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D I E

O N N E

N

Die Welk ist schon zur Hälfte mit Schnee zugefchaufelt und noch immer
schneit eg in schweren Flocken in den stillen Nachmittag hinein.

Unten im Dorfe läutet die Glocke zum Segen. Sie wurde noch in den
letzten Tagen des Mittelalters gegossen. Dnrum hat sie noch diesen vollen
gläubigen Klang.

Wie posauuierende Engel laufen die Töne durch den Schnee und setzen
sich in einer Reihe auf das Gesims vor dem Fenster. Mit feierlichem Dröhnen
erfüllt es mein Zimmer:

„Gott ist die Liebe-Gott ist die Liebe!"

Unsere „Gangfchwester" kommt, in ihren Filzschuhen beinahe unhörbar,
herein. Nur dag leise Klirren ihres mächtigen Rosenkranzes, der ihr vom
Gürtel ihres schwarzen Nonnenhabits über ihre schlanke Hüfte fällt, läßt
mich aufschauen und umörehen.

Schwester Viola» grüßt mich stumm, mit sanftem Blick ihrer Augen, die
noch voll so viel Jugend sind.

Wag wäre dieses Mädchen doch für eine treue Begleiterin eines Mannes
geworden. Oder die ftöhliche Genossin einer ganzen Anzahl Männer, die

einer nach dem anderen sich erquickt hätten an diesein schönen Körper mit
der hingebungsvollen Seele. Und welches große, heilige Lächeln würde
nicht einst dieses Frauenantlitz schmücken, wenn es später, nach vielen, vielen
Jahren ruhig und stolz zurückfchauen könnte auf einen Weg. der voll Er-
lebnis in der Liebe, voll tätiger Wirklichkeit war. — Aber fo!

Skumin, schattenhaft huscht sie von einem Bett zum anderen, ordnet
hier ein Polster, stellt dort ein Trinkglas zurecht und in ihren Bewegungen
ist schon viel von der Müdigkeit des Winternachniittagö. Ein paar Jahre
noch und sie wird ganz vom Schnee der Resignation bedeckt sein.

Lautlos wie sie gekonimen, verschwindet sie wieder. Mein inneres Ohr
hört sie über den Gang schweben, die Stiegen hinunter in die Kapelle hinein,
die kalt und dunkel wie ein Grab gähnt.

Noch immer dröhnen die Glockcnköne:

„Gott ist die Liebe-Gott ist die Liebe!"

Da reißt cs mich zum Fenster hin, ich schlage den R>egel empor, stoße
es auf und schreie so laut ich kann in das weiße Land hinaus:

„Der Mensch ist die Liebe, der Mensch-—" aupif »eaoib

TRÜBE STUNDE

Sie zog mit Lächeln die Linien nach.

Blau eingezeichnct auf grünem Grund:

„Hier wanderten wir, und ich war gesund!

Kein Abstieg siel uns zu wild und jach:

Wir maßen den neuen Gipfel schon!

Ich steige nie wieder — ich gab dir den Sohn.

In ihm erwächst dir ein junges Geleit
— Jetzt hält er sich noch an meinem Kleid —

Du deutest ihm Welt- und Schöpfungstraum,

Du weist ihm die Höhen. Ihr geht zu zweit,

Wie einst wir beide, fo glückgcseit!

Ach, schritten wir nicht wie auf Wolkenstauni?"

-Er sah fie an, und sein Blick ward weit,

Doch er entsann sich kaum.-

Sic hob sich müde im Sessel aus:

„Und eins muß der Junge vor allem sch'n:

Wenn abends die Berge in Schleiern steh'n!

Wie Veilchen quillt das und Silberlaus. . ..

So sauste Hülle kann Oämm'rung sein,

Und solches Dämmer schließt mich nun ein. —

Ich bin nicht bitter, verzeih das Wort,

Doch stog mir nicht deine Liebe fort?

Mein krankes Herz träumte schweren Traum:

Ich sah dich wandern in hartem Leid,

Weil deine Sehnsucht nach Freuden schreit,

Oie mir verloren.-Im Ätherrauin

Lichtsuchend steigst du, von mir so weil —“

Ach, er vernahm sic kaum-

Hedwig Forstreuter

4

BACH

Wie stellt sich deiner Fugen sich'rer Dogen

groß über der Choräle Säulenwuchk,
und deiner Triller und Mordente Flucht
ist als Fialen zierend hingczogcn.

