Aus Alt-Böhmen Walther Buhe
Gott in die Dttakringer Nnabenbürgerfchule geschickt haben mußte,
gesagt. Bloß aus den grünen Zweig gekommen waren sie nie, denn
Vater blies Glaskugeln, runde farbige Glaskugeln, dies war sein Ge-
schäft, ein anderes hatte er nicht gelernt. Und die Nachfrage um
bunte Glaskugeln, das hundert zu vierzehn Nronen, war in diesen
grauen Zeiten nicht gestiegen. Daher kam es wohl, daß der kleine
Mann und Sohn Andreas Wichtl in einem ziemlich trüben, eigentlich
bloß aus versehen noch nicht demolierten Hof mit Bohnengewäch-
sen, offenen Nellerhäisen, einem Schöpfbrunnen, zwei Hackstöcken
und einem ungeheuren, eisenbereislen grünen Regenfaß aufwuchs.
Aber der Nnabe hatte gewiß nichts gegen jenen Hof einzuwenden,
und daß er arm sei, hatte ihm noch niemand eröffnet, er wußte es
nicht. Lr durste mit den Söhnen seines Hausherrn spielen, der ein
Stockdrechfler und so reich war, daß er in der Gasse nebenan eine
einstöckige §abrik besaß. Lr hatte einen §reund und es war der
Sohn des Hausmeisters, der mit Wasserfarben malen und zeichnen
konnte und diesen Sommer zu einem Graveur in die Lehre kam.
Nein, nicht dies beschwerte Andreas Wichtls Sinn, wie die Güter
der Welt verteilt und ob sie gerecht verteilt seien, er verstand es
nicht, und es berührte ihn nicht. Aber er war in den letzten zwei oder
drei fahren öfter als sonst krank gewesen, und es war dies nicht
einmal ganz unerwünscht, denn man war vom Nohlrübenessen er-
löst, und sehr oft erübrigte es sich, in die Schule zu gehen, wenn an
der wand ober dem Bett die seltsamen grünen Männlein tanzten
und die roten Sterne, Bälle und Vaters Glaskugeln mitten am
lichten klag auf- und niederstiegen, und ein kleiner, leiser, mit dem
Atmen kommender und gehender Schmerz den Nranken in seinen
pölstem merkwürdig selig und traurig machte.
Mutter saß an seinem schmalen Bett und strich ihm das etwas
mißwachsene, stachlig schwarze Haar zurück. Sie band ihm einen
kühlen, nassen Umschlag um die heißen Schläfen, und Zitrone, in
Wasser gedrückt und süß gezuckert, wäre gut gewesen Aber Zucker
gab es nicht, bloß Sacharin, und eine Zitrone kostete so viel wie
hundert von Vaters Glaskugeln. Übrigens, wenn Vater abends mit
seiner Arbeit fertig war, setzte sich der Nnabe schwach und glücklich
in seinen blaugestreiften pälstern auf und hielt in den blaugeäderten,
durchsichtig schmalen 8ingern die warmen, guten Llternhände und
verbarg den Husten, der ihm gerade jetzt durch die etwas stärker
schmerzende Brust schüttelte.
Nach einem solchen Nranksein war es, daß sich der Nnabe an der
Hand seiner Mutter in einem abscheulich grüngetünchten, giftig rie-
chenden Zimmer fand, das keine 8enster hatte und in dessen Mitte
am hellen Mittag eine bleiche Auerlampe brennen mußte. An den
Wänden aber standen Bänke und auf diesen Bänken saßen 8rauen,
Männer, Arbeiter aus den 8abriken in blauen Hofen oder Soldaten-
mänteln Und Rinder mit dickgewundenen Backcntüchern. und unter
ihnen allen teilte ein bös aussehender und mitunter schimpfender
Mann kleine Papptaseln aus. Auf den grauen, sehr schmutzigen
Cäfelchcn stand eine Nummer, diese Nummer wurde gerufen und
man verschwand an der Hand der Mutter aus dem grünen Vor-
zimmer des Ambulatoriums, um einem dicken, fchwarzbärtigcn,
fremden Herrn, der einen weißen Nittel trug, tapfer in die Augen
zu fehen.
