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L i e b e l a n ü

Zwischen Linsamkeit — und Linsamkeit,
zwischen Sehnsuchtsschmerz — und Abend-
llegt ein selig Land, leid

wie ein grünes Band,
eine (Duelle springt dort in den Sand.

Alles wie ein ferner, fremder Traum,
Und ein Vogel fingt im Lebensbaum.
Nein — nicht weiter gehen,
laß uns stille stehen,
unser Lächeln in dem Wasser sehen.

Zn dem wundertlefen Schatten hier
dunkelblaue Blumen dir und mir
sacht die 8üße küssen. —

Za — uns leise küssen —

wir vergessen, daß wir weiter müssen.

wie dieklare (Duelle lieblich klingt,
wie der kleine Vogel leise singt,
wie es klagt und glüht
dieses ew'ge Lied,

dasnun immer, immer mit unszieht.

Zwischen Linsamkeit — und Linsamkeit,

Zwischen Sehnsuchtsschmer) — und Abendleid

liegt ein selig Land — —

reich mir deine Hand,

habe Dank, daß ich es auch gekannt.

Maria von Sperllng-Nanfteln

Das Weib im Mühlengraben

von Georg Lnders

Nora Berg war ein schönes Mädchen von ungefähr dreiundzwanzig
Zähren. Unter ihrem festen Gang warfen sich die Nleider. Man ahnte ein
köstliches Spiel stolzer, weißer Glieder. Da sie außerdem die einzige Tochter
des Naufherrn Berg war, dessen Unterschrift in der ganzen Welt für Gold
genommen wurde, fehlte es ihr natürlich zu keiner Zeit an einem Schwarm
von 8re!ern. Ls waren das zumeist stattliche Zünglinge, viele von ihnen
selbst sehr vermögend, alle aus gutem Haufe, selbstverständlich auch manche
Schiffbrüchige darunter. Sie aber schüttelte nur immer wieder den Nopf,
daß aus ihrem Blondhaar ein Wirbel von 8unken vor den Augen der Ärmsten
stäubte, und reichte zuletzt über alle hinweg ihre Hand dem Doktor der
Philosophie, Walter 8erner, der nichts von dem verstand, worin sich die
Andern hervortaten.

weder tanzte er, noch ritt er. wenn er sich einmal der Beteiligung am
Lallschlagen nicht mehr zu entziehen vermochte, dann gab er einen höchst
mangelhaften Partner ab. Trotzdem konnte ihn niemand wirklich ungeschickt
nennen. Ls lebte nur ein beständiges Zögern in der schlanken Gestalt, eine
Scheu, sich über ein gewisses Maß hinaus zu bewegen.

Darum hatte ihn Nora zuerst lieb gewonnen. Sie träumte von etwas
wunderbarem, das eines Tages aus dieser Zurückhaltung emporblühen
müsse. Nach dem Grunde forschte sie nicht: sie würde ihn auch nie erfahren
haben. Walter 8erncr gestand ihn sich selber kaum ein. wurde sein Denken
bis an diese Grenze gedrängt, dann schloß er die Augen. So sehr bangte er
noch als Mann von dreißig Zähren vor dem Lrlebnis, das er als Nnabe
gehabt hatte.

Ls war in seiner ersten Schwimmstunde. Angqseuert durch die Gegenwart
seiner Schulgefährtcn sprang er hoch herab kopsüber in das Wasser — und
blieb verschwunden. Da er angeseilt war, zogen sie ihn einfach wieder heraus.
Bald kehrte ihm auch das Bewußtsein zurück und er stimmte mit ein in ihr
Lachen. Doch klang es eigentümlich leer. Irgendwie quälte ihn der Gedanke,
daß er in einen tiefen Brunnen gefallen sei und ein Stück seines Ich darin
verloren habe Seit der Zeit wehte es ihn zuweilen mit fremdartigen Schauern
an. Lr behielt eine leichte Neigung zu Schwindelanfällen, die sich durch ein
häßliches Zittern im ganzen Nörper ankündigten.

Mit diesem Abgrund, den er ewig unter seinen 8üßen lauern fühlte, führte
er einen heimlichen Nampf. Seine langen, einsamen Wanderungen hingen
damit zusammen. Ls war ein stetes versuchen seiner Nräste, und nur, weil
diese Stunden und Tage, die er mit einer krankhaften Inbrunst liebte, zu-
gleich seinem Denken neue Lrkenntnisse schenkten, nur darum vermochte er
sich leicht über die herzklopfende Lrwartung zu betrügen, mit der er jeden
weg antrat.

