Jordans Letzte Hilfe
Von Roda Roda
Rest, noch einen Schoppen! — Ich gebe zu, daß mein
Vorleben etwas bemakelt ist. Besonders von meinem
zwanzigsten Jahr an bis in den letzten Winter habe ich mich
in Gleisen bewegt, die am Abgrund führten. Und über die
Zeit vor meinem zwanzigsten Jahr — ich möchte, wissen Sie,
nicht gern darüber befragt sein — selbst in diesem Augen-
blick, wo ich gelaunt bin, Geständnisse zu machen. ...
Sie sind nicht neugierig? Um so besser. Die Neugier
bliebe übrigens unbefriedigt: nach zehn Jahren werden ja
gelinde Vorstrafen von den Behörden gelöscht....
Einen Schoppen, Resi! — Aber so wie ich muss eben ein
Mann beschaffen sein, der ins Leben von heute paffen soll.
Eine Zeit lang gefährliche Pfade zu wandeln: glauben Sie
mir, es ist eine gute Schulung. Man lernt die Augen offen
halten, schwindelfrei sein.... Lachen sie nicht!... Man lernt:
austreten, sich auf die Beine stellen. Im alten Deutschland
war jedes Schrittchen von der Polizei bewacht — da konnte
selbstständig nur werden, wer sich — wie ich — manchmal
aus den Gehegen wagte....
Doch wozu die Vergangenheit aufrühren? Sie ist vorbei.
Jetzt bin ich Jordan, Gründer und Leiter von Jordans
Letzter Hilfe — stehe Menschen bei, die es besser in ihrer
Jugend hatten, weicher als ich geblieben sind und sich dafür
nun auf meine gestählien Muskel stützen können. ... Denn,
sehen Sie — nicht wahr? — Jordans Letzte Hilfe schafft
Rat, wo alles den Kopf verlor. Muß ich einstweilen auch
erst in kleinem Kreis wirken: München ist mein Anfang,-
bald gehe ich nach New 7)ork. Jordans Letzte Hilfe macht
München zur Großstadt — sie wird demnächst New Jork
zur Großstadt machen. — Rest, einen Schoppen!
Oh, ich könnte schon hundert Fälle anführen aus meiner
kurzen Tätigkeit — interessant vom ersten bis zum letzten.
2n meinem Büro reichen ja verzweifelte Menschen einander
die Türklinke. Man blickt in Schicksale — in Klüfte, sage ich
Ihnen. Man zieht stündlich Existenzen aus dem Schlamassel
— am obersten Schopf. Gestern die Rettung des Fräuleins
aus der Isar — haben Sie's in den „Neuesten' gelesen?
Auch Arbeit von Jordans Letzter Hilfe....
Aber Jordans vornehmste Pflicht ist: Schweigen.
Immerhin: einen leichten Fall — ja, den kann ich preks-
geben: Kennen Sie Klingemann? Natürlich. Wer kennt
ihn nicht — Siegmund Klingemann, bürgerlichen Poeten?
„Gudrun" hat ja dreißig Auflagen, glaube ich.
Klkngemann also wohnt an der Widenmayerstraße,
ziemlich standesgemäß, zwei Treppen, Aussicht auf die Isar.
Wohnt und schafft: jährlich liegt ein Epos sauber aus dem
Weihnachtstisch der gebildeten Familie,- gehört sozusagen
in den Kalender.
Ha, da setzt man ihm zu Oktober — wo grad wieder die
„Spielmannsfahrt" erschienen war....
Rest, einen Schoppen! prost! — Wo bin ich geblieben?
Richtig — bei Ha! — Zu Oktober setzt man kn die Woh-
nung über Klkngemann einen neuen Mieter. Sagen wir:
Herrn Obcrmieter. Und mit Klingemanns Schaffen ists
sofort vorbei.
