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B R I

Von Johannes Boldt (Hamburg)

„Nein - das sollst du nicht - " sagte Anny.

„Ich tu’s - " erklärte er.

„Ich würde es dir niemals verzeihen. Du richtest ste zugrunde. Ich habe ost
genug von dir erfahren, wie sehr ste dich liebt”

„Ich kann nicht anders.”

„Und dann mußt du auch bedenken: ste ist reich. Was willst du anfangen,
wenn ste (ich von dir trennt?”

„Ich besitze eigenes Vermögen.”

„Wirklich? Das wußte ich gar nicht.”

„Ich kann davon leben.”

„Doch du würdest auf das Auto verzichten müssen, wenn du deine Frau
nicht hättest.”

„Anny! Was geb’ ich um Geld und Gut'”

„Aber ein unbeschäftigter Mann wie du verzichtet nicht gern auf Annehmlich-
keiten. Das ist nun einmal so."

„Ich liebe dich. Ich liebe dich
maßlos. Und das möchte ich
dir beweisen."

„Du kannst es mir eben nicht
beweisen."

„Anny, du hältst nichts von mir."

„Ich halte viel von dir. Du
bist ein sehr netter Mensch.

Aber was nützt das alles?"

„Nein - es nützt nichts - "
jagte er bitter.

„Du weißt, ich bin ein an-
ständiges Mädchen.”

„Ja - ja - ich weiß. Aber
der lange Breitmann - ”

„Er ist gefallen. Bist du eifer-
süchtig auf einen Toten ?”

„Immerhin - ihn hast du - ”

Er stockte.

„Er liebte mich - ” sagte ste
schnell.

„Auch ich liebe dich!”

„Das weiß ich nicht. Du hast
eine Frau.”

Er riß steh zusammen. „Noch
heute schreibe ich ihr - ” sagte
er entschlossen. „Ich (ehe, es
muß (ein.”

„Du darfst nicht. Ich verbiete

es dir. Ich will nicht schuld sein an ihrem Unglück. Ich könnte nicht mehr

ruhig schlafen, wenn mein Gewissen das zu tragen hätte.”-„Aus meinem

Unglück machst du dir nichts? Ich verbrenne an der Sehnfucht nach dir.”
„Ich kann dir nicht helfen.”


H. H. Bummerstedt

Das alles sagte der Brief. Er sagte es mit stammender Rückfichtsloßgkeit
Nur eben: es stand noch nicht fest, ob er abgeschickt werden würde..
Denn der Mann hatte Zeit und Gelegenheit gehabt, um das Leben kennen
zu lernen. Er wußte, daß man irgendwie jede Frau gewinnen kann, ohne steh
bis zum äußersten zu verpflichten. Es kam nur darauf an, daß die begehrende
Liebe des Mannes steh überwältigend bewies. Der Beweis brauchte nicht un-
bedingt schicksalhaft zu fein

Dieser Brief, den der Mann schrieb, war ganz gewiß ein zwingender Be-
weis, wenn Anny davon erfuhr.

Aber er wurde zugleich zum Schickfal... Wenn er abgeschickt wurde ...
Der Mann überlegte. Ich sagte schon, daß er sich nicht mehr in dem Alter
befand, in dem man ohne Überlegung handelt.

Anny will nicht daß ich so an meine Frau schreibe. Doch wenn ich so schreibe,
erreiche ich, daß Anny an meine Liebe glaubt, daß ste mich erhört. Es genügt

nicht, daß ich ihr sage, ich hätte
diesen Brief geschrieben. Und
wenn ich ihr den Brief zeige,
so ist damit auch noch nichts
gewonnen.

Nur die Wirkung des Briefes
kann Anny überzeugen, oder
doch wenigstens feine Ab-
(endung.

Aber die Ab[endung bedingt
die Wirkung Und diese Wir-
kung - hm - ich möchte ste
vermeiden

Und - zum Teufel! - Anny
möchte ste doch auch ver-
meiden . . .

So überlegte der Mann. Und
dann war er eine ganze; Weile
hilflos, denn feine Überlegung
hatte eigentlich zu nichts ge-
führt.

