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e

3 a h

Träumend steigt das neugeborne Jahr In den zarten Händen trägst Du, Kind, Darfich wählen? Soll ich mir erbitten,
aus der Dämmerungen Flut empor. heller Tage köstliches Geschmeide, was an hellen Wünschen mir erwacht?

Morgenglanz trieft aus den Locken klar, düstrer Nächte wehes Angeb ind: Ach, was ich gelebt, geliebt, erlitten -

Morgenklängc schwellen an mein Ohr. Gaben, vorbestkmmt zu Lust und Leide, schäumt herauf ans der begrabnen Nacht,

und der heiß behend en Wünsche Schar stocket jach im Anlauf, dem zu steilen ...

- schon im Sprung, Willst du dennoch deine Gaben teilen:

den Himmeln zuzueilen, Erde gib mir, junges Erdenjahr!

Enge», Kalkschmidl


U N

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Von R o d e r i ch Müller (Schandau)

Als ich aus dem Walde trat, sah ich steil unter mir die alten Dächer
der Stadt. Eine Gesellschaft schweigsamer Raucher blies aus verwitter-
ten Schornsteinköpfen behagliche Wolken. Da erwachte in mir die Sehn-
jucht »ach pfeife und Punsch. Als sparsamer Mann begnüge ich mich
in der Regel mit der pfeife. Aber heute am heiligen Abend wollte ich
auch noch einen Punsch dazu haben.

In dieser Strafte mit den spitzen Giebeln bin ich geboren. Merk-
würdig, wie ein wenig Schnee das Aussehen verändert. Die Gasse
schien mir heute eine andere Welt. Auch das Geschäft da kannte ich nicht.
Flaschen, nichts als Flaschen von sonderbaren Formen. Früher war hier
ein Hutladen. Der Inhaber hicft, soviel ich weift, Schnabel. Jetzt ver-
kaufte man Punsch dort, Punsch von Rotwein, von Arrak, von Rum/
gerade das, was ich suchte.

Ich trat in das Gewölbe. Herrgott, wie hoch war das Haus. Es ging
ein Schacht nach oben mit einem Flaschenzug, der seinem Namen alle
Ehre machte. Er schien geradewegs in den Himmel zu führen und brachte
da ohne Untcrlaft Batterien herunter, an denen die kleine Stadt und
die ganze Umgegend sich zu Tode trtnfcn konnte. Aus allen Stock-
werken langten Hände, um die niederfahrenden Körbe an sich zu ziehen.

Nur seltsam, das Gewölbe war leer. Ich war der einzige Kunde.
Auf dem Ladentisch stand eine einzige Flasche, und hinter dem Tische
stand ein alter, kleiner Mann, der schwerhörig war, denn ehe ich noch
den Mund auftat, legte er schon die Hand an seine Ohrmuschel.

„Ich möchte einen guten Punsch," schrie ich, „ich bin ein einsamer
Junggeselle und will auch meine Weihnachksfrcude haben."

Er tippte mit seinem hageren Finger auf die Flasche, die er vor sich
hatte. „Gerade das, was Sie suchen, mein Herr."

Ich nahm die Flasche hoch. Sie war viereckig, und ein schmaler, ver-
gilbter Zettel klebte daran, auf den eine zitternde Hand mit Tinte ge-
schrieben hatte: Consolatio in soliludine. „Wozu das Küchenlatein?"
fragte ich den Alten. „Lassen Sie Etiketten drucken: ,Einsamkeitslröster',
vorausgesetzt, daß Ihr Gebräu so viel Aufmachung wert ist." - Er
hielt wieder die Hand an das Ohr. „Wie?" fragte er. — „Was kostet
die Flasche?" schrie ich. - „Vierzig Mark." - „Ihr Be-
trieb riecht veraltet, aber mit den Preisen, bester
Freund, sind Sie durchaus auf dem Laufen-
den," dabei reichte ich ihm einen Fünfzigmark-
schein. — Er griff in die Kasse und gab mir
zehn Mark zurück, kein Papier, Gold, ein
funkelndes, seit Jahren nicht gesehenes
Zehnmarkstück. - Ich blickte den Punsch-
händler erstaunt an. „Wissen Sie, daß Sic
mir damit die Flasche, und obendrein noch
reichlich Münze schenken?" fragte ich. —

„Wie?" - „Sie kommen so um Punsch und
Geld, begreifen Sic das denn nicht?" brüllte
ich ihm ins Ohr. — Er schüttelte den Kopf. — Ich
gab es auf, den tauben Burschen über Devisen und Gold- A. Mi

kurs zu belehren, ich war schließlich nicht verpflichtet dazu, nahm die
zehn Mark in Gold, nahm die Flasche, und ging hinaus.