Klingemann pflegt nämlich seit Jahren von zwei bis drei
nachmittags sein sattes Schläfchen zu schlummern — es ist
Grundbedingung seines Organismus — sonst versagt der
Leib eben dem Talent den Dienst.
Obermieter,- der Hund, spielt Klavier von zwei bis drei.
„Sehr geehrter Herr!' schreibt Klingemann — und stellt
die Sachlage dar, wie sie ist: daß da ein Stück deutscher
Kultur zerstört wird, wenn das Gespiel von zwei bis drei
nicht aufhört. — Obermieter klaviert.
„Du Hund!" knirscht Klingemann — und schreibt einen
zweiten Brief: „Hochverehrtester Herr! Ich bitte Sie —
— nein, ich flehe Sie an bei allem, was Ihnen heilig ist —
unterlassen Sie. ... usw. Verlangen Sie jede Gegenge-
fälligkeit von mir, betrachtenSie mich als IhrenSklavcn....'
Obermietcr spielt.
Da begreift Klingemann: mit dem Kerl oben ist km Guten
nicht auszukommen. Man muß die dicke Saite spannen.
Sie kennen doch das Mittel? — Nein, Jedermann sollte
cs aber kennen: Im Zimmer, über dem gespielt wird, tut
man den Eßtisch und die Lampe weg. Hierauf schraubt man
kn den Fußboden einen Haken, und spannt zwischen dem
Haken unten und dem Lampenhaken senkrecht die dicke Saite.
Beginnt Obcrmieter seinen Walzer: so streicht man unten
unermüdlich mit dem Baßbogen die dicke Saite. Wunder
der Resonanz! Sie glauben nicht, welche Mißtöne dann aus
Obermieters piano strömen. Es ist zum Steinerweichen —
einfach unerträglich für jeden musikalischen Menschen.
Doch Obermieter ist ein Schweinsohr. Ihm macht die
dicke Saite nichts,- ihn freut der Lärm,- er klaviert.
Hierauf hat Kltngemann die Nähmaschinen ankurbeln
lassen — und zwar drei, beseht von Frau Klingemann und
ih-en zwei Nichten, kurz nach Mitternacht. — Obermieter
schlief — und am nächsten Nachmittag um die kritische Stunde
klaviertc er. Klingemann klopfte vergebens mit einemBcsen-
stiel in falschem Takt die Decke ab.
Klkngemann versuchte seine Begabung durch Flucht ins
Hofzimmer zu retten: Obermietcr, gereizt durch die dicke
Saite, die Nähmaschinen und den Besenstiel, rollte sein
piano ins Hofzimmer. Halte er Spione in Klingemanns
Haus? Klingeman änderte seine Lebesweiie: er aß zwischen
zwei und drei nachmittag,- schlief bis Mitternacht,- und
dichtete am frühen Morgen. Sofort stellte auch Obcrmieter
um: er klavlerte von Mitternacht bis Mittag.
Sehen Sie, die Lage war verzweifelt.
Was tut man kn verzweifelten Lagen? Man ruft Jordans
Letzte Hilfe an. Klingemann abonnierte bei mir.
Ich liefere vier junge Leute und ein Piano. Es spielt seht
bei Klingemann von vier bis zehn vormittag ein gewisser
Strehle, Konservatorist,- von zehn bis vier Fräulein Ziegler,
eine Anfängerin,- von vier bis zehn Uhr abends der Kor-
repetitor Seil,- von zehn bis vier ein Turnlehrer.
Was Klingemann unterdessen treibt? Er ist nach Parten»
kirchen gefahren und dichtet dort.
Und Herr Obermieter? — Sie fragen noch? Seine Lage
ist doch ebenfalls verzweifelt. Selbstverständlich ist auch
Obcrmieter bei mir abonniert. Auch bei ihm spielen vier
Mann von Jordans Letzter Hilfe Klavier — unaufhörlich,
Tag und Nacht. — Obermietcr selbst lebt in Garmisch.
xquiftt
Echter alter
Weinbrand
Die Perle der
Liköre
E.LKEMPE & C9
Aktiengesellschaft
O PPACH*/sa.