Du bist der Dom der Zeit, im Sonnenwogen

des Mittags eine tiefe Schattcnbucht —
hier reift der Ewigkeit langsame Frucht,

an deinen Klängen nahrhaft vollgesogen

wie an fcuchtsommcrlichem Stcrncnscheine.

O« singst das Lied der göttlichen Gewähr,
das an den, gotisch aufgerccktem Steine

wie eine Taube nicdcrglänzt. Was schwer

und räumlich war, schattet im Ungefähr —
Und wesenhaft ist nur dein Lied, das eine.

Arust Ludwig Echellraberg

BEGEGNUNG

Es tat kaum weh. Nur eine kleine Süßigkeit zerrann ..
Als ich dich sah, ließ ich ein wenig Hoffnung zu mir ein
Dein Auge aber, gütig-strenge, sprach: Es kann
nicht sein

Ich neigte mich vor dir. Ich löste leise lächelnd mich
aus deinem Bann.

Josef Englerk

4

NACH EINER NACHT
Dich warf das Glück zu meinen Füße» her. —

O Abendsturm,

Aufrauschten deine Harfen.

Des Hinimcls Slerncnchor
Stieg aus zur großen Mitternacht,

Das Dunkel tönte

Und stark wie Orgelton war sein Gesang
Und war ein Brausen und ein Überströmen.

Es war ein Brausen und ein Ubcrströmcn —

Welch eine Nacht!

Mit Psalmen auf der Lippe
Und Hosiannarufen

Triebs mich zu dir zu deines Tempels Stufen.

All meine Sinne waren hochgcstammt,

Ich stand geblendet in dem heiligen Ring,

Oer donncrfarben unsre Welt umsing,

Beseligend verdammt,

Nur dich, nur dich zu seh'o
Und zu vergeh'».

Im Garten blüht der Olcandecbaum
Berauscht und düfteschwer.

Oie Nacht ist hingcgangen.

Oer Springbrunn meiner Träume wacht nicht mehr.

Nun weiß ich nicht, was ich geworden bin . . .
Seltsamer Tagbeginn.

Aufgestürmt

Sprang gestern meine Seele

Und voll von Kraft

Mit Hirsches Sprunggelcnken —

Heut tragen Flügel sanfter Harmonie zu dir mich hin.
Ich bin so ruhevoll in mich versenkt.

So voll von Frieden, •

Zu neuen Stürmen will mein Glück nicht taugen,

Es lächelt still.

Hingeschmiegk
Bettle ich nur

Um einen Blick deiner Augen

Lori A. Meper

EREIBURCER MÜNSTER

Aus dem Staube
Hochgeschleuderter Glaube,

Schönheit regnender,

Schöpferkraft segnender,

In die Sonne getürmter Geist!

Kunst in schwellenden Bächen:

Selig zusammengeschwcißt

Himmelsreinheit, Pein
Und Lüste irdischer Schwächen.

Oichterwollust geivordener Stein!

Froh-
Drängende Lohe,

Jahrtausend

In Feucrgarben brausend.

Dröhnendes Lied, von Meistern gesungen,
In Sterne gezwungen

Glutcnzuckende,

Jammernden Tag verschluckende
Hymne mannigfaltiger
Verschollener ewig Gewaltiger: —

Über dem Staube,

Trutz du, heiliger Glaube,

Pstanzt du krönend dcni Hciligkumc
GoldneS Schwert auf und zarte Blume.

Führe auch uns aus zerrifjencr Zeit
Elendem Hassen

Über die Gassen, —

Herrgott, wirf Rosen in unfern Streit!

Max Bittrich

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WIE WEIT IST COTT!

Oer grauen Tage trübe Wolken drücken
mein Herz, dag ängstlich unter Steinen staltert.

Oie Sonne hat ihr liebstes Kind vergessen.

Ich irre um den trägen See und suche

der Vögel Stimmen in den tropfenden Zweigen —

ich sindc sie nicht mehr.

Ich fühle,

daß meine Augen tot sind. Ach, es hat

ein stumpfer Werkmann sie aus Glas geblasen,

aus totem Glas.

Wie iveil ist Gott!

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Walter Falt
Register
Alfons Petzold: Die Nonne
Karl A. Meyer: Nach einer Nacht
Ernst Ludwig Schellenberg: Bach
Max Bittrich: Freiburger Münster
Josef Englert: Begegnung
Walter Falk: Wie weit ist Gott!
Hedwig Forstreuter: Trübe Stunde
 
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