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MEDAILLE ADOLF VON HILDEBRAND
VON THEODOR GEORGII

HILDE BRAND

VON WALTER RIEZLER

Nun darf man auch vom Menfchen reden. So lange er lebte, fah er
es nicht gern. Nicht aus Bescheidenheit, denn er wußte lehr wohl, was
er war und was er galt: aber das persönliche Wesen galt ihm nichts vor
dem Werke und vor der Welt der Dinge. Ja noch mehr: er, der eine
Perfönlichkeit von ausgeprägter Eigenart und bezwingender Gewalt war,
war sich selber dieses feines Wesens kaum bewußt. Es war ihm unbehaglich,
über lieh selber etwas zu hören oder zu leien: er lebte nur in feinen
Werken und Gedanken, und im Schauen der Welt da draußen, von deren
Herrlichkeit er mehr als ein anderer Menfch dieser Zeit überzeugt war.

Diele Überzeugung von der Herrlichkeit und Göttlichkeit der Welt war
das Zentrum feiner Natur. Von daher kam das Strahlende feines Wesens,
das in feiner Jugend nach allen Schilderungen von wahrhaft hinreißender
Kraft gewesen fein muß. Von daher kam ihm auch die Fähigkeit, den
Schmerz von lieh fermuhalten und Enttäuschungen zu überwinden, fodaß
er später, als der Überschwang der Jugend vorbei und der wunderbare
Glanz feines Auges milder geworden war, wie ein Sieger wirkte, obwohl
er in feinem Schaffen wahrhattig viel Enttäuschungen erleben mußte und,
trotz aller Erfolge, niemals zur vollen Auswirkung feiner Persönlichkeit
gekommen ist. Wenn das letzte Jahr feines Lebens von schwerstem seelischen
Leid umdunkelt war, fo können wir den Grund nur ahnen: es scheint
die Verzweiflung darüber gewesen zu fein, daß feine Natur nun die Kraft
verloren halte, die Welt zu taffen, zu formen und fich an ihr zu freuen.

So lange er ganz er selbst war, war er eine völlig ungebrochene Natur,
und vielleicht nur darin wirklich unzeitgemäß. Er war einig nicht nur mit
fich selbst, sondern mit der ganzen Welt, und Leben war für ihn, die Ein-
heit der Welt in jedem Augenblicke zu empfinden. Diese Empfindung aber
hatte nichts Schwelgerisches an fich, und war nichts weniger als tatenlose
Hingabe. Von Myllik war nichts in feinem Wefen, das Nächtig-Nebelhafte
war ihm verhaßt, alles Chaotifche, noch nicht bis zur »Gehalt" Gediehene,
ja überhaupt alles noch rein Elementarische unbehaglich. Er war eine aus-
gesprochen männlich-tätige Natur, ein Menfch des Tages und der Sonne,
und der Sinn der Welt lag für ihn in der »Geftalt', in der organifch-
ruhlgen Entwicklung zu immer größerer Vollendung.

Dieser schöne, echt Goethefche Glaube gab feinem Geiste eine wunder-
bare Ruhe und Stetigkeit. Die Schwankungen feines Wesens waren er-
staunlich gering. Sein Geist war von unerhörter Lebendigkeit und Uner-
müdlichkeit, und feine Phantasie arbeitete ununterbrochen. So war er in
feiner Familie wie ein ewig lebendiger Brunnen, aus dem Erquickung
und schönste Bereicherung entsprang, und fo wirkte fein Gespräch aut alle
diejenigen, die ihn verstanden, stärkend und gesundend wie ein Stahlbad.
Seine Rede war unvergleichlich. Nicht im mindesten wortgewandt und im
größeren Kreife durch Befangenheit noch mehr gehemmt, bildete er die
Worte gleichsam in angestrengter plastischer Arbeit, die den Hörer un-
mittelbar teilnehmen ließ an dem formenden Geistesprozeß. Und auch den
Dingen gegenüber, über die er sprach, verhielt er fich wie ein Bildner.
Hiebei verlor er die großen Grundrichtungen feines Weltbildes, die Faktoren
der Welteinheit fo wenig aus dem Gefleht, daß alles, was er besprach,
eine neue Begründung erhielt, )a wie neu daftand. Die formende Kraft
feiner Rede war fo stark, daß der Eindruck nicht der war, als würden

