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Garten st aüt

Don A. M. Frey

Gartenstadt? fragte sich Professor Lautenschlag In seiner Studierklause. —
Wie denn? Man hört so viel von Gartenstädten. Ich bin befähigt, jede
Stadt in eine Gartenstadt zu verwandeln!

— ®b man dem Wachstum der städtischen Anlagen mit Hilfe seiner
Lntdeckung kräftig nachhelsen wolle? Ausbreitung von ©zon. Ausatmung
von Sauerstoff aus pflanzlichem ©rganlsmus, Staubverminderung. Schall-
dämpfung, Schattenkühle feien für die Stadt in ungeahntem Maße zu ge-
winnen. ©b er daran gehen solle?

Mit 5rcuden waren die Behörden bereit, den geschätzten Gelehrten in
Tätigkeit treten zu lassen.

Lautenschlag ging ans Werk. Baum und Busch wurden nach seinen
Weisungen geimpft Lin paar Schnittchen in Wurzel oder Rinde, schnelles
Lindrlngen der Lymphe - fertig. Der Linfachheit halber wurden sämtliche
privatgärten gleich in die Behandlung mit einbezogen. Nach einer Woche
gab es kein Pflanzengebilde mehr in der Stadt, dem das Serum nicht ein-
verleibt gewesen wäre.

Ganz vortressliche Wirkungen zeigten sich schon nach überraschend kuner
Zeit. Alles pflanzliche die Alleen hin. straßenauf und ab, im kleinsten Gärt-
chen vor und hinterm Haus, in sämtlichen Parks und in manchen Blumen-
läden — denn Blumenhändler hatten ihre Palmen mit Lautenfchlagschem
Serum behandelt — gc^ ieh sozusagen unbändig. Selbst aus dem zermar-
terten Körper ehemaliger Naserncnhofpiähe, dem jeder gute Geist der Lrde
in Jahrzehnten cnttrampelt war, rang sich lebhafter das Grün geimpften
Gebüsches, und die Hollos verstaubte, von Tintendüsten giftig durchsetzte
Atmosphäre der Regierungsgebäude, in deren Umkreis nur kümmerlich
Bäume gelebt hatten, wurde spielend überwunden von vitalen Kräften,
welche Blätter und Äste fast ruckweis und sehnsüchtig ausgreifend ins Licht
entfalteten.

Sehr schön und gut, diese strotzende, diese siegreiche Üppigkeit, unter der
die Städter gebannt und mit einem vom Wunder entrückten Lächeln ein-
hergingen.

Schön und gut für ein paar Wochen. Aber dann, als der aufstürmcnde
Seren gar nicht enden wollte, als die Stämme weiter und weiter an-
schwollen und hochschossen. als Äste immer gewaltiger zuckende Hände in
schwindelnden Höhen ausreckten über die Stadt, — kam leise Besorgnis in
die lächelnden Äugen.

Nun schien es genug. Wo blieb die Wahrheit des Sprichwortes, unser
Herrgott sorge dafür, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen? Tatsäch-
lich: sie wuchsen ln den Himmel. Lin beunruhigend großartiges Geschehen.
Lautenschlag wurde vorerst gefeiert. Freilich mit dem leisen Untcrton wie
einer, von dem zu befürchten stand, er habe Nräste entfesselt, die er im ge-
wünschten Augenblick vielleicht nicht werde meistern können.

Ver Augenblick war da. Halten Sie, Herr Professor, die geheimnisreiche
Triebkraft all der schäumenden pslanzensäste an! Unsere Stadt ist grün und
blätterdurchrauscht genug, wir wollen nicht aus einer Gartenstadt werden
zu einer Urwaldstadt.

Lautenschlag erklärte schlicht, man könne nichts anderes tun als die un-
geheuren tebensäußerungen sich austoben lassen. Ls werde schon der Rück-
schlag kommen. Seine neuen versuche mit dem weiterhin verbesserten Serum
hätten seltsamerweise Verkümmerungen und Verkrüppelungen des pslan-
zenkörpers ergeben Vie Intensität sei offenbar übersteigert, rase sämtliche
Phasen des Wachstums so schnell empor, daß die Pflanze nicht folgen könne—
rase sie wieder zurück, woraus die Pflanze reagiere und verkümmere.

Vas sei recht interessant ließ man Lautcnschlag wissen. Aber man ver-
lange praktische Maßnahmen gegen die außerordentlichen Bedrohungen
des Vaseins der Stadt.

Theoretisch sei alles getan und in ©rdnung, versicherte der Gelehrte un-
willig. Ls gäbe keine Lücke in seinen Untersuchungen. Lr habe prächtige
Lntfaltung versprochen, und sie sei eingetrossen. 2m übrigen solle man ihn
seinen Forschungen überlassen. Lr zog sich gekränkt ln sein Laboratorium
zurück, das er in der Krone eines Riesenbaumes seines Gärtchens zu er-
richten wußte, weil der Baum fein Häuschen zerdrückt hatte

In seinem Beginnen der wohnungsvcrlcgung folgten ihm andere Städter
nach. Vle Veränderung des Stadtbildes ward unterstrichen durch dieses

Tun. In Gabelungen des säulenstarken Astwerkcs hockten reizende Lin-
familienhäuser. Vas Baumkaffee holte seine Gäste zur hundertmeterhohen
Plattform mit Förderkörben heraus, aber das Hotel zur Nrone - gemeint
war die Baumkrone — legte im Innern seines Lindcnstammes, der dick
war wie der Turm von Pisa und nicht minder schief, einen List an und
dieser aus und abrollende Fahrstuhl tat dem Körper des Giganten, seinem
Wohlbefinden und seinem weiteren Gedeihen, keinen Abbruch.

