Amiritia
Line RLndergejchichte von Rarl Ulrich
Großes Gepolter auf der Treppe, im
8>ur, die Tür wird ausgerissen, zuge-
worfen.
„Guten Tag, Vater."
„Guten Tag, mein Zunge."
„D, du bist ja schon weit mit dem
Schiff!"
„So acht Tage wird es noch dauern!"
„Der Nutter wird doch mir gehören,
Vater?"
„Gewiß, ich baue ihn doch für dich."
„wie soll er heißen? Du, einen recht
schönen Namen muß er doch haben,
nicht? weißt du, so einen, den nicht
jeder hat."
„Zunge, das wird sich ja alles fin-
den."
Lrst nach diesem Dialoge legt Gün-
ther feine Schulmappe ab. Dann fühlt
der eifrig schnitzende Vater die kleine
Kinderhand auf feiner Schulter. Län-
gere Zeit hört man das Nnirschen und
Schaben des Messers an dem Holze.
„No, hast du denn was in der Schule
gekonnt?"
„Za, Vater, aber im Rechnen habe
ich bloß eine Drei zurückbekommen, die
Aufgaben waren auch fo schwer!"
„Hoffentlich wird die lateinische Ar-
beit besser!"
„Za, ja, Vater, laß man." Günthers Backe legt sich
an des Vaters Bart.
„Zst was Neues in der Schule passiert?"
„Zch we ß nicht — doch, §rih Hansen ist krank, sehr,
hat Herr Neumann gesagt, er hat Gelenk — Gelenk — "
„Rheumatismus?" ergänzt der Vater.
„Za, ja, so heißt das "
„von Hansen hast du mir doch noch nichts erzählt:
ist der nicht nett?"
„Doch, aber er ist immer so still, und wenn mal ein
Ausflug ist, geht er nicht mit. Aber er kann viel mehr
als ich."
„Zch glaube, dazu gehört wohl nicht viel — was ist
denn fein Vater?"
„Heinz Möller sagt, sein Vater hat erzählt, Hansens
Vater istNapitän von einem großen Segelschiff gewesen
und ertrunken."
„Das ist aber traurig, wo wohnt denn Hansen?"
„Du, der wohnt da ganz hinten am Hasen in der
Wasserstraße wo wir beide mal den Neger mit dem Zy-
linder gesehen haben."
Günther zerstört seine ohnehin nicht mehr salonfähige
§rijur vollends Nach einer weile kommt es nachdenk-
lich heraus:
„Eigentlich müßte ich ihn doch mal besuchen, neulich
hat er mir erst einen 8ederhalter geliehen, als ich meinen
vergessen hatte Das war schon das zweite Mal. Aber cs
ist man so weit."
„wir wollen noch ein paar Tage
warten, dann gehst du mal hin. Aber
seht wasch dir die Hände und kämm dir
die Haare."
Linige Tage später kommt jemand
abends die Treppe heraus, Stuse sür
Stufe. Die Tür geht auf: Ls ist Gün-
ther. Die Tür wird in normaler weise
geschlossen, ohne daß an den zweck-
mäßigen Gebrauch der Nlinke erinnert
werden muß.
„Du, man sagt guten Abend!"
Günther nickt nur mit dem Nopse,
auf dem noch die Mühe sitzt. Lr hat
Tränen in den Augen.
„Aber Zunge, was ist denn los?
Haben sie dich unterwegs verhauen?"
Der kleine Nerl nimmt aus seines
Vaters Schoß Platz, wischt mit den
nicht ganz waschechten Händen die
Tränen fort und erzählt stoßweise. Sie
haben ihn nicht verhauen, er ist auch
nicht hingesallen, aber der Besuch war
zu traurig. Der arme 8ritz hat in seinem
Bett vor Schmerzen gestöhnt. Seine
Mutter hat am 8enster gesessen und ge-
näht, und es sind nur schlechte Möbel
im Zimmer gewesen.
„Za, Vater, und er ißt fast gar nichts,
und die Mutter hat geweint und ge-
sagt, sie kann ihm das nicht kaufen,
worauf er Appetit hat. Zch habe ihm von unserm Nutter
was erzählt, und daß er bald fertig ist — ich mußte doch
was sagen. Du. 8ritzens Vater hat ein wirkliches, großes
Schiff gehabt und ist dicht vor Hamburg bei einem
Sturm ertrunken. 8rih hat mir an der wand das Bild
von dem Schiff gezeigt, es war ein Vollschiff. Zch soll
bald mal wiedeikommen und alle in der Schule grüßen."
„wenigstens hast du ausgehört mit Heulen. Anna
deckt gleich den Tiscb, und was hätte die von dir gedacht!
Du gehst nächstens wieder zu 8rih, und dann nimmst
du ihm was Schönes mit. Zeht will ich dir aber auch
was zum Tröste zeigen."
Zn der Tür >um Nebenzimmer bleibt Günther stehen:
Da ist ja der Nutter fertig! Ganz heimlich hat Vater das
WEINBRAND
mnmhcn
CIllAOt
Hei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehmen * JUCKND Nr. 1 / 1922
29
Line RLndergejchichte von Rarl Ulrich
Großes Gepolter auf der Treppe, im
8>ur, die Tür wird ausgerissen, zuge-
worfen.