Es mußte sich inzwischen draußen etwas ereignet haben. Die Straßen
waren leergefegt, nirgends ein Mensch, nirgends ein Licht, alle Läden
geschlossen. Generalstreik, örtlicher Streik, Teilstreik im Elektrizitätswerk,
nahender kommunistischer putsch, Einfall der Polen, der Tschechen, der
Franzosen, weiß der Himmel, was dieser heilige Abend uns wieder
Nettes bescherte. Jedenfalls hatte die Bürgerschaft es vorgczogen, aus
der Öffentlichkeit zu verschwinden, und ich beschloß, mit meinem Punsch
das Gleiche zu tun. Ich ging heim, aber ich fand das Haustor ver-
schlossen. Mein Haustor ist eine riesige Türe aus dem 17. Jahrhundert
mit einem Schlüssel von der Art einer mittelgroßen Axt. Deshalb trage
ich sie ohne Not und vor neun Uhr nicht bei mir. Eine Hausglocke
haben wir nicht. Ich war halb acht Uhr abends ausgesperrt.

Wie so häufig in der Gegenwart stimmte hier wieder einmal etwas
nicht. Ich mußte jemand finden, der mich aufklären konnte. Die Eisen-
bahn fährt jenseits des Flusses, der Haltepunkt liegt eine halbe Stunde
stromabwärts. Ein Kahn besorgt die Überfahrt. Der Fährmeistcr ist
vertraglich verpflichtet, Tag und Nacht zum Übersetzen bereit zu sein.
Mit ihm wollte ich sprechen.

Ich ging die Straße zum Fluß hinunter, am Zollhaus mit seinen
alten schwarzen Mauern vorüber, suchte in der Ferne den Bahnhof,
seine Signale, seine Lichter. Ich fand kein rotes, kein grünes, kein gelbes
Licht, es war da unten stockfinster. Der Fährmann hat Tag und Nacht
in einer Holzbudc zu stecken, so steht es wenigstens in seinem Vertrage.
Ich pochte an sein Gehäuse, dröhnend, drohend, mit dem Spazierstock
und mit dem Stiefelabsatz. Vergebens. Der Mann scherte sich den
Teufel um seinen Vertrag. Wie alle andern war auch er ausgerissen.
Nur sein Kahn lag am Ufer. Die Wasser spielten mit ihm, plätscherten
leise um seinen dunklen Leib.

Es hatte das etwas Beruhigendes. Der ganze Kosmos war also
noch nicht aus den Fugen. Es gab noch Wasser, das leidlich normal
schien. Überhaupt war, ich muß es gestehen, der augenblickliche Zustand,
mit kaltem Blute betrachtet, gar nicht so übel. Ich blickte
mich, und fand die Welt voll Frieden und
Weihe. Der Schnee und die Sterne erhellten
das Land, man sah den stillen hohen Wald
und den Fluß, auf den der gestirnte Himmel
seinen stahlblarien Spiegel warf. Ich ging
den Damm entlang, air den uralten
Weiden vorüber, die in ihrem weißen
Kleide jung geworden waren. Die tiefe
Einsamkeit kleidete die Erde schön, sie hatte
den armseligen Kittel abgeworfen, den ihr
die Zeitgenossen der letzten Jahre umgewürgt
hatten. Die häßliche Gegenwart wurde durch
eine mir unbekannte Kraft aus meinem Vorstellungs-
k, e r vermögen ausgesperrt. Ich setzte mich auf einen Wegstein

um
Register
Roderich Müller-Guttenbrunn: Punsch
A. Winkler: Vignette
Eugen Kalkschmidt: Zum neuen Jahre
 
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