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S a n a t

Don Carl

Der Herr war mit seinem kleinen Handkofferchen zu Fuß von der Dahn ge-
kommen. Nun trocknete er sich, geduldig abwartend, den Schweiß von der ge-
furchten, blassen Stirn, da der Portier des Sanatoriums alle Hände voll zu tun
hatte, den in einem kofferbekadenen Auto vorgefahrenen Herrschaften statt der be-
reits vergebenen Flucht im ersten Stock die Vorzüge der noch freien „Dependance
Zda" einzureden.

Villa Zda stand rechts vom Hauptgebäude. Es war ein kleines, ganz grün in
Gaisblatt eingesponnenes Schweizerhäuschen, mit Veranda, Lad, Warmwasser-
leitung und eigener Dedienung, absolut erstklassig. Nach aufgeregter Konversation
einigten sich die Herrschaften, damit vorlieb zu nehmen, welcher Entschluß ihnen
vom herbeigehollen Direktor insofern erleichtert wurde, als dieser weltkundige Herr
im schwarzen Gehrock das Fremdenbuch der Villa Zda holen ließ, in dem sich als
letzte Logiergäste ein Leutnant von der Reparationskommission, ein rumänischer
GesandtschastsattachS und eine wirkliche Prinzessin Cagliari eingetragen hatten.

Der wartende Herr mit dem Handkofferchen stutzte ein wenig, als der Direktor
den Namen der Prinzessin Cagliari aus dem Fremdenbuch vorlas. Sie hatte den
Ausschlag gegeben, die Herrschaften ließen ihre verdächtig neuen Rohrplatten-
koffer, Plaids und Staubmäntel nach Villa Zda bringen. Und nun bekam auch
der Herr nach dem taxierenden Dlick des Portiers ein freies Zimmer.

„Zweiter Stock, 64," sagte der Mann mit der goldbordierten Kappe, und es kam
ihm vor, daß er das schmale, ganz farblose und irgendwie verknitterte Gesicht des
Herrn mit dem Handkoffer schon gesehen haben müsse. Der Gast schrieb sich ins
Fremdenbuch ein: Doktor Heinrich Mitteis, und sofort nahm der Portier die Kappe,
die er vor den nach Villa Zda expedierten Herrschaften nicht abgenommen hatte,
vom Kopf. Er kannte den Doktor Mittels nicht, aber er hatte sein Lild in illu-
strierten Älättern gesehen. Er war ein bekannter Politiker, Mitglied der National-
versammlung und Führer einer Fraktion von Unabhängigen, die vielleicht nächstens
schon in diesem Staate ein gewichtiges Wort mitzureden hatte.

Der Portier übernahm eigenhändig den Handkoffer und schrieb statt 64 die
Zimmernummer 22 ins Fremdenbuch. Doktor Mittels, der überarbeitet und über
seine Zähre alt aussah, fragte, ob er ein Äad nehmen könne. Und schon zum
Gehen gewendet, hielt er inne, strich sich über die Stirn und sagte nach einem
kleinen Zögern: „Sie nannten zuvor den Namen Cagliari! Ist die Dame schon
abgereist?"

Der Portier gab Auskunft. „Nein, keineswegs. Ihre Hoheit die Prinzessin über-
siedelte vor vier Tagen auf ärztliche Anordnung von Villa Zda ins Hauptgebäude,
erster Stock, Zimmer 4, 5 und 6."

Der Herr nickte, ließ sich das Dad geben, meldete sich für die ärztliche Visite
an, und machte dann, noch in dem grauen, nicht sehr modernen Sakko, mit dem
er von der Dahn gekommen war, einen kleinen Spaziergang durch den Garten
des Sanatoriums.

o r l u m

M a r i l a u n

Der Spaziergang war nicht aufregend. Ahornbäume standen ordentlich aus-
spaliert in geraden Reihen. Zn genau gemessenen Abständen hatte man Spuck-
näpfe mit hygienischen Gebrauchsanweisungen angebracht. Uber die roten De-
gonien in den Äeeten wehte zuweilen ein schwacher, scharfer Dust von Zodoform,
und der Strahl eines kleinen Springbrunnens fiel mit einschläferndem Plätschern
über eine Gruppe von Terrakotta, die weder künstlerisch hervorragend, noch be-
sonders geschmackvoll genannt werden konnte und zwei Kinder unter einem das
fallende Wasser auffangenden Regenschirm darstellte.

Doktor Mitteis setzte seine goldgefaßten Augengläser auf, um dies alles besser
zu sehen Es war hier genau so, wie er sich es vorgestellt und vielleicht ersehnt
hatte: still, etwas langwellig, ein bißchen an Spital, Krankenbett und Rekon-
valeszenz erinnernd. Dort, wo die Hauptallee zum Springbrunnen abbog, stand
auf einer Tafel: „Oie p. t. Herrschaften sind gebeten, im eigenen, wie im Inter-
esse ihrer Mitpatienten die größte Ruhe zu bewahren und abgezäunte Teile des
Parkes nicht betreten zu wollen."

Der Doktor lächelte mit schmalen Lippen. Eine Erinnerung flog ihn an. Vier
hohe Mauern i hunderte von vergitterten Fenstern starrten erloschen, hoffnungs-
los und schwarz auf einen steingepflasterten Hof, in dessen Geviert, unter vier
verkümmerten und staubigen Akazien, er einst einen täglichen, für die Dauer einer
Viertelstunde bemessenen Spaziergang gemacht hatte... Seltsam, wie schatten-
hast diese Erinnerung in den letzten Zähren geworden war. Zn diesen Zähren,
in denen ein einst Geächteter, Derfehmter und Degrabener ins Leben zurückgekehrt
war, Zdeen, die einst als verdammenswert galten, verwirklichen durste, und hart,
stolz, einsam, störrisch einen Weg ging, der ihn hoch genug geführt hatte.

Heinrich Milteis nahm das Glas von den Augen und fühlte im Weitergehen
den Widerstand eines Seils, das quer über eine tiefer in den park führende Allee
gespannt war. Die Tafel fiel ihm ein. Nein, es kam ihm nicht in den Sinn, diese
ohne Zweifel abgesperrte Allee zu betreten. Aber eine Stimme rief von dorther
den Doktor Mittels an. Eine Stimme, die keiner Lebenden anzugehören schien
und an das Klagen eines armen, kranken Vogels erinnerte. Oer kurzsichtige Doktor
hielt betreten inne und horchte auf das zerbrochene Stiinmchen der Greisin, die, in
ein schwarzes Tuch geschlagen, auf einer Dank unter den verbotenen Ääumen saß.

„Sie holen mich wahrscheinlich zur Visite?" fragte die Stimme, und Doktor
Mitteis beeilte sich, sein Glas, das er noch in der Hand hielt, aufzusetzen. Er er-
schrak ein wenig. Zenes Wesen mit der erloschen klagenden Stimme einer uralten
Frau war ein junges Mädchen, das sich frierend in sein großes, schwarzes Woll-
tuch hüllte, und den fremden Herrn mit sonderbar irrenden, kranken Augen ansah.

Der Herr erinnerte sich, daß er hier in einem Sanatorium war. „Nein," sagte
er mit wiedergewonnener Fassung, „Sie irren sich in meiner Person. Verzeihen
Sie, ich hatte nicht die Absicht, Sie zu stören."

Die Kranke stand auf und ein halb verstörtes, halb frohes Lächeln erhellte ihr

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Register
Fritz Burger-Mühlfeld: Heimkehr
Karl Marilaun: Sanatorium
 
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