EIN ALLTÄGLICHES GESPRÄCH
Erlauscht von Adolf-Viktor von Koerber
Es war an einem schönen Spätherbsttage die-
ses sonnengesegneten Jahres. Schon überschat-
tete die nahende Winterwehmut unsere Her«
zen. Meine Frau sprach von kommenden Re«
genwochen und von allerlei traurig stimmenden
Nebendingen.
„Kleines Herz,“ dachte ich, „mußt Du Dich
so arg beschweren?! — Doch geht es mir denn
anders? Dir bereiten Kälte, Teuerung, schlim-
me Menschenerfahrung Kummer. Mir frißt am
Herzen der Jammer, die Schmach der deutschen
Gegenwart.“ Ich stand auf und legte meine
Arme um sie: „Komm Kind, laß uns die be-
währte einzige Trösterin aufsuchen! Fahren wir
hinaus. Sie hat sicher ihr köstliches goldbraunes
Brokatkleid angelegt. Und es wird würzige Erd«
luft sein, ein klein wenig so wie im Frühjahr,
wenn der Schleier zergeht und grünendes Win-
terkorn seinen Balsam verschwendet.“
Wir saßen in der Bahn, dreiviertel Stunden
lang. In einem Abteil voller Menschen, die wohl
gleich uns ihren Sonntag suchten. Dann gingen
wir am See entlang. Wehmütig plätscherte es
im Schilf. Klagend zog eine Dohle vorüber. Nun
ja, es war spät im Jahr. Wohl leuchteten uns
die Farben, und die Sonnentupfen huschten über
den Weg. Aber, es war spät im Herbst. Und
wir wanderten schweigend fort. —
Auf einer Terrasse saßen wir nieder zur Mit-
tagsrast. Elegant gedeckte Tische um uns, da-
ran buntgekleidete Menschen nach der farben-
frohen Mode dieses Jahres. Es gab eine erle-
sene Speisenauswahl. Wir suchten ein wenig
lange auf der Karte, denn das kleine Kapital
mußte immerhin lohnend angelegt werden! Zum
mindesten sollten uns die kulinarischen Genüsse
die Herzen erwärmen. Hatte das doch die alte
Freundin da draußen so gar nicht vermocht.
Markklößchen rollten in der Suppe. Sie gaben
ihr einen vortrefflichen Geschmack. Das Cha«
teaubriand aber wäre eines Lucullus würdig ge-
wesen. Und vollends der Pommard! Der ging
EIN VETERAN. „Hast du aba scho g’lebt,
wia d’ Schaumroll’n no zehn Pfennig
kost hat?“
ins Blut. Und richtig: die Augen mir gegenüber
bekamen Glanz. In echt deutscher Mentalität
ertappte ich mich natürlich bei einer Vorlesung
über das Thema: Der allein selig machende Ma-
terialismus. Trotzdem freute ich mich von Her-
zen, und unser Gespräch schweifte ab von den
täglichen Sorgendingen, wurde heiter und aus-
gelassen. Meine Frau machte ihre Glossen über
unsere lieben Nächsten ringsum. Besonderes In-
teresse erweckte ihr ein Paar, das, uns den Rük-
ken zeigend, durch eine geradezu ausschweifend
üppige Speisenfolge zur Beobachtung herausfor«
derte. Die Schüsseln, Platten und Terrinen wur-
den an unserm Tisch vorbeigetragen. Wir waren
uns schon sehr groß vorgekommen, doch allein
deren Hors d’oeuvre stellte unsere ganze Mahl-
zeit in den Schatten. Dieser Riesenhummer in-
mitten einer Auslese herrlichster Salate! Ein
Blick auf die Karte gab mir zu denken: „Von
90 bis 160 Mark, je nach Größe“. Mir keimte
etwas auf, das ich gleichzeitig meiner Frau aus
den Augen las: Neid! Natürlich trat im ersten
Augenblick nur das Gefühl der Entrüstung in
Erscheinung: Wie kann man dafür soviel Geld
ausgeben! Doch wich dieses sofort dem inneren
Eingeständnis: Gott, hätte ich es, ich würde mir
auch was leisten. Und das Gesichtlein neben
mir bekam eine Falte: „Ach! Hätte man ein biß-
chen Geld!“ Dann nach einem Stoßseufzer:
„Sieh’ nur diese Frau an! Der Hut kostet allein
ein Vermögen, mindestens 2500 Mark! Und was
ist diese Pelzjacke wert?! Echter Zobel. Min-
destens 120 Mille! Und siehst Du diese Steine?
Alles Smaragde!“ Nun stierte auch ich fasziniert
auf solche Reichtümer. Endlich, um uns abzu-
lenken, rief ich dem Kellner. Doch mein Vor-
schlag, — ich nannte mich selbst gewissenlos, —
einer Ananasspeise zu 40 Mark fand keine
Gnade. Im Gegenteil. Der Teller wurde merk-
lich unwillig zurückgestoßen und die Falten
(Schluss auf Seite 80)
* Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehmen
76 b
JUGEND Nr. 2 / 1922
Erlauscht von Adolf-Viktor von Koerber
Es war an einem schönen Spätherbsttage die-
ses sonnengesegneten Jahres. Schon überschat-
tete die nahende Winterwehmut unsere Her«
zen. Meine Frau sprach von kommenden Re«
genwochen und von allerlei traurig stimmenden
Nebendingen.
