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C OL O MB O MAX

UNTERST ROM

VON W 1 L H E L M L O B S 1 E N

Als bin- junge Lehrer Vollertsen um bie Osterzeit zur Hallig kam, um
sei» Amt anzutrelc», staub Maile Folkerks über bie zum Flur ihres Hauses
führeube Halblür gebeugt uub sah ihn mit scharfen Augen au. Sie kümmerte
steh nicht barum, baß ber alte Folkerks, au besten mübe Greisenhaftigkeit ihr
junges, blühendes Leben seit einigen Jahren gekettet war, aus ber Stube
her sie zu sich rief und mit guäkenber Stimme wissen wollte, was beim
auf ber Warft los sei, sondern staub unb blickte bei» jungen Manne nach,
ber fremd unb befangen neben Peter Holbt bie Warft hinaufstieg unb ins
SchnlhanS hineinging, baS fortan fein Arbeitsfelb fein sollte.

An ben ersten Tagen hielt er sich zu Hause unb ordnete seine Möbel und
Bücher. Nur daun und wann ging er auf die Warft hinaus, um die Blicke
über die weite See gleiten zu lasten. Bald aber dehnte er feine Wanderun-
gen weiter aus. Jeden Tag sah Maike ihn, wenn er an ihrem Hause vor-
bei über die Fennen bis an den Strand schritt und an der Halligkante cnt-
laiigschleiideite. Alles war ihm neu und fremd, und feine Augen wußten
kaum einen Punkt, an dem sie ruhen konnte», und feine Ohren wußten aus
dem Chaos der ihn umrauschenden Töne keinen Klang herauszusinden, der
ihm eine klare Melodie gab. Dann aber sing er an, auf das donnernde
Brausen zu lauschen, das die Brandungswellen von Seefand durch die stille
Frühlingsluft herüberwarfen, oder er verfolgte mit aufmerksamen Ohren
die gellenden Schreie der Seevögcl, die hell und blitzend durch den Himmel
schossen. Bald bückte er sich, um eine seltsame Muschel ans dem Sand
zu heben, bald bargen seine suchenden Hände ein Stück Bernstein, das
goldgelb aus dem rostbraunen Tang atifleuchtete. Oft lag er stundenlang
in Gras und Sand und lud feine jungen Träume auf die großen, weißen
Wolken, die wie windgejagte Schifte über das selige Blau des Himmels
zogen. Mählig aber wurde er auch dieses Spiels überdrüssig und stand nun
immer au der Westkante der Hallig und blickte mit großen, sehnsüchtigen
Augen nach den fernen Inseln hinüber, die tags wie weiße Marmorpaläste
hei übergrüßten, abends aber eine Welle von flammendem Licht und locken-
beiii Schein in bie dunkle, weiche Sommernacht hinaufwarfen. Dabei war
ihm oft, als höre er Musik und Jubel übers stille Wasser klinge», und wenn
ein Boot, das Gäste zu kurzem Besuch auf die Hallig getragen halle, wieder
zurückkehrte, dann stand er auf seiner Waist »iid sah ihm nach, bis ihm
die Augen brannten. Und dann kam ein Tag, an dem er nicht liiehr still
an der Kante staiid, sondern, von einer wilden, inneren Unruhe gejagt,
rund um die Hallig herumlief, immerzu, ohne Aufhören, bis ihn endlich
die Müdigkeit iilS Haus trieb.

Maike Folkeits sah cs, und sie lächelte; denn nun wußte sie, daß der
junge Lehrer so weit war, wie all die andern vor ihm. Nun wußte sie,
daß ihm die Einsamkeit ins Blut gefallen war und ihn unruhig machte.

Au all die andern mußte sie denken, die vor ihm dagewefen waren. Der

eine hatte das Trinkeli atigefangen. So lange ihm Peter Holdk noch etwas
gab, blieb er auf der Hallig. Als der ihm aber nichts mehr geben wollte,
holte er sich seinen Rausch auf Amrum oder Föhr. Da ihm das aber z>t
ulnständlich war, besorgte er sich durch einen Schifter von Husum eineil
großen siaschenförmigcn Tonki ug voll Rum, dessen Ende zugleich das Ende
seiner Tätigkeit war. Der zweite hatte sein Herz an die jungen Halliglnädcheli
gehängt und war so, lvcnli auch gegen seinen Willen, sehr ftüh Ehemallii
nlid Vater geworden unb saß nun auf einer der größeren Halligen und
sehnte auch schon dort den Tag herbei, an dem er wieder das Festland
unter den Füßen haben würde. Der drittle aber, der war im Winter, als
das Eis ini Wattenmeer stand, einfach auf und davon gelaufen und halte
nie wieder von sich hören lassen.

Bei ihnen allen war es gleich geivefen: erst freuten sie sich des Neuen,
dann warfen sie sehnsüchtige Blicke zur Ferne, dann rannten sie mit Sknrni-
schrilten täglich um die Hallig, und dann geschah irgend etwas Wildes,
Tolles.

Bei ihnen allen hatte Maike Folkerks dieselbe Entwicklung beobachtet,
— und nun war ein neuer da. Sie lächelte vor sich hin, und ihre Augen
siackerlen, wenn sie an ihn dachte; denn sie wußte, daß er nun so weit
war, wie die andern, und daß irgend etivaS geschehen mußte, irgend etwas
llnvorhergeseheiieS. Wohl .schien er anders zuftein, als die andern, die vor
ihm dagewefen ivaren und die mehr brausendes Leben gezeigt hakten. Die
waren nicht so still über die Warft gegangen, ivie er, der bei jedem Gmß
die Hand verschämt und bescheiden zur Mütze führte; nein, ihr Gruß war
ein lautes Lachen und ihre Augen waren ein helles Singen gewesen. Man
sagte auf der Hallig, daß der neue fromm sei. Maike Folkerks lächelte,
wenn sie das hörte; denn sie wußte es besser als alle Halligleute, daß er
täglich uni das ganze Eiland herumrannie und daß die Einsamkeit ihn
peinigte und jagte und ihm sein Blut aufpeitschte. Sie hatte es wohl ge-
sehen, wie er jählings errötete, wenn sie ihn mit ihren jungen, heißen Augen
anblitzke und ihm einen lachenden Gruß znrief, und mitunter war cs ihr,
als stünde er im Dunkel feines Hausflurs und blickte heimlich zu ihr hin-
über. Da ging sie häuftger als sonst über die Warft, und ihr Singen war
leises, heißes Locken, das ihn nicht mehr losließ, wie sehr er sich auch da-
gegen sträubte. Da wurde Maike Folkerks' Lächeln heißer, und sie dehnte
und streckte ihren jungen Leib, wenn sie mit den nackten, weißen Armen
die Wäsche auf die Leine hing oder mit dem großen Punipenschwengel
jeden Morgen und Abend das Wasser aus dem Feething in die Tränke hob.

Eines Abends, als ein seltsames, blasses Licht in den warmen, treibende»
Sommerwolken hing, ging sie an den Strand. Dos ganze Meer leuchtete
in grüngoldenem Licht. Jede Welle sprühte Feuer, und wo sich die Wasser
am Rande verliefen, war es wie fließende Flammen. Weit draußen zog

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Wilhelm Lobsien: Unterstrom
Colombo (Columbus Josef) Max: Bad
 
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