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REICHSGRÜNDUNG

*

BETRACHTUNG

21'i'mi fünfzig Jahre zurück wir sehn.

Will tiefster Schmerz uns umnachken:

Wie konnte dies Reich in Trümmer geh».
Gegründet in siegreichsten Schlachten?

Nur bittere Wahrheit kann Lehre fein,

Nur ungefchnu'nktes Erinnern:

Wir waren nach außen nur groß, — doch klein,
Slhwachmükigen Geistes im Innern!

Wir waren ein Volk anf der Landkarte zwar.
Von einem Grenzstrich ummauert.

Doch jener höheren Einheit bar,

Die jeden Stni m überdauert!

Wir waren nicht stolz! Wir steckten zu tief
In Talmi und Byzantinismus!

Es hatte bei uits einen Freiheitsbrief
Der ödeste Mater ialisknus!

So konnten wir uns in blutigster Dual
Nicht bis zum Endsieg verbünden . . .

Nach fünfzig Jahren, zum zweiten Mal
Gilt's heute, ein Deutschland zu gründen!

Ein Deutschland, das frei die Glieder dehiit,
Entwachfen den Kinderschuhen,

Das Deutschland, das unsere Väter ei sehnt.

Die anf dem Märzfriedhof ruhen!

Ei» Deutschland, das feine kick rast erkannt,

Arzt feiner eigiien Gebresten,

Das nicht mehr, im Rausch der Phrase gebaniik.
Verleugnet selbst seiiie Besten!

Ei» Deutschland, geeint durch der Liebe Gebot
Zu riiwerwelkbarer Treue, •—

D laßt es uns wecken in unserer Not
Das ewig? Deutschland, das neue!

Das Deutschland, das, eine oerwnnschene Fei,
Verzaubert im Grabe geruht hat!

Das neue De ^ . o is stolz und frei
Zum eigene» Glü.-k? den Mut hat!

Äari a en

1 8. JANUAR 1871

Dos war ein Tag der Fahnen
kliid Hellen Festgetöns,

Das war ein sieghaft Mahnen
Des Deutschen Auferstehns!

Durch Wolken stieg der Phönix

Sv wagestolz und steil

Voi» Schloß des Sonnenkönigs,

Voiii Zauberschloß Versailles!

Und heul? — Ein Halbjahrhundeit
Entflog zur Ewigkeit,

Was alle Welt bewundert.

Es liegt in Not und Leid!

Nach haßerfülltem Lauer»

Entflog eii, gift'ger Pfeil
Deii fluchbelaö'nen Mauern
Der Rachebnrg Versailles!

Doch unanfhaltsaiii rollen,

Eiii stnrnigeprilfchter Schioall,

Jiii ewig ivechfelvolle»

Gebild' von Berg und Tal
Des Welterlebens Wogen
Durchs nfeilofe Meer,

Bald sprühend im Regenbogen,

Bald abgrunöfchwarz und schtver.

Und sanken wir im schroffen
Zusammensturz gen Grund,

Als giiigs ohne Retten und Höften
Hinab zum Höllenschlunö,

— Kopf hoch! Bald muß ja blinken
Des nächsten Berges Licht!

Wir Deutsche können finken
Doch wir ertrinken nicht!

I. 2L 6.

*

AUS DER

JÜNGSTEN VERGANGENHEIT

Neulich halte ich ivieöer einmal bei der Be-
hörde zu tun. Ich bin eben ein Genußmensch.
Aber ich muß in ein falsches Zinnner geraten sein,
deiin ich befand mich plötzlich einem Beamten
gegenüber, über dessen Schreibtisch ein weißer
Karton mit folgender rätselhafter Inschrift an-
gebracht war:

Vielleicht — möglicherweise — so viel bis
jetzt bekannt — zwar, jedoch anölerfeiks — ohne
dem Ergebnis vorausgreifen zu wollet, — wäh-
rend jedoch auch — wobei freilich einerseits —
noch in der Schwebe — so muß aber auch be-
rücksichtigt wer den — demnächst — unter Um-
ständen — wie ve, lautet — noch nicht ganz
sicher — in absehbarer Zeit —

„Mit wem habe ich denn das Vergnügen?"
erkundigte ich mich.

Und würdevoll kam die Antwort: „Ich bin
der Herr, der die amtlichen Knndgebnngen der
Regierung an die Presse ausarbeilet!" Bi,„

*

DER ATLAS

Germania schlug den Atlas auf;

Den neuesten, gestern gedruckten.

Eie suchte die Landesgrenzeu darauf —

Und ihre Mundwinkel zuckten,

„Heir Buchdrucker," ftanuuelte sie verwirrt,
„Die Grenze kann doch nicht stiinmen!

Oer Atlas ist falsch! Ihr habt Euch geirrt!

Ihr ließet die Farben verschwimmen!"

Der Buchdrucker Michel, er senkt das Haupt:
„£5, wärest Du doch im Rechte!

O schöne Provinzen, die matt geraubt.

Auf daß man zum Welschtum sie knechte!"

Germania schloß die Augen und schwieg.

Wie schmerzte das Los sie, das harte!

Da siehe, cm seltsames Flüstern stieg
Empor aus der farbigen Kaite:

„Nicht weinen, Mutter! Mag siegesbewußt
Man uns „erobert" auch heißen,

Nie kann das deutsche Herz aus der Brust
Die wälfche Kralle uns reißen!

Steht tausendmal ans der Kaite auch da.

Daß Siiaßburg in Fiank, eist, läge,

Oie Stiinnie des Blutes, Germania,

Ist stärker als olle Verträge!

Und streicht matt Posen auch polnisch an,
Vergebliches, törichtes Handeln!

Kein Faibenpinsel, kein Grenrpsahl kann.

Was deutsch ist, in Ausland verwandeln!

Nicht weinen, Mutter! Die Seele zeneißk
Uns armen Verbannten Dein Klagen,

D träume. Mutier, ivir seien verreist —

Die Stunde der Heimkehr ivird tchlagen!

Wenn tvieder wir liegen cm Deiner Brust,
Dann lass' nnsic Tränen sich paaren.

Die Tränen der Freude, die Zähren der Lust
Nach unglückselige» Jahren!"

Helios

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Register
J. A. S.: 18. Januar 1871
Karlchen: Betrachtung
Arpad Schmidhammer: Zur Reichsgründung sechs Zeichnungen
Bim: Aus der jüngsten Vergangenheit
Helios: Der Atlas
 
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