Aber euer
Frost war nichts gegen die Kälte, die in meinen Knochen faß.

Bei mir lag es am Dfen, nur am Dfen.

Ich hatte Heizmaterial, Holz, Kohle, Kohlenschlamm, Koks, Torf, Tannen-
zapfen, alles war da. Aber nichts davon brannte, nichts, gar nichts. Also
lag es am Dfen.

Ich ging beim Rahen des neuen Herbstes zum Hauswirt. „Herr pell-
maper," sagte ich. „Sie verzeihen, mein Dfen..."

Aber Herr Pellmayer ist nicht mehr der alte Herr Pellmayer, seit es ein
Mietamt gibt. Lrsah mich aus fremdem Gesichtswinkel drohend an. „Ziehen
Sie aus!" schrie er.

„verzeihen Herr Pellmayer die übereilte Störung," sagte ich und
schlich hinaus.

Man empfahl mir einen Dfensetzer.

Der Mann kam und sprach: „Das kriegen wir."

„Sie könnten..."

„Aber leicht. Ich muß freilich den Dfen ganz und gar abreißen."

„Natürlich, selbstverständlich was kann das so ungefähr kosten?" fragte
ich nach einer Pause.

„Das läßt sich vorher nicht sagen, wer weiß, wie es in den Zügen aus-
sieht. vielleicht werden auch ein paar Kacheln hin. Deshalb..."

„So ungefähr," bat ich, „nicht auf den Pfennig natürlich berechnet."

Der Mann lief mehrmals mit seinen schmutzigen Stiefeln über meinen
guten Teppich, immer um den Dfen herum. „Unter zoo Mark ist es nicht,"
meint er er dann.

Ich kenne die Gegenwart und ihre Grundsätze, ich kenne die achtstündige
Arbeitszeit, kenne auch die Handwerker und die Zuverlässigkeit ihrer Kal-
kulationen. So beschlagen, kann man mit den zoo Mark, die der Dfensetzer
nannte, immerhin etwas anfangen. Man ist schließlich keine Schlafmühe.
Zweimal drei macht sechs, das weiß ich ebenfalls.

Also notierte ich im Geiste in mein Ausgabebuch: Umsehen des Zimmer-
ofens — sechshundert Mark.

„Nachen Sie die Geschichte," sagte ich laut.

Rach ein paar Tagen begann es.

Der Mann war ein Ferkel. Auch ging er mit den Kacheln nicht pfleglich
um. Einmal stürzte das Ganze wieder zusammen.

Db er es für Los Mark schaffen kann? dachte ich. 600 — 6so — 700!

Endlich war der Umbau fertig.

„Heizen Sie ihn nicht gleich an. Es ist gut, wenn er erst eine weile steht,"
sagte der Dfensetzer.

Ich ließ den Berliner stehen.

Als wir zehn Grad Kälte hatten, setzte ich ihn doch schließlich in Brand.

Nicht überhitzen, dachte ich. zunächst nur ein kleines Feuerchen.

Aber den Begriff kleines Feuerchen kannte der Berliner nicht mehr, er
hatte sich von Grund aus geändert.

Der Meister aller Dfensetzer, ein Genie, ein Goethe seines Faches, war
über ihn gekommen.

Rrrrr - im Zimmer begann alles zu summen, zu zittern, die Möbel, die
Bücher, die Fenster, die Luft, ein solcher Zug war in dem Dfen.

was würde das für ein sorgenfreier Winter werden!

So kurz der Gedanke war, er war noch nicht zu Ende gesonnen, so war
es still in der Feuerung.

Nanu, dachte ich, stockt es schon wieder?

Ich öffnete die Tür, aber es stockte nichts. Der Grund war einfach. Der
Dfen hatte in einer Minute alles hlneingefreffen, für 1.20 Mark Heizmaterial
in einer Minute.

„Du hast Hunger, alter Zunge," sprach ich zu dem Turm aus grünen
Kacheln, „du sollst satt werden. Ist dein nasser Lehm erst trocken, wirst du
deine Sache prächtig machen, ich weiß es."

Ich stellte ein Festessen zusammen: Kienspäne, Buchenscheite, schlesische
Steinkohle usw.

Der Kerl war ein Vielfraß und kein Gourmet. Lr schlang alles ganz
hinunter, wahllos; ich konnte in seinen Schlund den Proviant nicht so schnell

nachsüllen, als er ihn durch die Esse hinauswürgte. Und das Schlimmste
war, die Kacheln blieben kalt, eisig kalt.

