Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
von Hans Reisiger

Der vertraute Garten leuchtete in magischer Glut, entfremdet, entrückt,
erhöht, wie mit zarten Rosenketten dünner Wolkenstreifen an einen glasig
goldgrünen Abendhimmel gehängt, Zedes Blatt an den Birken, Pappeln,
Rußbäumen stand wie festgebannt, und die Rasenflächen hauchten schweigend
das Licht aus, das sie in sich gesogen. Die Lampions zwischen den Bäumen
glommen mit schwachem Bunt in dem stärkeren Licht. Die helle Wand des
Hauses schaute tief hinter dem Geäst hervor, wie eine stille, steile Gestein-
släche, auf die man im Walde stößt und die die Welt zu begrenzen scheint.

Mit inbrünstiger Lebendigkeit aber strahlte das Gewühl von Rosen,
Flieder, Päonien, Nelken, Anemonen auf dem schimmernden Linnen, das
den langen Tisch zwischen blitzendem Glas und Silber bedeckte, und funkelte
der gelbe und rote Wein in den geschliffenen Naraffen. Dicht über den Wipfeln
warf die Venus, groß wie eine Bogenlampe, ihre bengalischen Strahlen in
den dämmerhellen Himmel. Lin wildes und süßes Geflöt von hunderten
von Vögeln, die kurz nach Sonnenuntergang ihre Stimme erheben, spielte
wie unsichtbare melodische Duellen durch das Laub. Ganz von fern kam
leiser, sammetdunkler Uhuruf.

Mit einer anmutig schnellen Bewegung, als fei sie, halb lächelnd, geflohen,
trat ein junges Mädchen, kaum achtzehnjährig, auf die Niesstufen, die zu
dem Rasenplatz führten, auf dem der blumengeschmückte Tisch stand. Sie
hielt inne, mit der einen Hand einen Birkenzweig fassend, und schaute wie
lauschend, trinkend, suchend mit halbgeöffneten Lippen in den schwebenden
Glanz, der sie umgab. Vas Lächeln erlosch auf ihrem Mund. Sie atmete
tiefer. 3«, da die Welt nun so verändert war, — da man in dieser Stunde
gleichsam nicht mehr aus der Lrde haftete, — da hier das ganze eigene Leben,
auf das man bisher nie geschaut, nun wie etwas Fremdes, Atemraubendes,
unsagbar Dunkel-Süßes einem über das Herz stieg, — so führte der weg,
den man zu gehen hatte, wohl doch hierher und hier hindurch. Denn was
sonst bedeutete dies, daß sich alle Gebüsche, alle wände vor einem öffneten,
wie märchenhafte Nulissen, jede Tiefe voll Lockung, Ahnung und durchhuscht
von einem hellen Schatten, der nichts anderes war, als man selbst in all den
vergangenen fahren,—Nind, halbwüchsig, Mädchen mit fliegenden offenen
Haaren, oder mit dunkelgolden geflochtenen Zöpfen, oder mit sorgsam auf-
gesteckter, widerspenstiger Nrone — lachend, weinend, träumerisch, wild,
ernst, verspielt, zärtlich, herb — 0 und nun dies feit wie lange — dieses süß
Duälende, der Nacht allein Vertraute, Glühende, - dies, was man selbst
mar; das man fühlte, wenn die Hand die eigene Brust streifte, während
man schlaflos lag; und das doch ein Anderes, Fremdes, Lrsehntes, ver-
heißenes war, von dem man zuerst nur hie und da in holden Blitzen, die
einem durchs Herz fuhren, ein geheimnisschweres Wörtchen erhascht, gelesen
oder aus Frcundinnenmunde gehört, und das nun plötzlich — oder allmäh-
lich? — ganz man selber geworden war, das einen erfüllte, wie ein neuer,
süßer Nern die Schale erfüllt, und das Zukunft hieß und Sinn des Lebens
und Liebe — Liebe — Liebe —?

Und das sich nun — heute — erfüllte. — Sie schloß die Augen, als ob
ein flüchtiger Schwindel sie ergriffe. — Und doch nicht erst heute? Lider
war das alles zu schnell, zu ungestüm gekommen? War vielleicht in dem
allen etwas, was Dauer und Stille und vertrautwerden brauchte? War alles
dies zu schwer beladen mit Hoffnungen, Sehnsucht, Traum, als daß man
es nun so rasch mit leibhaftigen Händen ergreifen konnte? — Nähe und
Wirklichkeit des Mannes, der einen liebte, das Gefühl seiner Hände, seiner
Stimme, seiner Leidenschaft, oder dies, was ein Nuß bedeutete? — Warum
brannte etwas — oh ja, — etwas Scharfes, Bitteres auf den eigenen Lippen
nach, und etwas noch Schärferes ganz tief im heimlichsten Herzen? woher
plötzlich dieses Bild, erschreckend, fremd, wie aus allerfrühester Lrinnerung,
vielleicht von Adam und Lva her, aber nun so verändert, — das Bild einer
Schlange, die einen ins Herz biß? Liner ganz kleinen, glatten, schillernden
Schlange mit funkelnden Augen, die einem ihre spitzen, giftigen Zähnchen
mitten ins Her; preßte? Liebte sie denn nicht? Dderwar es in diesem fremd
und betörend sich öffnenden Leben möglich, daß man selber im Allerinnersten
nicht wußte, ob man liebte? Heut ja — morgen nein? Mit diesen tausend
Wünschen seines Herzens ja, und mit jenen abertausend Regungen desselben
Herzens nein? — Tat sich das Leben in wenigen Tagen, in einem Tage schon
so jählings und tief vor einem auf, in welche noch dunkelnden Tiefen würde

man erst in dieser langen, langen Zukunft geführt werden? Nannte man sich
denn selbst? Nonnte man in einem solchen einzigen, leisen, aber ach, bis an
den Himmel klingenden „Za" für sich bürgen, wie sie es heute, vor Stunden,
im Angesicht aller Lrhabenheit im Hause Gottes ausgesprochen? Und was
hatte sie bis zu diesem Za geführt, so schnell, so schnell geführt, daß sie nun
etwas in sich fühlte, als müsse sie jede Minute des Alleinseins benützen, um
sich immer noch wieder zu besinnen?

