Sie antwortete, ohne sich einen Augenblick zu besinnen. „Letzte Woche
habe ich 43 Mark 60 verdient. Wenn alles abgezogen ist, auch der Laden
und die Wohnung."
„Eine Wohnung haben Sie auch?!"
„Zwei Zimmer und eine Küche hinter dem Laden."
„Darf ich die nicht sehen?"
„Jetzt nicht, aber einmal nach Ladenschluß."
„Also heute Abend?"
Sie überlegte eine Weile, dann sagte sie: „Nun, meinetwegen." —
pünktlich um sieben Uhr stellte er sich ein, mußte aber noch warten,
bis sie den Laden abgeschlossen und Kasse gemacht hatte. Er wollte ihr
helfen, doch sie wehrte ab: das mache sic schneller alleine.
Als sie fertig war, führte sie ihn ins Wohnzimmer, das mit der Küche
zusammenhing. Das Schlafzimmer bekam er nicht zu sehen.
Ehe er sich noch richtig umgeschaut hatte, stand ein dicker Pfannen-
kuchen und eine Schüssel Salat auf dem Tische. Daneben ein Brotlaib
in einem Körbchen. Decke und Tischgerät alles fleckenlos und blitze-
blank. Nur etwas zu trinken vermißte er.
„Trinken Sie denn kein Bier?"
„Sonntags ein Glas."
„Sonst nie?"
Sie schüttelte den Kopf. „Wozu? Es macht nur schläfrig."
Als sie gegessen hatten, trug sie das Tischzeug in die Küche und
breitete eine dunkle Tuchdeckc über den Tisch.
„Nun müssen Sie gehen."
„Warum denn schon?"
„Weil es sich nicht schickt, daß Sic hier sind, wenn es dunkel wird."
Er wollte etwas Scherzhaftes erwidern, unterließ es aber.
„Also dann schönen Dank," sagte er.
Sie nahm die Hand, die er ihr hinreichtc.
„Da ist nichts zu danken. Sie können mich ja auch einmal einladen."
*
Am nächsten Sonntage führte er sie aus. Auf dem Spaziergange
nach dem Essen erfuhr er von ihr das Wenige, das sie über sich zu be-
richten hatte. Sie hieß Anna Siebert und stammte aus einer kleinen
Provinzstadt.
Nach dem Tode ihrer Eltern hatte ein Onkel sic zu sich genommen
und in seinem Kolonialwarengeschäft zur Buchhalterin ausgebildet. Als
sie aber volljährig war, hatte sie es vorgczogen, in die Hauptstadt zu
gehen und sich dort ein eigenes kleines Geschäft cinzurichten.
„Wie sind Sic denn gerade auf die Rauchgeschichte verfallen?"
fragte Stiglhofer.
„Weil da alles so schön in Schachteln verpackt ist," sagte Anna. „Die
Kolonialwaren sind so unordentlich, und man wird dabei immer voll
Staub und Schmutz."
Auf dem Heimwege gingen sic auf Annas Wunsch noch bei Stigl-
hofer vor. — Kopfschüttelnd betrachtete sie das Zimmer, wo Kleidungs-
stücke und Gebrauchsgcgenständc aut Bett, Tisch und Stühlen um-
cinanderlagen. Dann machte sie sich schweigend an die Arbeit. In
weniger als einer halben Stunde war aufgeräumt und Ordnung ge-
macht. Die Kleider hingen im Schrank, und die Wäsche lag sauber ge-
faltet in der Kommode. Einen schadhaften Anzug, einige Hemden und
etwas Unterwäsche nahm sie mit sich. Nach acht Tagen erhielt er alles
geflickt, ausgebessert, gewaschen und geplättet wieder zurück.
Er dankte ihr ein wenig beschämt.
„Es ist so schwer, seine Sachen in Ordnung zu halten," sagte er.
„Darum können sich Männer auch nicht kümmern, das ist Sache der
Frau."
„Willst du diese Frau sein, Anna?" fragte er, zog sie an sich und
küßte sie.
Den ersten Kuß ließ sie sich gefallen, dann schob sie ihn zurück und
sagte: „Laß das für nach der Hochzeit."
Als sie später bcisammensaßen und über ihre Zukunftspläne sprachen,
ineinte sie: „Eine Wohnung haben wir ja schon. Hier ist reichlich genug
Platz für uns Beide."
„Du hast wohl schon daran gedacht, wie du sie genommen hast?"
fragte er lachend.
Sie sah ihn ernsthaft an. „Denken muß man doch an alles," sagte sie.
