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M. Sc cf ui an ii (Berlin)

DIE FEUERTAUFE

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Es war ein Meister zn Florenz; zn dem gingen viele Schüler, damit
sie von ihm lernen möchten, wie sie die hohen Gedanken ihrer Seele in ein
Werk gießen, wie sie den Menschen Künder werden möchten des Ewigen,
um das sie rangen. Und er gab ihnen Bilder von Giotto und Mafarcio,
führte sie mit lichten, werbenden Worten in das Wesen der Gestalten ein
und lüstete vor ihren trunkenen Augen den Schleier von des Lebens letztem
und tiefstem Geheimnis, das da Schönheit heißt.

Eines Tages ging er durch den Saal.

Da trat ihm einer der Schüler entgegen, wies ihm feine Zeichnungen
und sprach:

„Meister, Masarrio ist groß. Aber laßt mich nun an Eigenes gehen,
denn auch ich habe der Welt Gewaltiges zu sagen."

Und der Meister antwortete:

„Versuche immerzu. Aber wisse: Wem Mafarcio nichts mehr zu geben
vermag, der kann auch von mir nichts mehr lernen."

Abseits in einer Ecke faß ein Knabe, der schaute mit wildem Blick auf
seine Vorlage, aber der Block auf feinem Knie war noch fast leer. Jetzt
Irak der Meister zu ihm, rührte ihn facht an der Schulter und fragte:

„Nun, dünkt es dich auch, daß deine Kraft zu gut fei für das Nach-
bilde» fremden Werkes? Haft auch du nichts mehr zu lernen?"

Aber der Knabe sprach: „Ihr habt gut spotten, Meister, denn ihr könnt
das alles auch Aber wie soll ich Armer je etwas Ähnliches schaffen? Seht
nur, wie alles abgewogen, wie alles gebändigt ist. Wann ward je ein Ge-
danke so rein Gestalt wie hier? In jedem Augenblick verzweifle ich mehr
daran, einst vielleicht selber Eigenes geben zu können."

Betroffen schwieg der Meister, dann sprach er leise: „Komm!"

Und er führte den Knaben durch einen Gang »ach einem hellen Zimmer,
an dessen hoher Wand ein Karton Lionardo da Vincis hing.

Lange standen beide stumm. v

Endlich ergriff der Knabe des Meisters Arm und sagte dumpf:

„Eure Medizin ist bitter, aber gut. Heute noch werfe ich alle meine
Pinsel und Stifte in den Arno, solches schafft kein Sterblicher wieder."

Mit gerührter Stimme aber sagte der Meister:

„Von jenen allen draußen im Saal wird in hundert Jahren kein Mensch
mehr wissen. Du aber — höre: Wer sich klein fühlt vor der Schöpfung
Gottes und den Werken unserer Großen, der allein versteht sie in der Tiefe,
der allein ist — Geist von ihrem Geist."

Und mit dankbarem, unendlich verklärtem Lächeln schaute der Knabe
zu ihm auf und — senkte erglühend seine Stirn zu Boden.

Dieser Knabe hieß Michelangelo Buonarotti.
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Max Beckmann: Im Café
Martin Elsner: Die Feuertaufe
 
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