Auf einem solcher Spaziergänge überraschte ihn Nora. Sie fand ihn, wie
er eben in das Moos nicdergeglitten war und die 8äuste zornig in's Leere
reckte. Halb war es der flimmerheiße Sommertag, halb das 8>immern in
seinem Nörper, was ihn zu überwältigen drohte. An Noras lichter Gestalt
riß sich seine ermattende Besinnung augenblicklich gewaltsam hoch. Auch jetzt
verriet er sich mit keinem Wort. Nora sah wieder nur die ganze, zärtliche
Befangenheit seines Wesens. Aus dem Gestammel, in dem er ihr, noch ganz

benommen, für ihre rettende Gegenwart in dieser Stunde dankte, hörte sie
nur den Widerhall ihres eigenen 8ühlens. Und das tönte Liebe. Walter 8erner
ergab sich gern und bald der überströmenden Wärme. Zum ersten Male
seit langen, langen Zähren fand er Ruhe und Geborgenheit in dieser Hin-
gabe an Nora. Der Schatten in seinem Innern schien ausgeglüht: der Ab-
grund hatte keine Schrecken mehr für ihn. Seine Liebe, aus tiefstem Dank
geboren, trug ihn von da an leicht und sicher darüber fort. So hing er denn
mit verdoppelter Innigkeit an Nora.

Da dem Glück der jungen Leute nichts im Wege stand, wurde die Hoch-
zeit auf einen Dezembertag festgesetzt.

Ltwa vier Wochen vor dem ersehnten Zeitpunkt stieg Walter 8erner auf
einer kleinen, verschneiten Bahnstation aus, die verloren am Lingang eines
Mittelgebirges dalag. Lr war auf dem Wege nach einem entlegenen Winkel,
in dem er vor Zähren einen Sommer lang ein kleines Haus für sich bewohnt
hatte. Dort wollten sie die ersten Monate ihrer Lhe verleben. Dort sollte auch
ein neues Buch von ihm zur Vollendung kommen.

Mit der Gegend vertraut, durfte er es wagen, in dem hohen Schnee,
der alle wegspuren verwischte, ein stundenweites Gewirr von 8eisen zu
durchqueren. Übereinander lagen sie da, durcheinander gestürzt, manche von
ihnen haushoch. Abenteuerliche 8ormen wuchsen durch die dicke, weiße Ver-
hüllung in's Gespenstische. Ls duckte sich wie Tiere in der Tiefe des 8orstcs,
der mit der starren Pracht seiner kristallenen Nassen über Täler und Höhen
hinweg in die wintergraue 8erne segelte.

Der Wanderer drückte der psadlosen Decke unermüdlich seine 8ußstapsen
ein. wenn er atemholend stehen blieb und sich umblickte, sah er das Heer
seiner Tritte endlos ihm nachschleichen. Das lautlose Gewimmel machte ihn
sonderbar beklommen. In jedem einzigen dieser kleinen Gräber verschwebte
ein Bruchteil seiner warmen, lebendigen Nrast.

Gegen Mittag war ein Dorf am Südhang des Gebirgsstockes erreicht.
In der Wirtschaft schrieb er einen zärtlichen Brief an Nora. Dann wurde
das Lffen aufgetragen. Da er noch einen Marsch von mehreren Stunden
vor sich wußte, beeilte er sich, damit fertig zu werden, warf den Mantel um,
schnallte den Rucksack auf und stand bald wieder mitten in der Linsamkeit.

Ls ging jetzt auf einer Hochebene entlang. Nach ein paar Stunden war
er des ewigen Linerlei der Telegraphenstangen müde, die ihm zu beiden
Seiten der Waldstraße aus der finsteren Dämmerung entgegcnstelzten, und
bog kurzerhand in eine 8ußfpur ein, die näher aus die Gebirgswand zuhielt.
Lr gelangte in einen Talgrund. An dem Wasser, das still und schwarz dahin-
sloß, lag eine einsame Papiermühle. Lin Arbeiter gab dem Wanderer Be-
scheid. Darnach hatte er die Wahl, auf die Straße zurückzugehen, die er vor
geraumer Zeit verlassen hatte, oder sie weiter unten wieder zu erreichen,
indem er dem Lause des Mühlengrabens auswärts folgte. Davon riet der
Arbeiter ab: aber es geschah so gleichmütig, und Walter 8erner hatte sowenig
Lust umzukehren, ^daß die Mahnung schon halb von seinem Rücken abglitt.

vereiste Tritte wiesen ihm den weg. Lr klomm die Böschung hinaus und ging
aus schmalem, fußbreitem Steige in den harten Hohlsormen, die der Stiefel
eines Mannes dort zurückgelassen hatte, unmittelbar neben dem Wasser hin.

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Register
Martha v. Sperling-Manstein: Liebeland
Georg Enders: Das Weib im Mühlengraben
 
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