*
WI NT ER-
S ON N E N WE N D E
Sonne, wo bleibst du ? Soviel Wunder sebe
ich im Wandern. Mir sind wehe
alle Freuden, wenn dein Abglanz fehlt.
Deinen Blicken dank ich, daß ich lebe,
und bin reich, sodaß ich schauend gebe.
Alle Dinge leuchten wie beseelt,
trüben auch Wolken den Himmel.
Kommst du hervor — wie das wonnig tut!
Ich bin Glut von deiner Glut,
mochte strahlend mich mit dir vereinen.
in dir aufgehn, so ganz glückerhellt —
Sonne, dann schau ich mit deinen
Blicken und du mit meinen
immerzu die Herrlichkeit der Welt.
Josef Schanderl
*
We itnachtflglocken
Ferdinand Staegcr
*
HEIL1 GE NACHT
Jede, die sieh opfern ging
unter dieser Leidensfrone,
trägt — auch ohne Kranz und Ring —
Heiligste Madonnenkrone.
Denn aus’jedem Weibesschoß,
den die Werde-Wehen trennen,
ringt sich schmerzgeboren los
Einer, den wir noch nicht kennen
und die letzte, die da irrt,
sei gebenedeit auf Erden!
Denn vielleicht die letzte wird
Mutter eines Gottes werden.
Ä. De Nora
*
UNTERM GROSSEN BAUME
Weihnacht! Wieder füllt das Zimmer
Waldesduft und Zauberschein:
Und geheimnisvoll wie immer
Quillt es aus dem Kerzenschimmer
In die Schauenden hinein . . .
Wem lebendig sich erhalten
Bethlehems vertrautes Bild,
Träumt mit treuem Händefalten
Jetzt die heiligen Gestalten,
Und sein Sinn wird froh und mild.
Aber auch wer abgeschworen
Alten Glaubens Traumesmacht,
Sieht, in diesen Glanz verloren.
Einen neuen Gott geboren.
Der da löst aus Not und Nacht . . .
Jeden grüßt aus Weihnachtslichtern
Seines Heilands Trost und Traum
Wachend über all den Dichtern,
Träumenden und Traumesrichtern
Strahlt der ewige Sternenbaum.
Hanns von Gumppenberg
KÖNIG
UND
BE T T L E R
Von W i 11 V e s p e r
Es ist nun fast zweitausend Jahre her, da lebte im Lande Juda
ein mächtiger König, Herodes. Er war ein stolzer prachtliebender
Herr. Sem Schloß war das herrlichste, das je ein König besessen.
Er ging immer m Samt und Seide und hatte an seinem Kleide viel
Gold. Er war ganz freundlich zu seinen Untertanen, solange sie seinen
Willen taten. Er führte große Kriege und gewann viele Schlachten.
Er war in allem ein rechter König, und wenn er mit sechs weißen
Schimmeln vor seinem Wagen durch die Straßen von Jerusalem fuhr,
oder auf einem schwarzen Pferd aus dem Lande Arabien durch die
Stadt ritt, so warfen sich die Menschen zu Boden und hegrußten
den König, als wäre er Gott selber.
Da eines Tages vernahm Herodes eine seltsame Geschichte, daß
da nämlich ein Bettler durch sein Land zöge, ganz armselig anzu-
sehen, m schlichtester Kleidung, ohne allen Besitz, auch ohne äußere
Schönheit, ehen ein ganz gewöhnlicher Bettler. Aber wohin er komme,
laufe das Volk ihm in großen Scharen zu, seine Rede zu hören. Da-
bei seien seine Reden und Gedanken nicht einmal sehr gelehrt. Ja,
es scheine, als habe er weder ein Studium noch sonst dergleichen ge-
trieben. Er sei auch nur der Sohn eines Zimmermannes aus einem
kleinen Landstädtchen — kurz, es sei gar nichts an ihm. Und doch
laufe alles Volk ihm nach, und viele bangten sich an seine Fersen und
zögen mit ihm von Stadt zu Stadt. Und er habe solchen Anhang im
ganzen Lande,und viele liebten und ehrten ihn so, daß man meinen könne,
er, und nicht Herodes, sei der wahre König von Juda. Manche wagten
auch zu sagen, daß dieser Bettler wirklich ein König über alle Könige sei.
