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Der Blonde und das Töpfer! Bier

von Llsbct Pctsch-Rrapp

Die jüngste Teschermann, die seit zwei fahren Handarbeitsunterricht gibt,
sitzt im Rassee. Mit ihrer 8rcundin, die seit zwei fahren Turnunterricht gibt.
Ls ist am Abend. So gleich acht Uhr. Die Lichter brennen und slackern über
die weißen Marmortische. Rasch und hitzig wie der Atem einer Liebesstunde.

Lin Pikkolo schwankt vorbei mit Ansichtskarten und Zigaretten. Der weiß-
liche Rauch ringelt sich hoch. „Wie Seelen aus Schlangenkörpcrn," denkt die
jüngste Tejchermann. „Lntlöste Seelen." Die jüngste Teschermann ist furcht-
bar melancholisch heute abend. Am liebsten möchte sie einen Glühwein trin-
ken oder sowas. Was das Blut ein bißchen antreibt. Aber weil der Letzte ist,
hat die jüngste Teschermann kein Geld mehr. Rur noch für einfachen Tee.

Auch die Turnlehrerin hat kein Geld mehr. Außer für einen Tee. Wo die
Turnlehrererin am liebsten Punsch romain essen möchte. So zur Abküh-
lung. Denn die Turnlehrerin ist furchtbar aufgeregt heute abend.

„Ls ist schon acht Uhr," sagt die Turnlehrerin. „Run werden sie ja gleich
kommen. 8ühl doch bloß mal. wie mein Herz geht." Die kleine Handarbeits-
lehrerin sagt: „Neins spüre ich überhaupt nicht. Ich bin grad wie tot. Vas
ganze Leben ist ein Dreck," sagt die Handarbeitslehrerin. „Roch nicht mal
einen Glühwein kann man sich leisten. Und überhaupt - - ein Dreck!"

Auch die kleine Turnlehrerin seufzt. Dann sagt sie: „Aber das Warten ist
doch auch schön. Ls ist so eine süße <pual." Die Turnlehrerin ist überhaupt
sehr sür das Romantische. Sie hat auch schon eine Rovelle in der Zeitschrift
„Helmglück" gedruckt bekommen.

Die jüngste Tejchermann sagt nichts. Sie sieht aus den Rapcllmeister, der
eine Locke in der Stirne hat. Die ihm immer über das linke Auge fällt. Sonst
hätte die jüngste Tejchermann darüber gelacht. Aber heute könnte sie direkt
losheulen Zumal wo sie wieder das „Dreimäderlhaus" spielen. Be! dem sie
ohnehin immer so schwermütig wird. „Ls ist ein Dreck," sagt die jüngste
Tejchermann.

Alle Zwei trinken sie schlückchenweise ihren Tee. Die Handarbeitslehrerin
und die Turnlehrerln Der Rellner läuft durch die Mitte und balanziert
kleine Lisbergc. Rot und weiß, „wie Schneebcrge mit Alpenglühen drauf,"
denkt die jüngste Teschermcmn.

Lin leiser Rasseedust windet sich durch den Raum. Die Rauchkringel
fliegen. Hier in der Lcke muß einer sitzen, der Rhasana benutzt. Die jüngste
Tejchermann kennt die seinen Parfüms alle. Sie kann fich nur keine kaufen.
Höchstens mal gefüllte Schokolade. Und das nur am Anfang vom Monat.
„Ls ist ganz gemein," denkt die jüngste Tejchermann

Zn diejem Augenblick kommen die beiden Bildhauer herein. Der mit den
braunen Haaren, den sie das Täpserl Bier nennen. Und der Blonde, der
keinen Spitznamen hat. Alle zwei haben sie Blumen mitgebracht. Aber jeder
nur eine Rose. Weil sie sür mehr kein Geld haben.

Der Braune sagt: „Also das letzte Täpferl Bier hier!" Die jüngste Tefcher-
mann sieht ganz nervös auf Sie sagt: „Run beton' das doch nicht immer!
Ls ist so wie so doch schon herzlos genug, daß du nicht mehr hierher kom-
men willst." Der Braune jagt: „Aber Rinderl, fang doch nicht schon wieder
an Heut' wollen wir doch noch mal fidel sein "

Die Handarbeitslehrerin sagt: „8idel! gibel! Ich Hab da zu viel Herz,
um sidel zu sein. Bei mir sitzt das eben tief. Und bei dir — Gott — ph!"

Die jüngste Teschermann hat sich ein bißchen zur Seite gedreht. Line
Träne sitzt ihr im Auge. „Die Männer und die Liebe! Gott! — " denkt die
jüngste Teschermann „Alles Schwindel!"

Das Töpserl Bier nimmt leise ihre Hand und sagt: „Sei doch vernünftig,
Rinderl. von was wollen wir denn leben! Du ny — ich nix." Die jüngste
Teschermann hat flammende Backen. Sie sagt: „Gott, da
werd doch was! Tu doch was für deine künftige 8rau. ph!"

Der Braune sagt: „Za, das will ich ja grad, Rinderl.

Was werden! Aber guck, wer weiß, wie lang das dauert!

Und da kann ich mich nicht binden. Und dich auch nicht."