„Guten Tag, Vater."
„Guten Tag, mein Zunge."
„D, du bist ja schon weit mit dem
Schiff!"
„So acht Tage wird es noch dauern!"
„Der Nutter wird doch mir gehören,
Vater?"
„Gewiß, ich baue ihn doch für dich."
„wie soll er heißen? Du, einen recht
schönen Namen muß er doch haben,
nicht? weißt du, so einen, den nicht
jeder hat."
„Zunge, das wird sich ja alles fin-
den."
Lrst nach diesem Dialoge legt Gün-
ther feine Schulmappe ab. Dann fühlt
der eifrig schnitzende Vater die kleine
Kinderhand auf feiner Schulter. Län-
gere Zeit hört man das Nnirschen und
Schaben des Messers an dem Holze.
„No, hast du denn was in der Schule
gekonnt?"
„Za, Vater, aber im Rechnen habe
ich bloß eine Drei zurückbekommen, die
Aufgaben waren auch fo schwer!"
„Hoffentlich wird die lateinische Ar-
beit besser!"
„Za, ja, Vater, laß man." Günthers Backe legt sich
an des Vaters Bart.
„Zst was Neues in der Schule passiert?"
„Zch we ß nicht — doch, §rih Hansen ist krank, sehr,
hat Herr Neumann gesagt, er hat Gelenk — Gelenk — "
„Rheumatismus?" ergänzt der Vater.
„Za, ja, so heißt das "
„von Hansen hast du mir doch noch nichts erzählt:
ist der nicht nett?"
„Doch, aber er ist immer so still, und wenn mal ein
Ausflug ist, geht er nicht mit. Aber er kann viel mehr
als ich."
„Zch glaube, dazu gehört wohl nicht viel — was ist
denn fein Vater?"
„Heinz Möller sagt, sein Vater hat erzählt, Hansens
Vater istNapitän von einem großen Segelschiff gewesen
und ertrunken."
„Das ist aber traurig, wo wohnt denn Hansen?"
„Du, der wohnt da ganz hinten am Hasen in der
Wasserstraße wo wir beide mal den Neger mit dem Zy-
linder gesehen haben."
Günther zerstört seine ohnehin nicht mehr salonfähige
§rijur vollends Nach einer weile kommt es nachdenk-
lich heraus:
„Eigentlich müßte ich ihn doch mal besuchen, neulich
hat er mir erst einen 8ederhalter geliehen, als ich meinen
vergessen hatte Das war schon das zweite Mal. Aber cs
ist man so weit."
„wir wollen noch ein paar Tage
warten, dann gehst du mal hin. Aber
seht wasch dir die Hände und kämm dir
die Haare."
Linige Tage später kommt jemand
abends die Treppe heraus, Stuse sür
Stufe. Die Tür geht auf: Ls ist Gün-
ther. Die Tür wird in normaler weise
geschlossen, ohne daß an den zweck-
mäßigen Gebrauch der Nlinke erinnert
werden muß.
„Du, man sagt guten Abend!"
Günther nickt nur mit dem Nopse,
auf dem noch die Mühe sitzt. Lr hat
Tränen in den Augen.
„Aber Zunge, was ist denn los?
Haben sie dich unterwegs verhauen?"
Der kleine Nerl nimmt aus seines
Vaters Schoß Platz, wischt mit den
nicht ganz waschechten Händen die
Tränen fort und erzählt stoßweise. Sie
haben ihn nicht verhauen, er ist auch
nicht hingesallen, aber der Besuch war
zu traurig. Der arme 8ritz hat in seinem
Bett vor Schmerzen gestöhnt. Seine
Mutter hat am 8enster gesessen und ge-
näht, und es sind nur schlechte Möbel
im Zimmer gewesen.
„Za, Vater, und er ißt fast gar nichts,
und die Mutter hat geweint und ge-
sagt, sie kann ihm das nicht kaufen,
worauf er Appetit hat. Zch habe ihm von unserm Nutter
was erzählt, und daß er bald fertig ist — ich mußte doch
was sagen. Du. 8ritzens Vater hat ein wirkliches, großes
Schiff gehabt und ist dicht vor Hamburg bei einem
Sturm ertrunken. 8rih hat mir an der wand das Bild
von dem Schiff gezeigt, es war ein Vollschiff. Zch soll
bald mal wiedeikommen und alle in der Schule grüßen."
„wenigstens hast du ausgehört mit Heulen. Anna
deckt gleich den Tiscb, und was hätte die von dir gedacht!
Du gehst nächstens wieder zu 8rih, und dann nimmst
du ihm was Schönes mit. Zeht will ich dir aber auch
was zum Tröste zeigen."
Zn der Tür >um Nebenzimmer bleibt Günther stehen:
Da ist ja der Nutter fertig! Ganz heimlich hat Vater das
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Hei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehmen * JUCKND Nr. 1 / 1922
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