Herodes wunderte sich zuerst sehr darüber, als er davon horte.
Dann ließ er den Mann greifen und vor sich bringen. „Ich will doch
sehen, sprach er, „was an ihm ist. und wie er es macht, daß er so
alle Herzen gewinnt. Eine solche Kunst mochte ich wohl von ihm
lernen. Die kann einem König sehr nützlich werden. Der Mann
kam, aber es war wirklich gar nichts Besonderes an ihm. Er war fast
häßlich und auch gar nicht besonders gelehrt. „Ich muß ihn etwas
langer da behalten, dachte Herodes, „daß ich hinter sein Geheimnis
komme. So blieb der Mann einen Monat am Hofe des Königs, ob-
gleich er lieber von dort fort gewesen wäre.
Als ein Monat vergangen war, sagte Herodes zu seinen Raten:
„Ich weiß nicht, wie er es macht. Aber jetzt fange ich auch schon
an, ihn für sehr schon und für den weisesten aller Männer zu halten.
Es geht eine starke Gewalt von ihm aus. Ich hatte Lust, ihn zum
Leiter meines Staates zu ernennen. Ich kann dabei nur gut fahren.
Niemand scheint mir berufener einen Staat zu leiten, als dieser.
So ließ er den Mann rufen und sagte ihm, er wolle ihn zu seinem
obersten Minister machen, und alle Verwaltung des Staates solle in
seiner Hand liegen. „Welche große Gnade für ihn, riefen alle Rate
des Königs. Aber der Fremde wurde traurig und sagte: „Ich wußte
ja nicht einmal eine Schweineherde so gut zu hüten, wie es jeder
Schweinehirte versteht. Wie sollte ich einen Staat lenken? Ich bin
zu allen solchen Geschäften ganz unbrauchbar und nutzlos.
„Aber, sagte Herodes, „das Volk lauft dir nach und ist von dir
bezaubert. Und mich selber hast du wahrhaftig auch besiegt, daß ich
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Sonne, wo bleibst du ? Soviel Wunder sebe
ich im Wandern. Mir sind wehe
alle Freuden, wenn dein Abglanz fehlt.
Deinen Blicken dank ich, daß ich lebe,
und bin reich, sodaß ich schauend gebe.
Alle Dinge leuchten wie beseelt,
trüben auch Wolken den Himmel.
Kommst du hervor — wie das wonnig tut!
Ich bin Glut von deiner Glut,
mochte strahlend mich mit dir vereinen.
in dir aufgehn, so ganz glückerhellt —
Sonne, dann schau ich mit deinen
Blicken und du mit meinen
immerzu die Herrlichkeit der Welt.
Josef Schanderl
*
We itnachtflglocken
Ferdinand Staegcr
*
HEIL1 GE NACHT
Jede, die sieh opfern ging
unter dieser Leidensfrone,
trägt — auch ohne Kranz und Ring —
Heiligste Madonnenkrone.
Denn aus’jedem Weibesschoß,
den die Werde-Wehen trennen,
ringt sich schmerzgeboren los
Einer, den wir noch nicht kennen
und die letzte, die da irrt,
sei gebenedeit auf Erden!
Denn vielleicht die letzte wird
Mutter eines Gottes werden.
Ä. De Nora
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UNTERM GROSSEN BAUME
Weihnacht! Wieder füllt das Zimmer
Waldesduft und Zauberschein:
Und geheimnisvoll wie immer
Quillt es aus dem Kerzenschimmer
In die Schauenden hinein . . .
Wem lebendig sich erhalten
Bethlehems vertrautes Bild,
Träumt mit treuem Händefalten
Jetzt die heiligen Gestalten,
Und sein Sinn wird froh und mild.
Aber auch wer abgeschworen
Alten Glaubens Traumesmacht,
Sieht, in diesen Glanz verloren.
Einen neuen Gott geboren.
Der da löst aus Not und Nacht . . .
