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Kleinstadt-Gesellschaft

Das schwirrt hrut wievrr unter all den Damen:
Dienstboten, Ibsen, auserlesne Namen.

Als Veilchen,sonst gesund,blüht hier unvschmachtet

Frau Kaufmann Huber, die nach Hkhrem trachtet.
„Jedoch mein Mann!" ihr Auge irrt zur Decke,
Und man bemerkt, daß etwas in ihr stecke —
Frau Meier kerbt da ihren Mund so eigen,

Und weh spricht sie: „O Liebste! lieber schweigen!"
Sogar Frau Schmidt entdeckt, daß ihr was fehle
Für ihren Geist sowohl als ihre Seele.

Sie formuliertes und knabbert etwas Torte:
„Uns fehlt Gelegenheit, mit einem Worte,

In einem höher» Sinn sich auszuleben."

Frau Huber nickt bedrückt: „Das ist es eben."
Sie sehn sich an und scheinen sich zu fragen:
„Wie läßt sich so ein Leben weiter tragen?"
Doch wie entrückt in freudenreiche Sphären
Beginnt ihr Antlitz sich da aufzukläre».

Frau Schmidt rust froherregt mit einem Male:
„An welchem Tage denn? in welchem Saale?"
Und mit Frau Schmidt freu'n sich die andern alle:
Es ftel bereits ein Wort vom nächsten Balle.

Herma nn Schleder

*

Der verschmähte Schiller

An einem schönen Herbsttage sas; ich in
einer öffentlichen Gartenanlage auf einer ein-
samen Bank. Neben mir lag cin Säckcheit mit
Birnen unD ein Stück Brot. In der Hand
hielt ich eilt Schiller-Bändchen aus der wohl-
feilen Cottascheit Bolksbibliothek.ZOPfennig
für den elegant in Leinwand gebundenen
Band, stand auf dem Deckblatt. Und ganz
unten fand ich die Jahreszahl 1889. Wie viel
praktischerIdealismus! dachte ich und träumte
ein Weilchen in die bunt verfärbte ssarkland-
schaft hinein. Dairn begairn ich langsam zu
lcsen.VondemFeuergeistdesjuiigenSchiller
machtvoll ergriffen, halte ich zehn Minuten
später alles um mich herum vergessen.

Eine zarte Haitd, die mich flüchtig an der
Schulter berührte, rief mir erst wieder meine
Umgebung in's Bewußtsein zurück. Ich ver-
sorgte mein Schiller-Bändchen mit einem
vierfach zusammcngefaltcten Bogen Sei-
öenpapier, der inir als Lesezeichen diente,
klappte es zu und legte es zu meinem unbe-
rührten Vesperbrot. Dann erhob ich mich,
um meine junge Bekannte zu begrüßen.

An meine Lektüre anknüpfcnd sprachen
wir von Schiller dem Dramatiker, der durch
sein glühendes Temperament noch immer
alt und jung in den Bannkreis seiner Dich-
tung zwingt. Dabei entfernte ich mich ziem-
lich weit von meiner Bank, und es mochte
eilte geraume Zeit verstrichen sein, che ich
wieder dahin zurückkehrte. Dort erwartete
mich aber eine merkwürdige Überraschung.
Birireit und Brot wareit nirgends mehr
zu scheit. VomSchillcr-Bändchen fehlte der
Leineneinband. Ja sogar das vierfach zusam-
mengelegte Seidenpapier war verschwundeit.
Nur die Dichtung selber lag unberührt auf
der Bank. Ein gelbes Buchenblatt war da-
rauf gefallen.

Matrose in den Tauen

Alexander Wagner

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[nicht signierter Beitrag]: Der verschmähte Schiller
Hermann Schieder: Kleinstadt-Gesellschaft
Sandor (Alexander) Wagner: Matrose in den Tauen
 
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