Es ist nur der Anfang, tröstete ich mich.

Aber dieser Anfang wollte kein Ende nehmen.

Und jetzt begann ein Kampf.

Ich hatte mir es in den Kopf gefetzt, diesen Satan voll zu kriegen, diesen
Halunken zu zähmen, für ihn eine Spezialkost zu erfinden, die ihm verteufelt
schwer im Bauche liegen sollte.

Dicke Lichenklähe tauchte ich acht Tage unter Wasser, schob sie ihm in
den Hals und legte zwei Stangen Natureis nach.

Ls war gleich. Lr knirschte mit den Zähnen, prasselte, spuckte ein wenig,
und in fünf Minuten hatte er ein hohles Maul, gähnte mich kalt und leer
an, als habe er seit seiner Erschaffung noch nicht einen Bissen zwischen die
Lippen gekriegt.

Lin paar Wochen sah ich mir die Sache mit an, opferte Zeit, Geld, fror
zu Stein und dachte, der Bursche würde endlich zur Vernunft kommen.
Aber hierzu kam er nicht.

So bestellte ich mir meinen Dfensetzer.

„Brennt der Dfen etwa nicht?" fragte mich der Mann und zeigte viel
Selbstbewußtsein.

„Db er brennt!" erwiderte ich. „Wie alle Krater der Welt, Hölle und
Fegefeuer zusammen. Insoweit haben Sie Ihre Sache glänzend gemacht.
Nur schade, der Dfen heizt nicht."

„Za, daß er nicht heizen wird, das wußte ich. Das liegt nicht am Dfen,
bester Herr, das liegt an der Esse. Man hätte dann nicht den Dfen, sondern
das Haus umsetzen müssen. Darüber sprechen Sie wohl erst noch mit Herrn
Pellmayer."

„Das Haus umsetzen, abreißen, neu aufbauen," versetzte ich tonlos.

„Zawohl, es bleibt nichts anderes übrig."

„Großer Gott, könnte man nicht durch eine Klappe am Dfen..."

„Gewiß, eine Klappe Dann brennt der Berliner so schlecht wie anfangs
und muß dazu nochmals umgesetzt werden. Das kostet..."

Lr hob seine Mütze, die er auf dem Kopfe behalten hatte und langte eine
Rechnung heraus.

In dem Augenblick wurde mir der Dfen, ob er brennt, wie er brennt,
die Lffe, das Haus, der unliebenswürdige Herr Pellmayer, alles wurde mir
gleichgültig. Ich zitterte dem Papier entgegen, das der Mann in seinen
schwarzen Fingern hielt. Ls geht das heutzutage jedem so, dem man eine
Rechnung reicht.

Ich entfaltete sie: 575 Mark.

2s Mark weniger als von mir im Minimum veranschlagt. Lin Wunder,
ein unerhörtes Wunder, ein niemals für möglich gehaltenes Lreignis, selbst
in unserer an Überraschungen nicht armen Zeit.

Ich riß die Brieftasche heraus und zählte das Geld auf.

Der Dfensetzer bedankte und entfernte sich. „Ich kann hier weiter nichts
tun." sagte er.

Rein, er konnte nichts tun, er sollte nichts tun. Roch ein Griff von ihm
an eine Kachel, und das Wunder wäre zerstört, denn dieser Griff war unter
2s Mark nicht zu haben. Man kennt die jetzigen Preise.

Der Dfen hat seitdem für mich, ich gestehe es, etwas Übersinnliches,
etwas Geheimnisvoll-Mirakelhaftes. Ich liebe ihn. In der Regel brennt er
nicht, und ich sitze in Decken und Schals gewickelt, Handschuhe an den
Händen vor meinem Schreibtisch.

Sonntags, und wenn ich mir sonst eine gute Stunde machen will, kriegt
mein meergrüner Freund etwas Futter.

Lr raffelt seine Mahlzeit hinunter, schneller und gefräßiger als ein Hai-
fisch. Lr hat sich nicht geändert.

Ich kann mich selbst hineinlegen, und er wird mit mir so rasch fertig
werden wie mit einem Hobelspan.

Ich werde das tun. Bald.

Denn ich merke, daß es mit mir zu Lnde geht. Ich erfriere.

Und eines Tages werde ich durch die Ligenschaften dieses Mysteriums
von Dfen für das Spottgeld von s7s Mark zugleich erfroren und in Flammen
aufgegangen sein.

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Roderich Müller-Guttenbrunn: Mein Ofen
 
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