„Ach," sagt die Handarbeitslehrerin ein bissel schnippisch,

„bring doch mich nicht immer vor. Wo du doch weißt, daß
ich alles tät für dich." Der Braune sagt sehr zärtlich: „Aber
keine zehn Zahr' vielleicht warten. Das wär eine Sünd, oder
sehr dumm." Die jüngste Tejchermann sagt: „Ra ja — wenn
man eine solche — eine solche Vulüerzelt schon mit dumm

bezeichnet, dann kann man ja überhaupt nicht mit dir darüber reden, wo
eben kein Gefühl ist.. .."

Vas Töpserl Bier seufzt ein bißchen auf. Ls sieht aus die kleine Hand-
arbeitslehrerin herunter, auf ihre weiße gestickte Bluse und ihren Mund,
der so em bißchen trotzig und weh hin und her geht. Und auf ihre nied-
lichen schmalen Mädchenfinger. „Rind," sagt er, „weh tuts ja schon -
aber jetzt gehts halt noch. Da wird man vielleicht noch mit acht Taqen sertia
Später

Die Handarbeitslehrerin trommelt nervös mit den Händen. Sie hat den
Stiel der Rose schon ganz zerpflückt. „Gott," sagt sie, „hör doch bloß auf.
Du wirst ja brutal gefühllos."

Der Braune sagt ein bißchen traurig: „Du verstehst mich halt nicht.
Später, da kommst du noch drauf, wenn du 'n netten Mann hast." Die
jüngste Teschermann zuckt mit der Schulter. Sie hat wieder einmal genug
von den Männern. Und von der ganzen Liebere!. Auch der Tee schmeckt ihr
heute nicht. Daß man sich noch nicht einmal einen Schluck Rum dam gön-
nen kann! Diese ganze elende Geldknipsere!.Die jüngste Teschermann

trommelt noch immer mit den 8ingern auf der weißen Marmorplatte.

Der Pikkolo verkaust noch immer Ansichtskarten und Zigaretten. Der
Dber trägt noch immer ro!-we ße Lisberge Diesmal scheint sogar Schoko-
iadeneis dabei zu sein. Auch dem Rapellmeister hängt die Locke immer noch
über dem linken Auge. Rur im Herzen der jüngsten Teschermann ist alles
verändert Sie kommt sich um Zahre gealtert vor. Gereister.

Die Turnlehrerln lächelt glücklich vor sich hin. Der Blonde redet leise mit
ihr. Man kann es nicht verstehen. Aber sie sehen beide sehr glücklich aus. Die
Musik spielt wieder einen Walzer. Den die Handarbeitslehrerin nun einmal
nicht vertragen kann. (Vhne weich zu werden. „Also du schreibst mir wirk-
lich nicht einmal!" sagt sie und hebt den Ropf. Der Braune sagt leise:
„Rein! Du sollst gleich davon loskommen!"

Die jüngste Teschermann sagt nichts darauf. Sie hat ja schließlich auch
ihren Stolz, wenn sie dadrüber auch an Herzweh zugrunde geht. Wonach
die Männer natürlich nicht fragen.

Das Töpfer! Bier trinkt kleine Schlücke aus feinem Glas. Ls sieht ein
bißchen traurig auf die lachenden Menschen. Aus den Rellner. Auf den Pik-
kolo. Aus den Rapellmeister mit der St.rnlocke. ... „Ls ist ein ganz ver-
pfuschter Abend heut," sagt er, „durch dich!" Die jüngste Teschermann sagt
heftig: „Durch dich!"

Dann reden sie wieder nichts mehr.

Die Turnlehrerin und der blonde Bildhauer haben sich leise an den Hän-
den gefaßt und lächeln vor sich hin.

Rach neun Uhr brechen sie auf. Die Handarbeitslehrerin sagt, daß sie
Ropfweh hat. Und überhaupt keine Stimmung. Arm in Arm gehen sie durch
die dunkle Straße. Der Braune und die kleine Handarbeitslehrerin und
der Blonde mit der Turnlehrerin.

Die Rachtluft ist rein und etwas fröstelig. Am Himmel fitzen lauter helle
Sterne. „Wie Mutters Teigformen vom Luttergebäck zu Weihnachten,"
denkt die jüngste Teschermann. An der Lcke oben trennen sie sich. Lin paar
leise zärtliche Worte verlieren sich in der Stille der Rächt. Lin paar junge,
heimliche Rüsse.

Die jüngste Teschermann schläft erst gegen vier Uhr morgens ein. Bis sie
sich müde geweint hat.

Die Turnlehrerin lächelt unter Tränen. Lr wird ihr dreimal in der Woche
schreiben. Und in spätestens zwei Zähren werden sie heiraten. Daraus hat sie
sein Lhrenwort. — Lin Haides Zahr später sitzt die jüngste
Teschermann wieder im Raffee. In dem gleichen wie da-
mals. So auch gegen acht Uhr abends. Reben ihr sitzt der
Rerzenfabrikant Tobias Teichmüller, mit dem sic seit einer
Woche verlobt ist. Die Turnlehrerln ist auch dabei. Und sie
denkt so zurück, wenn sie die jüngste Teschermann lachen
sicht, so an den Abend damals und an das Töpserl Bier. ..
Vas doch ein vernünftiger und anständiger Rerl war. Und
sic möchte das dem Blonden gerne schreiben, und all das
sagen, von dem scheußlichen Warten und Sehnen, und so...
aber sie weiß seme Adresse nicht.

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Elsbeth Petsch-Krapp: Der Blonde und das Töpferl Bier
Hans Lesker: Vignette
 
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