„Kleines Herz,“ dachte ich, „mußt Du Dich
so arg beschweren?! — Doch geht es mir denn
anders? Dir bereiten Kälte, Teuerung, schlim-
me Menschenerfahrung Kummer. Mir frißt am
Herzen der Jammer, die Schmach der deutschen
Gegenwart.“ Ich stand auf und legte meine
Arme um sie: „Komm Kind, laß uns die be-
währte einzige Trösterin aufsuchen! Fahren wir
hinaus. Sie hat sicher ihr köstliches goldbraunes
Brokatkleid angelegt. Und es wird würzige Erd«
luft sein, ein klein wenig so wie im Frühjahr,
wenn der Schleier zergeht und grünendes Win-
terkorn seinen Balsam verschwendet.“
Wir saßen in der Bahn, dreiviertel Stunden
lang. In einem Abteil voller Menschen, die wohl
gleich uns ihren Sonntag suchten. Dann gingen
wir am See entlang. Wehmütig plätscherte es
im Schilf. Klagend zog eine Dohle vorüber. Nun
ja, es war spät im Jahr. Wohl leuchteten uns
die Farben, und die Sonnentupfen huschten über
den Weg. Aber, es war spät im Herbst. Und
wir wanderten schweigend fort. —
Auf einer Terrasse saßen wir nieder zur Mit-
tagsrast. Elegant gedeckte Tische um uns, da-
ran buntgekleidete Menschen nach der farben-
frohen Mode dieses Jahres. Es gab eine erle-
sene Speisenauswahl. Wir suchten ein wenig
lange auf der Karte, denn das kleine Kapital
mußte immerhin lohnend angelegt werden! Zum
mindesten sollten uns die kulinarischen Genüsse
die Herzen erwärmen. Hatte das doch die alte
Freundin da draußen so gar nicht vermocht.
Markklößchen rollten in der Suppe. Sie gaben
ihr einen vortrefflichen Geschmack. Das Cha«
teaubriand aber wäre eines Lucullus würdig ge-
wesen. Und vollends der Pommard! Der ging
EIN VETERAN. „Hast du aba scho g’lebt,
wia d’ Schaumroll’n no zehn Pfennig
kost hat?“
ins Blut. Und richtig: die Augen mir gegenüber
bekamen Glanz. In echt deutscher Mentalität
ertappte ich mich natürlich bei einer Vorlesung
über das Thema: Der allein selig machende Ma-
terialismus. Trotzdem freute ich mich von Her-
zen, und unser Gespräch schweifte ab von den
täglichen Sorgendingen, wurde heiter und aus-
gelassen. Meine Frau machte ihre Glossen über
unsere lieben Nächsten ringsum. Besonderes In-
teresse erweckte ihr ein Paar, das, uns den Rük-
ken zeigend, durch eine geradezu ausschweifend
üppige Speisenfolge zur Beobachtung herausfor«
derte. Die Schüsseln, Platten und Terrinen wur-
den an unserm Tisch vorbeigetragen. Wir waren
uns schon sehr groß vorgekommen, doch allein
deren Hors d’oeuvre stellte unsere ganze Mahl-
zeit in den Schatten. Dieser Riesenhummer in-
mitten einer Auslese herrlichster Salate! Ein
Blick auf die Karte gab mir zu denken: „Von
90 bis 160 Mark, je nach Größe“. Mir keimte
etwas auf, das ich gleichzeitig meiner Frau aus
den Augen las: Neid! Natürlich trat im ersten
Augenblick nur das Gefühl der Entrüstung in
Erscheinung: Wie kann man dafür soviel Geld
ausgeben! Doch wich dieses sofort dem inneren
Eingeständnis: Gott, hätte ich es, ich würde mir
auch was leisten. Und das Gesichtlein neben
mir bekam eine Falte: „Ach! Hätte man ein biß-
chen Geld!“ Dann nach einem Stoßseufzer:
„Sieh’ nur diese Frau an! Der Hut kostet allein
ein Vermögen, mindestens 2500 Mark! Und was
ist diese Pelzjacke wert?! Echter Zobel. Min-
destens 120 Mille! Und siehst Du diese Steine?
Alles Smaragde!“ Nun stierte auch ich fasziniert
auf solche Reichtümer. Endlich, um uns abzu-
lenken, rief ich dem Kellner. Doch mein Vor-
schlag, — ich nannte mich selbst gewissenlos, —
einer Ananasspeise zu 40 Mark fand keine
Gnade. Im Gegenteil. Der Teller wurde merk-
lich unwillig zurückgestoßen und die Falten
(Schluss auf Seite 80)
* Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehmen
76 b
JUGEND Nr. 2 / 1922