Hei etwaigen Bestellungen bittet man auf die UI Unebener „Jugend** Bezug zu neli
10
Von Roda Roda
Rest, noch einen Schoppen! — Ich gebe zu, daß mein
Vorleben etwas bemakelt ist. Besonders von meinem
zwanzigsten Jahr an bis in den letzten Winter habe ich mich
in Gleisen bewegt, die am Abgrund führten. Und über die
Zeit vor meinem zwanzigsten Jahr — ich möchte, wissen Sie,
nicht gern darüber befragt sein — selbst in diesem Augen-
blick, wo ich gelaunt bin, Geständnisse zu machen. ...
Sie sind nicht neugierig? Um so besser. Die Neugier
bliebe übrigens unbefriedigt: nach zehn Jahren werden ja
gelinde Vorstrafen von den Behörden gelöscht....
Einen Schoppen, Resi! — Aber so wie ich muss eben ein
Mann beschaffen sein, der ins Leben von heute paffen soll.
Eine Zeit lang gefährliche Pfade zu wandeln: glauben Sie
mir, es ist eine gute Schulung. Man lernt die Augen offen
halten, schwindelfrei sein.... Lachen sie nicht!... Man lernt:
austreten, sich auf die Beine stellen. Im alten Deutschland
war jedes Schrittchen von der Polizei bewacht — da konnte
selbstständig nur werden, wer sich — wie ich — manchmal
aus den Gehegen wagte....
Doch wozu die Vergangenheit aufrühren? Sie ist vorbei.
Jetzt bin ich Jordan, Gründer und Leiter von Jordans
Letzter Hilfe — stehe Menschen bei, die es besser in ihrer
Jugend hatten, weicher als ich geblieben sind und sich dafür
nun auf meine gestählien Muskel stützen können. ... Denn,
sehen Sie — nicht wahr? — Jordans Letzte Hilfe schafft
Rat, wo alles den Kopf verlor. Muß ich einstweilen auch
erst in kleinem Kreis wirken: München ist mein Anfang,-
bald gehe ich nach New 7)ork. Jordans Letzte Hilfe macht
München zur Großstadt — sie wird demnächst New Jork
zur Großstadt machen. — Rest, einen Schoppen!
Oh, ich könnte schon hundert Fälle anführen aus meiner
kurzen Tätigkeit — interessant vom ersten bis zum letzten.
2n meinem Büro reichen ja verzweifelte Menschen einander
die Türklinke. Man blickt in Schicksale — in Klüfte, sage ich
Ihnen. Man zieht stündlich Existenzen aus dem Schlamassel
— am obersten Schopf. Gestern die Rettung des Fräuleins
aus der Isar — haben Sie's in den „Neuesten' gelesen?
Auch Arbeit von Jordans Letzter Hilfe....
Aber Jordans vornehmste Pflicht ist: Schweigen.
Immerhin: einen leichten Fall — ja, den kann ich preks-
geben: Kennen Sie Klingemann? Natürlich. Wer kennt
ihn nicht — Siegmund Klingemann, bürgerlichen Poeten?
„Gudrun" hat ja dreißig Auflagen, glaube ich.
Klkngemann also wohnt an der Widenmayerstraße,
ziemlich standesgemäß, zwei Treppen, Aussicht auf die Isar.
Wohnt und schafft: jährlich liegt ein Epos sauber aus dem
Weihnachtstisch der gebildeten Familie,- gehört sozusagen
in den Kalender.
Ha, da setzt man ihm zu Oktober — wo grad wieder die
„Spielmannsfahrt" erschienen war....
Rest, einen Schoppen! prost! — Wo bin ich geblieben?