Sie zog die jungen Brauen zusammen, senkte die Lider halb und hob den
Nops ein wenig. Wie rieselte dieses vogelgeflöt warm durch ihre Sinne,
wie leuchteten die Blumen. Wie hing dieser ganze, laubgedrängte Garten
an leichten Rosenketten dünner Wolken am glasig goldgrünen Himmel Und
dieses festliche, zarte, schneeweiße Nleid, das sie heute zum erstenmal trug?
Lin neues NIeid! Wieviel Ninderfeligkeit, Mädch enlust schimmerte aus diesen
Worten.

Aber nun war man klug! Za, so sagten sie es seit langem, Anita ist so
klug. Zhre Lippen lächelten flüchtig. Und deshalb mußte man denken. Zn
diesen glühenden Zwischenpausen des lebendigen, betäubenden Lebens, die
man sich fast stahl. Und nun - indes man noch so darüberhin irriichterte

— stieg immer deutlicher, unbarmherziger, schärfer dieser Gedanke auf. von
selbst, wider Willen, vor dem etwas in einem floh, fich wegbog und defsen
Worte, halb spöttisch, halb heroisch-ernst, so klangen: „List durch das, was
wir leben und tun, werden wir fähig, unser Leben und Tun zu ermessen."

— Za, so klang es. Beinahe so, als habe ein Fremder oder ein Lehrer aus
der Zugend es gesprochen und als müsse sie nun selbst erst nachgrübeln, was
das bedeute.

Zhr Gesicht spannte sich lebhaft an, sie machte mit der freien Hand eine
leichte, leidenschaftliche Bewegung, horchte jäh auf nach Stimmen, die vom
Hause her klangen. •— Za, der Schritt erst, den man getan, führte einen
dorthin, wo man Ausblick gewann, Ausblick in die Wirklichkeit, in sich selber,
auf die Anderen. Den Schritt selber tat man so träumend, so ln hold- un-
ruhiger Dumpfheit. Und nun fuhr, blendend wie ein Blitz, heiß, hell, herr-
lich, etwas durch fie nieder, was sie noch nie gefühlt: etwas, wofür kaum
sich Worte einstellten, aber so wirklich! So ganz wahr, durch und durch!
D Wahrheit — ja so konnte man es nennen — reinste, herrlichste, einsamste
Wahrheit, die man nur bei sich selber fand! Linsamkeit! Za dies war das
richtigere wort! Dieses hellblitzende Ltwas hieß: Zch bin allein mit mir!
Allein mit Dir, mein Zch! Rätselhaft Doppeltes: Du Zch! Wunder ohne-
gleichen, daß ich zu mir selber reden kann, Freund sein mit mir selber,
Schwester meiner selber, — auch dämmrig Bruder meiner selber! D und
nun strahlte das aus tiefster Znnerlichkeit hervor: Dies war die Liebe! So
mußte man lieben! Den allein konnte man lieben, zu dem man so „Bruder"
sagen konnte, wie man zu sich selbst „Schwester" sagte! (!) d a n n gab es kein
„zu schnell", dann schoß alles, aus Nindheit und Mädchenstille, fröhlich,
tanzend, hüpfend jubelnd herbei, von Anbeginn und Lwigkeit diesem Zähen,
diesem Blitz, dieser Helligkeit vertraut, alle Zeit schmolz dahin, alle Fragen
schmolzen dahin, Leib und Seele wurden eins! So — so war Liebe! —

Der Strahl erlosch. Nur die glasig-magische Abendglut stand wie ein stilles
Wasser um sie her, durch das die Vögel wie klingende Fische glitten. Und
dort leuchteten die Blumen, und hier war dieses Herz, das schlug, unter
der Hand, die man darauf legte, — 0 weh, wie scharf bissen des schillern-
den Schlängleins Zähne sich darin fest. — Sanft und sammetdunkel tönte
der Uhuruf von fern.

Vie junge vermählte senkte den Nops. Die Stimmen kamen näher. Sie
ließ den Birkenzweig los. wandte sich um und ging ihnen entgegen. Und
im Gehen, immer gesenkten Angesichts, stieg durch die leise Mattigkeit, die
jener Glan; in ihr hlnterlassen, die Glut aus, die sie kannte, die Glut dieser
letzten Wochen und Tage und des heutigen Tages vor allen, und der Sinn
dieses aufdunkclnden Abends klopfte in ihrem Pulsschlag, bis sie ganz von
Röte übergossen war. (!) Wirklichkeit! Betäubende Verführerin über alle
Gedanken, über alle Stille und Linsamkeit hinweg.

Nun sprangen die Ninder. die Geschwister nnd alle die kleine Lämmer-
herde an ihr empor. Schwatzend, zwitschernd, berauscht vom Ungewöhn-
lichen, von den Hellen Festkleidern, den Blumen, dem Abendlicht, dem großen
Unbegriffenen, süß Geheimnisvollen, ln dessen holder Mitte sie herumhüpsten.

90
Register
Hans Reisiger: Prima Vera
 
Annotationen