Doch nein - ste hatte ihm
zwei Worte, zwei Begriffe ins
Gehirn gepreßt, mit denen er
steh einen ganzen Nachmittag
lang beschäftigen konnte. Er
sann über Abfendung und Wir-
kung nach, und versuchte zu er-
gründen , wie eine Abfendung
ohne Wirkung möglich wäre.
Und spät abends hatte er einen hell flimmernden Einfall. Er nahm das
vollendete Schreiben, das an feine Frau gerichtet war. Nahm es, und steckte
es in einen Umschlag, auf den er Annys Adresse schrieb. Und diesen Brief
übergab er der Pop.

Er schrieb einen Brief, in dem alles stand. Er schrieb ihn an (eine Frau. Er
schrieb in verworrener Stimmung, denn er war nicht überzeugt, daß er den
Brief abschicken werde. Immerhin: er schrieb ihn. Er konnte dann zu Anny

sagen-ja - wie konnte er sagen: Ich habe heute einen Brief geschrieben

- an meine Frau - nein - für meine Frau. Darin habe ich geschildert, wie
es um mich steht.

Doch freilich - sann er weiter - Anny wird es mir nicht glauben Ich muß
ihr beweisen können, daß der Brief abgeschickt wurde. Und das ist ein ver-
dammt schwieriger Beweis.

Trotz allem arbeitete er weiter an dem Brief. Er mubte es tun, um steh vor-
stellen zu können, daß feine Lage nicht hoffnungslos fei. Schwierig war sie
unbedingt. Er hatte eine reiche Frau geheiratet, um angenehm leben zu
können Er mußte darben, wenn er die Frau verließ. Er war nicht imstande,
irgend einen Beruf auszufüllen. Und jung war er auch nicht mehr, keines-
wegs jung genug, um leichtsinnig fein und mit der Not vor Augen höchstes
Glück genießen zu können.

Alles, was er an seelischer Kraft noch besaß, legte er in den Brief. Es war
zweifellos ein leidenschaftlicher Brief. Die Frau, an die er gerichtet war, stng
an, alt zu werden. Und schön war ste auch nicht. Sie war es nie gewesen.
Anny dagegen war jung und berückend. Und der Mann, der den Brief
fdirieb, fühlte (ich zu Anny hingerissen.

„Anny - es ist entschieden - ” sagte er. „Ich schrieb es dir schon.”

„Du schriebst es mir?”-„Erhieltest du meinen Brief nicht?”

„Ich erhielt allerdings einen Brief von dir - ”

„Nun also. Darin stand es doch. Ich habe meiner Frau alles bekannt. In
dieser Stunde vielleicht bekommt ste mein Schreiben Ich schrieb ihr gestern.

Gleichzeitig schrieb ich an dich.”-„Was schriebst du an mich?”

Er krauste die Stirn „Liest du meine Briefe so flüchtig?” fragte er. „Ich
teilte dir mit, daß ich mich zum l^fzten Schritt entschlossen habe, daß an meine
Frau ein Brief abgegangen ist - '

Sie unterbrach ihn schnell. „Das teiltest du mir mit? Nein. Ein solcher Brief
ist nicht angekommen."

„Ist nicht angekommen?"-„Vielleicht trifft er morgen ein.”

Er sann und bemühte sich, ein verstörtes Gesteht zu machen. „Du sagtest
doch, daß du einen Brief von mir erhalten hättest.”

„Ja. Aber der war nicht für mich. Er war an deine Frau gerichtet.”

Da sprang er auf. „Himmel!” rief er. „Nun hab' ich die Umschläge ver-
wechselt. Der Brief für dich ist an meine Frau gegangen.”

„Ja - so ist es zweifellos.”

„Und du erhieltest - was stand in dem Brief, der hierher kam? Oder hast
du ihn nicht gelesen?"

„Doch - ja, ich habe ihn gelesen. Es war ein erschütternder Brief. Ich habe ge-

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Register
Hans Heinrich Bummerstedt: Zeichnung ohne Titel
Johannes Boldt: Der Brief
 
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