Richtig — bei Ha! — Zu Oktober setzt man kn die Woh-
nung über Klkngemann einen neuen Mieter. Sagen wir:
Herrn Obcrmieter. Und mit Klingemanns Schaffen ists
sofort vorbei.
Klingemann pflegt nämlich seit Jahren von zwei bis drei
nachmittags sein sattes Schläfchen zu schlummern — es ist
Grundbedingung seines Organismus — sonst versagt der
Leib eben dem Talent den Dienst.
Obermieter,- der Hund, spielt Klavier von zwei bis drei.
„Sehr geehrter Herr!' schreibt Klingemann — und stellt
die Sachlage dar, wie sie ist: daß da ein Stück deutscher
Kultur zerstört wird, wenn das Gespiel von zwei bis drei
nicht aufhört. — Obermieter klaviert.
„Du Hund!" knirscht Klingemann — und schreibt einen
zweiten Brief: „Hochverehrtester Herr! Ich bitte Sie —
— nein, ich flehe Sie an bei allem, was Ihnen heilig ist —
unterlassen Sie. ... usw. Verlangen Sie jede Gegenge-
fälligkeit von mir, betrachtenSie mich als IhrenSklavcn....'
Obermietcr spielt.
Da begreift Klingemann: mit dem Kerl oben ist km Guten
nicht auszukommen. Man muß die dicke Saite spannen.
Sie kennen doch das Mittel? — Nein, Jedermann sollte
cs aber kennen: Im Zimmer, über dem gespielt wird, tut
man den Eßtisch und die Lampe weg. Hierauf schraubt man
kn den Fußboden einen Haken, und spannt zwischen dem
Haken unten und dem Lampenhaken senkrecht die dicke Saite.
Beginnt Obcrmieter seinen Walzer: so streicht man unten
unermüdlich mit dem Baßbogen die dicke Saite. Wunder
der Resonanz! Sie glauben nicht, welche Mißtöne dann aus
Obermieters piano strömen. Es ist zum Steinerweichen —
einfach unerträglich für jeden musikalischen Menschen.
Doch Obermieter ist ein Schweinsohr. Ihm macht die
dicke Saite nichts,- ihn freut der Lärm,- er klaviert.
Hierauf hat Kltngemann die Nähmaschinen ankurbeln
lassen — und zwar drei, beseht von Frau Klingemann und
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schlief — und am nächsten Nachmittag um die kritische Stunde
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Klkngemann versuchte seine Begabung durch Flucht ins
Hofzimmer zu retten: Obermietcr, gereizt durch die dicke
Saite, die Nähmaschinen und den Besenstiel, rollte sein
piano ins Hofzimmer. Halte er Spione in Klingemanns
Haus? Klingeman änderte seine Lebesweiie: er aß zwischen
zwei und drei nachmittag,- schlief bis Mitternacht,- und
dichtete am frühen Morgen. Sofort stellte auch Obcrmieter
um: er klavlerte von Mitternacht bis Mittag.
Sehen Sie, die Lage war verzweifelt.
Was tut man kn verzweifelten Lagen? Man ruft Jordans
Letzte Hilfe an. Klingemann abonnierte bei mir.
Ich liefere vier junge Leute und ein Piano. Es spielt seht
bei Klingemann von vier bis zehn vormittag ein gewisser
Strehle, Konservatorist,- von zehn bis vier Fräulein Ziegler,
eine Anfängerin,- von vier bis zehn Uhr abends der Kor-
repetitor Seil,- von zehn bis vier ein Turnlehrer.
Was Klingemann unterdessen treibt? Er ist nach Parten»
kirchen gefahren und dichtet dort.
Und Herr Obermieter? — Sie fragen noch? Seine Lage
ist doch ebenfalls verzweifelt. Selbstverständlich ist auch
Obcrmieter bei mir abonniert. Auch bei ihm spielen vier
Mann von Jordans Letzter Hilfe Klavier — unaufhörlich,
Tag und Nacht. — Obermietcr selbst lebt in Garmisch.
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