*
Nach der Hochzeit begann für Raver Stiglhofer ein neues, unge-
wohntes Leben, ein Leben der Regelmäßigkeit, Ordnung und Pünkt-
lichkeit. Seine Kleider und Stiefel waren stets gereinigt und gebürstet,
ein gutes, kräftiges Essen stand mit dem Schlage der Uhr auf dem
Tische, und stieg er Sonntag morgens aus dem Bette, lag sicher schon
ein frisches, weißes Hemd vor ihm über den Stuhl gebreitet. Anna
dachte an alles im voraus, sorgte für alles, so daß er kaum jemals
einen Wunsch zu äußern brauchte Jeden Morgen legte sie fünf Ziga-
retten vor ihn hin. Wollte er mehr, so mußte er wie jeder andere Käufer
dafür zahlen. „Sonst kenne ich mich nicht mehr aus," sagte sie, und er
sah ein, daß sie recht hatte. Bis auf die ehelichen Zärtlichkeiten erstreckte
sich ihr Sinn für Maß und Ordnung. Ehe er zur Arbeit ging und beim
Heimkommen erhielt er einen Kuß, allenfalls noch einen vor dem Zu-
bettgehen, in der Zwischenzeit war sic „für solche Dummheiten" nickt
zu haben. Sic halte auch keine Zeit dazu, war tätig vom frühen Morgen,
wenn er noch schlief, bis zum späten Abend, wenn er schon im Bette
lag. Er betrachtete sie oft, während sie an irgend einer Arbeit war, und
sagte: „An dir hat ein Mann wirklich einen Schah, Anna." Es er-
schien ihm ganz natürlich, daß er am Samstag den erhaltenen Lohn
air sie ablieferte. Bis auf sieben Mark. Davon waren zwei für ihn, der
Rest für den sonntäglichen Ausflug bestimmt. Am Sonntage war er
der unumschränkte Herr, dessen Wünschen Anna sich widerspruchslos
fügte, vorausgesetzt, daß der festgelegtc Betrag von fünf Mark nicht
überschritten wurde.
Es war aber nun nicht so, daß Anna über eine gelegentliche Un-
regelmäßigkeit oder Unpünktlichkeit von seiircr Seite sich erbost oder ihm
Vorwürfe gemacht hätte. Kam etwas Derartiges vor, so sah sic ihn
nur mit ihren großeir braunen Augen vcrwuirdcrt an, als begriffe sie
nicht, wie man Lust dazu verspüren könne, etwa statt des abendlichen
Glases Bier deren zwei zu begehren oder auf der Straße herumzu-
trödeln und zu spät zum Essen zu kommen. Und sicher war er dann am
nächsten Tage auf die Minute da und verlangte nach dem einen Glas
nach keinem weiteren. Er hatte Angst vor diesem Blick, der zu sagen
schien: wenn ich's als Frau kann, mußt du's als Mann doch erst recht
können! Dagegen wußte er innerlich nichts vorzubringen und gab sich
habe ich 43 Mark 60 verdient. Wenn alles abgezogen ist, auch der Laden
und die Wohnung."
„Eine Wohnung haben Sie auch?!"
„Zwei Zimmer und eine Küche hinter dem Laden."
„Darf ich die nicht sehen?"
„Jetzt nicht, aber einmal nach Ladenschluß."
„Also heute Abend?"
Sie überlegte eine Weile, dann sagte sie: „Nun, meinetwegen." —
pünktlich um sieben Uhr stellte er sich ein, mußte aber noch warten,
bis sie den Laden abgeschlossen und Kasse gemacht hatte. Er wollte ihr
helfen, doch sie wehrte ab: das mache sic schneller alleine.
Als sie fertig war, führte sie ihn ins Wohnzimmer, das mit der Küche
zusammenhing. Das Schlafzimmer bekam er nicht zu sehen.
Ehe er sich noch richtig umgeschaut hatte, stand ein dicker Pfannen-
kuchen und eine Schüssel Salat auf dem Tische. Daneben ein Brotlaib
in einem Körbchen. Decke und Tischgerät alles fleckenlos und blitze-
blank. Nur etwas zu trinken vermißte er.
„Trinken Sie denn kein Bier?"
„Sonntags ein Glas."
„Sonst nie?"
Sie schüttelte den Kopf. „Wozu? Es macht nur schläfrig."
Als sie gegessen hatten, trug sie das Tischzeug in die Küche und
breitete eine dunkle Tuchdeckc über den Tisch.
„Nun müssen Sie gehen."
„Warum denn schon?"
„Weil es sich nicht schickt, daß Sic hier sind, wenn es dunkel wird."
Er wollte etwas Scherzhaftes erwidern, unterließ es aber.
„Also dann schönen Dank," sagte er.
Sie nahm die Hand, die er ihr hinreichtc.
„Da ist nichts zu danken. Sie können mich ja auch einmal einladen."
*
Am nächsten Sonntage führte er sie aus. Auf dem Spaziergange
nach dem Essen erfuhr er von ihr das Wenige, das sie über sich zu be-
richten hatte. Sie hieß Anna Siebert und stammte aus einer kleinen
Provinzstadt.
Nach dem Tode ihrer Eltern hatte ein Onkel sic zu sich genommen
und in seinem Kolonialwarengeschäft zur Buchhalterin ausgebildet. Als
sie aber volljährig war, hatte sie es vorgczogen, in die Hauptstadt zu
gehen und sich dort ein eigenes kleines Geschäft cinzurichten.