Näherte man sich der Stadt im Flugzeug oder im Zuge, so entdeckte man
kaum noch etwas Steinernes. Lin grün sich wölbendes behagliches Untier
lag meilenweit über den Lrdboden gestreckt und schlürfte den Fluß ln sich
hinein. Lrst wenn man unmittelbar über dem ehemaligen Meer von Häusern
schwebte, sah man durch den grünen Riesenpelz hindurch ein paar kahle
Stellen — verkehrspiähe im Stadtlnnern — oder den tiefen Schacht einer
baumlosen Straße, wie eine hingekrahte Schramme im Laubfell.

Noch ging es der Stadt gut und ihren Linwohnern. Vie Luft reinigte
sich fraglos Lin wenig schummerig wurden die Häuserzeilen — aber dafür
großzügig durchweht vom schimmernden Grün, das den Augen so wohl
tat. Keine Bindehautentzündungen mehr, kein trockener Husten. Spärlich
nur noch grell hinknallende Sonne, die früher Miasmen wirbeln gemacht
hatte; dafür milde Feuchtigkeit jetzt allerwegen. Ver tägliche Verkehr blieb
aufrecht. Unterirdisch geriet zwar manchmal durch das mächtige Ausgrelfen
der Wurzeln etwas in Unordnung, aber es ließ sich richten. — Rotkehlchen
sangen hernieder in jedes Fenster: Spechte hämmerten fröhlich, als seien
hunderttausend Tischler über allen Dächern.

Voch begannen ©pfer zu fallen ...

Unter die ersten gehörten Häuser, in denen Blumenläden sich befanden,
die geimpfte Topspslanzen seilboten. Vie beglückten Inhaber hatten zu Be-
ginn des enormen Wachstums immer größere Töpfe den treibenden Kräften
zur Verfügung gestellt, hatten im Rausch ihrer Vorfreude auf gute Geschäfte
gar nicht bedacht, daß man Palmen nicht mehr gewinnbringend verkaufen
kann, wenn sie so groß werden, daß sie das Ladeninnere nicht verlassen
können, ohne daß man sie zerlegt oder daß man in die Mauer Breschen hackt.
Diese Palmen — südliche Glut und Grenzenlosigkeit noch stärker in ihren
Adern als das übrige Baumzeug - wuchsen sichtbar, sprengten diekübel
starben nicht dadurch, daß sie an die Vecke stießen. Bestürzung der Blumen-
händler ließ sie gewähren. Schäfte bogen sich seitwärts, preßten sich an dle
Vecke, erstarkten in wenig Tagen so, daß sie durchbrachen, wuchsen vom
ersten Stock in den zweiten und so weiter und zerbröckelten dergestalt Böden
und wände dieser Häuser, — zu deren Rettung man übrigens nichts unter-
nahm, weil man sich entschloß, sie zu Sehenswürdigkeiten werden zu lassen.

Welche Verblendung! Welch Mangel an Weitblick! Bald sollte die ganze
Stadt eine große, eine schmerzlich.crstklasslge Sehenswürdigkeit fein.

Wie sah sie aus, schritt man durch sie hin! Sie war ein ein iger ein in
grüne Himmel aufdämmernder Vom, den Pseilerstämme trugen, so stark
wiestärksteNlrchtürme. Steinchenhäuser, dazwischen geschichtet, waren über-
wogt von unermeßlichen Nronen. Blau der Wolken? — gab es nicht mehr,
verhaltenes Licht strömte hernieder. Sonne? — drang nicht mehr durch.
An einzelnen Stellen — den „Sonnenplähen" der Stadt - fand man sich
zusammen, um des ewigen Lichtes rein und ungebrochen zu genießen, bevor
man zurücktauchte in die von tiefen Urwald^chatten übcrwuchteten Häuser.

Vie Zalousienmacher und die Sonnenschirmfabrikantcn starben weg. Vie
Photographen, denen es zu finster wurde, rückten aus und bildeten eine
kleine Nolonie vor den Baumtoren der Stadt - fröhlich mitten im vege-
tationslosen Sande.

Undurchdringlich wurde die Dunkelheit der Nächte. Immer ging ein
Rauschen durch sie. Trat man abends aus den Theatern — ln denen nun
gern Vinge von Meer und Pußta gespielt wurden, nur nichts vom Wald! —
aus den Theatern auf dle Straße, so hörte man, selbst durch das Brausen
der elektrischen Bahnen und das Rattern anderer Gefährte hindurch, immer
aus den großen Höhen dies stadtbeherrschende Rauschen; verließ man in
später Stunde Vergnügungsstätten heimlich durch Hintertüren: immer dies
Rauschen. Und kein Mond, keine Sterne, viel künstliche Monde: starke
Bogenlampen, die turmhoch lm Geäst hingen und die waldübcrwehten
Straßen bleich beschimmerten — gleich glimmenden Früchten dieser leben.

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Alexander Moritz Frey: Gartenstadt
 
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