Oer Herr war merkwürdigerweise freundlich und lustig, er knelste
den kleinen, kränklichen Wurm und Lrdenbürger in die Backen oder
was von Backen da war, und es mochte gewiß fpaffeshalber sein,
daß er dem zwölfeinhalbjährlgen Mann leise und mit schnellen 8m-
gern die Lider an den Augen in die Höhe schob. Das tat nicht weh,
trotzdem es möglicherweife schon zu dem gehörte, wessen man sich
vom Doktor zu versehen hatte. Und so ging man, noch immer tapfer,
daran, sich die Zacke und die Weste und das kleine, in der Aufregung
nun ein wenig verschwitzte Baumwollhemd auszuziehen. Mutter
hatte man in diesem Augenblick ganz vergessen. Sie stand irgendwo
hinten an einem Glaskasten voll blitzender Scheren und Mefjer, und
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Gott in die Dttakringer Nnabenbürgerfchule geschickt haben mußte,
gesagt. Bloß aus den grünen Zweig gekommen waren sie nie, denn
Vater blies Glaskugeln, runde farbige Glaskugeln, dies war sein Ge-
schäft, ein anderes hatte er nicht gelernt. Und die Nachfrage um
bunte Glaskugeln, das hundert zu vierzehn Nronen, war in diesen
grauen Zeiten nicht gestiegen. Daher kam es wohl, daß der kleine
Mann und Sohn Andreas Wichtl in einem ziemlich trüben, eigentlich
bloß aus versehen noch nicht demolierten Hof mit Bohnengewäch-
sen, offenen Nellerhäisen, einem Schöpfbrunnen, zwei Hackstöcken
und einem ungeheuren, eisenbereislen grünen Regenfaß aufwuchs.
Aber der Nnabe hatte gewiß nichts gegen jenen Hof einzuwenden,
und daß er arm sei, hatte ihm noch niemand eröffnet, er wußte es
nicht. Lr durste mit den Söhnen seines Hausherrn spielen, der ein
Stockdrechfler und so reich war, daß er in der Gasse nebenan eine
einstöckige §abrik besaß. Lr hatte einen §reund und es war der
Sohn des Hausmeisters, der mit Wasserfarben malen und zeichnen
konnte und diesen Sommer zu einem Graveur in die Lehre kam.
Nein, nicht dies beschwerte Andreas Wichtls Sinn, wie die Güter
der Welt verteilt und ob sie gerecht verteilt seien, er verstand es
nicht, und es berührte ihn nicht. Aber er war in den letzten zwei oder
drei fahren öfter als sonst krank gewesen, und es war dies nicht
einmal ganz unerwünscht, denn man war vom Nohlrübenessen er-
löst, und sehr oft erübrigte es sich, in die Schule zu gehen, wenn an
der wand ober dem Bett die seltsamen grünen Männlein tanzten
und die roten Sterne, Bälle und Vaters Glaskugeln mitten am
lichten klag auf- und niederstiegen, und ein kleiner, leiser, mit dem
Atmen kommender und gehender Schmerz den Nranken in seinen
pölstem merkwürdig selig und traurig machte.
Mutter saß an seinem schmalen Bett und strich ihm das etwas
mißwachsene, stachlig schwarze Haar zurück. Sie band ihm einen
kühlen, nassen Umschlag um die heißen Schläfen, und Zitrone, in
Wasser gedrückt und süß gezuckert, wäre gut gewesen Aber Zucker
gab es nicht, bloß Sacharin, und eine Zitrone kostete so viel wie
hundert von Vaters Glaskugeln. Übrigens, wenn Vater abends mit
seiner Arbeit fertig war, setzte sich der Nnabe schwach und glücklich
in seinen blaugestreiften pälstern auf und hielt in den blaugeäderten,
durchsichtig schmalen 8ingern die warmen, guten Llternhände und
verbarg den Husten, der ihm gerade jetzt durch die etwas stärker
schmerzende Brust schüttelte.
Nach einem solchen Nranksein war es, daß sich der Nnabe an der
Hand seiner Mutter in einem abscheulich grüngetünchten, giftig rie-
chenden Zimmer fand, das keine 8enster hatte und in dessen Mitte
am hellen Mittag eine bleiche Auerlampe brennen mußte. An den
Wänden aber standen Bänke und auf diesen Bänken saßen 8rauen,
Männer, Arbeiter aus den 8abriken in blauen Hofen oder Soldaten-
mänteln Und Rinder mit dickgewundenen Backcntüchern. und unter
ihnen allen teilte ein bös aussehender und mitunter schimpfender
Mann kleine Papptaseln aus. Auf den grauen, sehr schmutzigen
Cäfelchcn stand eine Nummer, diese Nummer wurde gerufen und
man verschwand an der Hand der Mutter aus dem grünen Vor-
zimmer des Ambulatoriums, um einem dicken, fchwarzbärtigcn,
fremden Herrn, der einen weißen Nittel trug, tapfer in die Augen
zu fehen.
Oer Herr war merkwürdigerweise freundlich und lustig, er knelste
den kleinen, kränklichen Wurm und Lrdenbürger in die Backen oder
was von Backen da war, und es mochte gewiß fpaffeshalber sein,
daß er dem zwölfeinhalbjährlgen Mann leise und mit schnellen 8m-
gern die Lider an den Augen in die Höhe schob. Das tat nicht weh,
trotzdem es möglicherweife schon zu dem gehörte, wessen man sich
vom Doktor zu versehen hatte. Und so ging man, noch immer tapfer,
daran, sich die Zacke und die Weste und das kleine, in der Aufregung
nun ein wenig verschwitzte Baumwollhemd auszuziehen. Mutter
hatte man in diesem Augenblick ganz vergessen. Sie stand irgendwo
hinten an einem Glaskasten voll blitzender Scheren und Mefjer, und
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