Jeden grüßt aus Weihnachtslichtern
Seines Heilands Trost und Traum
Wachend über all den Dichtern,
Träumenden und Traumesrichtern
Strahlt der ewige Sternenbaum.
Hanns von Gumppenberg
KÖNIG
UND
BE T T L E R
Von W i 11 V e s p e r
Es ist nun fast zweitausend Jahre her, da lebte im Lande Juda
ein mächtiger König, Herodes. Er war ein stolzer prachtliebender
Herr. Sem Schloß war das herrlichste, das je ein König besessen.
Er ging immer m Samt und Seide und hatte an seinem Kleide viel
Gold. Er war ganz freundlich zu seinen Untertanen, solange sie seinen
Willen taten. Er führte große Kriege und gewann viele Schlachten.
Er war in allem ein rechter König, und wenn er mit sechs weißen
Schimmeln vor seinem Wagen durch die Straßen von Jerusalem fuhr,
oder auf einem schwarzen Pferd aus dem Lande Arabien durch die
Stadt ritt, so warfen sich die Menschen zu Boden und hegrußten
den König, als wäre er Gott selber.
Da eines Tages vernahm Herodes eine seltsame Geschichte, daß
da nämlich ein Bettler durch sein Land zöge, ganz armselig anzu-
sehen, m schlichtester Kleidung, ohne allen Besitz, auch ohne äußere
Schönheit, ehen ein ganz gewöhnlicher Bettler. Aber wohin er komme,
laufe das Volk ihm in großen Scharen zu, seine Rede zu hören. Da-
bei seien seine Reden und Gedanken nicht einmal sehr gelehrt. Ja,
es scheine, als habe er weder ein Studium noch sonst dergleichen ge-
trieben. Er sei auch nur der Sohn eines Zimmermannes aus einem
kleinen Landstädtchen — kurz, es sei gar nichts an ihm. Und doch
laufe alles Volk ihm nach, und viele bangten sich an seine Fersen und
zögen mit ihm von Stadt zu Stadt. Und er habe solchen Anhang im
ganzen Lande,und viele liebten und ehrten ihn so, daß man meinen könne,
er, und nicht Herodes, sei der wahre König von Juda. Manche wagten
auch zu sagen, daß dieser Bettler wirklich ein König über alle Könige sei.
Herodes wunderte sich zuerst sehr darüber, als er davon horte.
Dann ließ er den Mann greifen und vor sich bringen. „Ich will doch
sehen, sprach er, „was an ihm ist. und wie er es macht, daß er so
alle Herzen gewinnt. Eine solche Kunst mochte ich wohl von ihm
lernen. Die kann einem König sehr nützlich werden. Der Mann
kam, aber es war wirklich gar nichts Besonderes an ihm. Er war fast
häßlich und auch gar nicht besonders gelehrt. „Ich muß ihn etwas
langer da behalten, dachte Herodes, „daß ich hinter sein Geheimnis
komme. So blieb der Mann einen Monat am Hofe des Königs, ob-
gleich er lieber von dort fort gewesen wäre.
Als ein Monat vergangen war, sagte Herodes zu seinen Raten:
„Ich weiß nicht, wie er es macht. Aber jetzt fange ich auch schon
an, ihn für sehr schon und für den weisesten aller Männer zu halten.
Es geht eine starke Gewalt von ihm aus. Ich hatte Lust, ihn zum
Leiter meines Staates zu ernennen. Ich kann dabei nur gut fahren.
Niemand scheint mir berufener einen Staat zu leiten, als dieser.
So ließ er den Mann rufen und sagte ihm, er wolle ihn zu seinem
obersten Minister machen, und alle Verwaltung des Staates solle in
seiner Hand liegen. „Welche große Gnade für ihn, riefen alle Rate
des Königs. Aber der Fremde wurde traurig und sagte: „Ich wußte
ja nicht einmal eine Schweineherde so gut zu hüten, wie es jeder
Schweinehirte versteht. Wie sollte ich einen Staat lenken? Ich bin
zu allen solchen Geschäften ganz unbrauchbar und nutzlos.
„Aber, sagte Herodes, „das Volk lauft dir nach und ist von dir
bezaubert. Und mich selber hast du wahrhaftig auch besiegt, daß ich
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