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gruben sich tiefer. Da seufzte auch ich gequält:
„Ach ja, nur ein bißchen Geld!“

Als sei hiermit das Stichwort gefallen, knarrte
plötzlich die Stimme des Abgewandten; die
nach ausgiebigem Alkoholgenuß jetzt plötzlich
laut und uns vernehmbar geworden war: „Du,
Lu, paß auf, der Dollar steht bald über 300!
Ich habe eingekauft von 56 bis 200. Die Chose
trägt mir, wenn ich jetzt realisiere, rund 3 ^Mil-
lionen!“ Die Angeredete lachte auf, weiter
nichts, und erhob das Glas. Darauf der .Millio-
när“: „Jawohl! Darauf können wir anstoßen!“
Und sie tranken in langem Zug, wie wir aus der
Haltung der Arme sahen. Auch sicherlich mit
sattem Genuß. Zu dieser Erkenntnis brauchten
wir nicht einmal ihre Gesichter zu sehen. Ich
fühlte auch kein Bedürfnis danach. Und meine
Fräu, — sie sah nicht ein einziges Mal mehr
hinüber. Sie drängte zum Aufbruch und bald
gingen wir zum See hinab. Fast um einige Grade
zärtlicher als sonst, hing sie sich bei mir ein.
Und ihre klugen Augen schimmerten mir feucht
entgegen. „Du, — könntest Du nicht die zwei-
tausend Mark für einen guten Zweck geben?
Irgendwelchen ganz Armen. Ich meine, aus un-
serm Stand. Es gibt ja deren genug.“

Ich blieb stehen: „Wie kommst Du denn jetzt
darauf? Und wieso denn zweitausend Mark?“ —
Sie blickte zur Seite, als schämte sie sich.
Dann sah sie mich voll an: „Hattest Du nicht

im Januar auch-- Dollars gekauft?“ Die

Antwort durchfuhr mich wie ein Blitz: „Ich hatte
es und gewann daran in drei Tagen zweitausend
Mark. Wir sagten damals .verdient“. Auch wir
hatten einer Flasche den Hals gebrochen, unter
Lachen und Freude.“ —

„Gott, zweitausend Mark! Das war gerade
viel! Jener da oben auf der Terrasse würde sich
mit solchen Kleinigkeiten nicht erst abgeben.“
Ich entschuldigte mich vergeblich vor mir selbst,

vor den hellen fragenden Augen. Keine Aus-
flucht gelang. Im Gegenteil! Unerbittlich klag-
ten mich die erkennenden Gedanken an: Ob
man mit einer Million Dollars kauft oder mit
zehntausend Mark. Ob es überhaupt Dollars wa-
ren oder oder andere Dinge des Auslandes.
Zwar lag hier die Schädigung unseres Heimat-
hauses am klarsten zutage: Die gewissenlose
Flucht vor der Mark, die Hunderttausende von

!

RICHARD ROST

'-CA> (MÜNCHEN)

GESINDELSTUBE. Mehr wia neun Knödln
derfst net fress’n, Girg’l ... ’n zehnten kriagt ’s
Steueramt I

Deutschen täglich begehen, neue Hunderttau-
sende Kopflose mit sich reißend, läßt die frem-
den Währungen zu einer Höhe aufsteigen, die
uns erdrosselt. Die Preise steigen ins Unge-
messene. Der Gewinn der Hunderttausende ist
dadurch sehr zweifelhaft, wahrscheinlich eine
Illusion, doch die Verelendung der übrigen Mil-
lionen Deutscher ist gewiß. Einige erheben die
Gläser, unzählige tragen Dornenkronen. Doch
es sind nicht nur die Dollars. Es ist das Prinzip!
Die „Jumper“, die wir kaufen, die französischen
Modehefte, die englischen Humspons, die Par-
füms von L’Origan und Gote, die Liköre aus
„Straßbourg“ und Paris und abertausend Luxus-
dinge. Und eines dazu: Des Auslandes Geist.
Wir importieren ihn in eingebildetem Heißhun-
ger! Sagen wir nicht, es sei Unbedachtsamkeit.
In den Jahrzehnten unserer Größe durften wir
vieles tun. Heute bedeutet gedankenlose Dumm-
heit — Tod! Diese Erkenntnis stand ehern vor
mir auf, ausgelöst durch eine Frauenseele, die
feiner fühlend bis zu einer Quelle vordrang.

„Du kleine kluge Frau,“ sagte ich leise, „wir
nehmen morgen das Geld von der Bank. Liegen
wir dann etwas härter, es sei die Sühne für ge-
dankenlose Sünde. Viele werden uns Narren
schelten. Soll uns das irre machen? Einmal
muß doch wieder begonnen werden an dem
Aufbau des Idealismus, durch den allein wir uns
wieder finden können.“

Wir standen lange am Ufer. Frühe Dämme-
rung lag über dem Wasser. Dunkelheit brach
jäh herein. Herbst. —

Sie flüsterte lächelnd, einen Seufzer vortäu-
schend: „Ach, nur ein bißchen Geld!“ Dann
nach kleiner Pause: „Ob jene nun wirklich im
Herzen glücklich sind? Ihre Gesichter erkann-
ten wir nicht. Sie sahen sicher aus wie so viele
heute. — Hast Du noch einen Neid auf sie?“ —
Meine Antwort war ein Kuß.

1922 / JUGEND Nr. 2

Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner ,vJugend“ Bezug zu nehmen
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Richard Rost: Gesinde-Stube
 
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