»Meinungen' ausgesprochen: die Dinge selbst schienen in neuer Klarheit
zu erstehen, nicht verhüllt und entstellt durch irgend ein subjektives Gefühl,
sondern in ihrer eigentlichen Natur herausgestellt, in ihren innersten Be-
ziehungen untereinander enthüllt. Was er sagte, klang fo selbstverständlich,
daß es für unselbständige Naturen nicht ungefährlich war, viel in feiner
Nähe zu fein. Denn fie glaubten leicht, die Wahrheit zu hören, während
es doch nur das in fich allerdings wunderbar gefestigte Wellbild eines
Menfchen war, dessen Standpunkt zur Welt einzunehmen ihnen jede Mög-
lichkeit fehlte. - Trotz aller Entschiedenheit Hand fein Weltbild keineswegs
feit. Die leisen Wandlungen, die es im Laufe der Jahre durchmachte, zu
beobachten war lehr lehrreich. Immer neues trat in den Gesichtskreis und
hatte teil an der lebendigen Formung, und es war eine immer neue
Überraschung, zu sehen, wie reich die Interessen dieses Geistes waren, wie
aufnahmefähig fein Auge blieb. Die großen Grundrichtungen freilich standen
unerschütterlich teil.

Er galt als kühl und reflektierend und war in Wirklichkeit keines von
beiden. Er war überhaupt nicht eigentlich ein Denker, sondern ein Schauen-
der, und Zeit feines Lebens hat er leidenschaftlich gegen die Vorherrschaft
des Begriffs in unterer Zeit gekämpft und die Fahne der Phantasie hoch-
gehalten. Phantasie aber, das hieß für ihn nicht Unklarheit und Phantastik,
sondern im Gegenteil die Fähigkeit des klaren Blickes in die Welt. Seine
ganze Natur war im höchden Grade naiv. Freilich war es nicht jene
harmlose Naivität, die man heute beim Künstler vorausfetzt und die (ehr
geschätzt und beliebt ist, weil fie fich auf reizvolle und unterhaltsame Weife
äußert, - es war die Naivität der starken und ursprünglichen Natur, die
den Zusammenhang mit der Welt noch nicht verloren hat. Er war im
Sinne Schillers .naiv" im Gegensatz zum .(entimentalifchen" Menfchen,
und daher halte auch feine Empfindung nicht das Mindeste mit Sentimen-
talität zu tun, die er im Gegenteile haßte und bekämpfte wo er fie witterte,
und der er nicht in einem Augenblick das Recht gab, bei einem Urteil oder
einer Entschließung mitzuwirken. Die Wärme feiner Empfindung wurde
aus ganz anderen Quellen gespeist: fie kam aus dem großen Weltgefühl
und aus der Liebe zu den Dingen.

Die Naivität von Hildebrands Natur war auch die Wurzel jener »Sachlich-
keit*, die wenige nur verstanden, manche angezweifelt, viele gefürchtet
haben. Gerade an ihr lag es, daß diele (o klare Natur öfter mißverstanden
wurde, als es diejenigen begreifen konnten, die ihn wirklich kannten. Man
war es zu wenig gewöhnt, daß jemand fo gar nicht den üblichen Weg der
Überlegung und Rücksicht ging, und dabei doch den Anspruch machte,
nicht subjektiv, sondern fachlich gewertet und beurteilt zu werden. Wohl
gelang es ihm in einigen Fallen, gerade mit dieler .Sachlichkeit' durchzu-
dringen, und wir verdanken dielen Erfolgen einige feiner schönsten Werke.
Aber leider find die anderen Fälle zahlreicher, wo gerade diele Sachlich-
keit das Mißtrauen weckte und Feindschaften hervorrief, weil fie falsch ver-
standen wurde. Vielleicht ist es ganz besonders verhängnisvoll gewesen,
daß feiner Zeit tener preisgekrönte Entwurf zum Berliner Nationaldenkmal
nicht zur Ausführung kam; denn dadurch hätte Hildebrand in Berlin Fuß
gefaßt und vielleicht auf die Gestaltung dieler Stadt den größten Einfluß
gewonnen. Und nichts ilt bezeichnender für leine wahrhaft naive Sachlich-
Register
Walter Riezler: Hildebrand
Theodor Georgii: Medaille Adolf von Hildebrand
 
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