„Wie sind Sic denn gerade auf die Rauchgeschichte verfallen?"
fragte Stiglhofer.
„Weil da alles so schön in Schachteln verpackt ist," sagte Anna. „Die
Kolonialwaren sind so unordentlich, und man wird dabei immer voll
Staub und Schmutz."
Auf dem Heimwege gingen sic auf Annas Wunsch noch bei Stigl-
hofer vor. — Kopfschüttelnd betrachtete sie das Zimmer, wo Kleidungs-
stücke und Gebrauchsgcgenständc aut Bett, Tisch und Stühlen um-
cinanderlagen. Dann machte sie sich schweigend an die Arbeit. In
weniger als einer halben Stunde war aufgeräumt und Ordnung ge-
macht. Die Kleider hingen im Schrank, und die Wäsche lag sauber ge-
faltet in der Kommode. Einen schadhaften Anzug, einige Hemden und
etwas Unterwäsche nahm sie mit sich. Nach acht Tagen erhielt er alles
geflickt, ausgebessert, gewaschen und geplättet wieder zurück.
Er dankte ihr ein wenig beschämt.
„Es ist so schwer, seine Sachen in Ordnung zu halten," sagte er.
„Darum können sich Männer auch nicht kümmern, das ist Sache der
Frau."
„Willst du diese Frau sein, Anna?" fragte er, zog sie an sich und
küßte sie.
Den ersten Kuß ließ sie sich gefallen, dann schob sie ihn zurück und
sagte: „Laß das für nach der Hochzeit."
Als sie später bcisammensaßen und über ihre Zukunftspläne sprachen,
ineinte sie: „Eine Wohnung haben wir ja schon. Hier ist reichlich genug
Platz für uns Beide."
„Du hast wohl schon daran gedacht, wie du sie genommen hast?"
fragte er lachend.
Sie sah ihn ernsthaft an. „Denken muß man doch an alles," sagte sie.
*
Nach der Hochzeit begann für Raver Stiglhofer ein neues, unge-
wohntes Leben, ein Leben der Regelmäßigkeit, Ordnung und Pünkt-
lichkeit. Seine Kleider und Stiefel waren stets gereinigt und gebürstet,
ein gutes, kräftiges Essen stand mit dem Schlage der Uhr auf dem
Tische, und stieg er Sonntag morgens aus dem Bette, lag sicher schon
ein frisches, weißes Hemd vor ihm über den Stuhl gebreitet. Anna
dachte an alles im voraus, sorgte für alles, so daß er kaum jemals
einen Wunsch zu äußern brauchte Jeden Morgen legte sie fünf Ziga-
retten vor ihn hin. Wollte er mehr, so mußte er wie jeder andere Käufer
dafür zahlen. „Sonst kenne ich mich nicht mehr aus," sagte sie, und er
sah ein, daß sie recht hatte. Bis auf die ehelichen Zärtlichkeiten erstreckte
sich ihr Sinn für Maß und Ordnung. Ehe er zur Arbeit ging und beim
Heimkommen erhielt er einen Kuß, allenfalls noch einen vor dem Zu-
bettgehen, in der Zwischenzeit war sic „für solche Dummheiten" nickt
zu haben. Sic halte auch keine Zeit dazu, war tätig vom frühen Morgen,
wenn er noch schlief, bis zum späten Abend, wenn er schon im Bette
lag. Er betrachtete sie oft, während sie an irgend einer Arbeit war, und
sagte: „An dir hat ein Mann wirklich einen Schah, Anna." Es er-
schien ihm ganz natürlich, daß er am Samstag den erhaltenen Lohn
air sie ablieferte. Bis auf sieben Mark. Davon waren zwei für ihn, der
Rest für den sonntäglichen Ausflug bestimmt. Am Sonntage war er
der unumschränkte Herr, dessen Wünschen Anna sich widerspruchslos
fügte, vorausgesetzt, daß der festgelegtc Betrag von fünf Mark nicht
überschritten wurde.
Es war aber nun nicht so, daß Anna über eine gelegentliche Un-
regelmäßigkeit oder Unpünktlichkeit von seiircr Seite sich erbost oder ihm
Vorwürfe gemacht hätte. Kam etwas Derartiges vor, so sah sic ihn
nur mit ihren großeir braunen Augen vcrwuirdcrt an, als begriffe sie
nicht, wie man Lust dazu verspüren könne, etwa statt des abendlichen
Glases Bier deren zwei zu begehren oder auf der Straße herumzu-
trödeln und zu spät zum Essen zu kommen. Und sicher war er dann am
nächsten Tage auf die Minute da und verlangte nach dem einen Glas
nach keinem weiteren. Er hatte Angst vor diesem Blick, der zu sagen
schien: wenn ich's als Frau kann, mußt du's als Mann doch erst recht
können! Dagegen wußte er innerlich nichts vorzubringen und gab sich