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ICH TRAGE DEN SCHWARZEN KIMONO ...

DIE MÄDCHEN

Ich trage den schwarzen Kimono,
wenn ich euch treffe.

Meine Hände könnt chr nicht setzen,
und an meinen Fußspitzen Gängen
Narrenglöckchen

Ich habe meineLippen blaß geschminkt,
und die Schlitze über meinen Augen
sind rot umnäht.

Manchmal erschreckt euch mein Blick,
Ich friere

und ziehe den Mantel von innen
fester an mich.

Wenn aber die Nacht kommt,
steige ich leise, leise,
auf eueren Turm,

vorüber da, wo ihr schlaft,

Oer seidene Kimono gleitet von mir
wie eine Haut,

Ich habe Menschenhände
Und Weibesfüße,

Mein Leib ist hell

und in einem Netz von hellblauen Adern
ruhen meine Brüste
Meine Augen brennen,
und mein Mund brennt,
und mein Haar ist kurz, wie Flammen,
Ich stelle meinen Fuß auf eine silberne
Sternschnuppe,
die vorüberkommt,
und fliege!

Wir musicn immer winken und verlocken.

Wir müsien lächeln,seil wir lächeln können.

Wir schweben wegloS, wie die leictzten
Flocken,

Wie müsien sehn wie eure Munde
brennen

und dürfen eure Blicke nicht verlieren,

Drum können wir des Weges niemals
achten

Wir sind verführt und meinen selbst
zu führen.

Aber plötzlich umfängt uns eure Kraft,

Wir stehn bestürzt und tief in Scham
und Bangen,

Wir wußten nicht, daß wir so weit
gegangen,

und daß wir lächelnd schon so viel
verhießen

und sind zu kleine, zärtliche Gewissen,
um auSzubrechen aus der harten Haft.

Wir lasten, was ihr wild verlangt,
geschehen

und glauben unkerGottesFluchzustehen
und fühlen uns wie einen Widerspruch,
Wir lauschen weinend dem geheimen
Willen,

und ahnen, wie wir langsam uns
und Frauen werden. ^erfüllen

Gedichte von Marianne Bruno

BRUTGESCHÄFTE

Don A, M. Frey

Professor Laukenschlag, durch ein Beinleiden seiner Studierklause entzogen,
sah mit Grimm einer längeren Bettruhe, ärztlich verordnet, entgegen. Mit
besonderem Grimm auf sich selbst und die Unsinnigkeit seines Benehmens
in diesen Karneoaltagen, die ihn buchstäblich zu Fall gebracht hatten Denn
es war ihm nicht erspart geblieben, sich in den besessenen Reigen Derer
Hineinwirbeln zu lassen, die nachtnächtlich aus allen Faschingsbällen den
Tuckheiquiabumtanz, choreographische Ausgeburt der Groteske, aus ihrem
SiegeSzug um die Erde, tanzten. Tuckheiquiabum, aus 'S genaueste den
irrsinnig anmutenöen Sprüngen stundenlang hochhüpsender Hühnervölker
des australischen Busches abgelauscht, verlangte federnde Stahlsehnen und
knappste Garderobe zwecks schrankenloser Bewegungsfreiheit,

sAls Folge dieser unerbittlichen Tanzforderung schufen übrigens die
Damen für diese Saison eine Mode, wie sie noch kein Säkulum erlebt
hatte: man ließ das Haupthaar lang herabwallen — der Friseur machte das
schon — und drapierte hiermit die Schamgegend, Außer einem Paar Stöckel-
schuhe war dies Alles, Spitzen, Sammet und Seide, Litzen, Duasten und
Knöpfe gehörten zur guten alten Zeit, Die Fabrikanten, die Schneiderinnen
verzweifelten und stellten sich um auf Haupthaarsabrikation: rascheste Züch-
tung durch zweckentsprechende Reizung der Pelzwurzeln, auf schwarzen,
blonden, roten, weißen Riesenkaninchen,)

Knappste Bekleidung, der auch die Herren in schillernden Seidentrikot-
höschen nachkamen Laban Lautenschlag aber war als römischer Senator
erschienen, hatte die kräftig klatschende Sandale mit
Syndetikon an der Fußsohle befestigt sdenn die kreuz-
weise Verschnürung wollte nicht halten), war um-
rauscht vom wuchernden Faltenwurf der Toga und
trug ins fünfzigjährige Lockenhaupt gedrückt den
Lorbeerkranz. Bemühte sich so um die Sprünge des
Tuckheiquiabum, erzeugte Dampf und Hitze aug sich,
die ihrerseits den Sanöalenklebstosf weich machten,
verlor die Fußbekleidung, pappte, aus dem Lustsprung
zurücksallenö, einen Augenblick mit nackter Sohle am
Saalboden und kippte dann, im Schwung nach vorn
und dennoch festgeleimt, aus sein Angesicht, Renkte
sich hierbei knackend beide Knöchel aus und mußte
als Opfer unangebrachter Lüste von hinnen getragen
iverden.

Nun lag er leise leidend in seinem Bett, beide Füße
so uninäßig mit Binden umwunden und zu Elesanten-
klnmpen umgestaltet, daß er zweifelte, ob sich nicht
schon hinter ihnen wahre Elephantiasis entwickelte.

Lag, von diesem bohrenden Bedenken abgesehen,
untätig und langweilte sich. Drei Wochen hatte ihm
der schadenstohe Arzt in Aussicht gestellt. — Bis
dahin wird der verruchte Karneval zu Ende sein, —

Gottlob, keine nochmalige Verführung! Aber irgendwie mußte doch diese
Wartezeit, bis er wieder an feine Experimentiertische herankonnte, auSge-
süllt werden. Drei Wochen, einundzwanzig Tage, , , . Wie — ? Einund-
zwanzig Tage? ! Diese Zahl brachte ihn in Berührung mit Studien, ab-
gebrochen durch seinen beklagenswerten Unfall Studien über Entwicklung
und Bebrütung des Hühnereis bis zum Kükenprodukt. Das Problem war:
Ließ sich embryonales Dasein, das die Entwicklung in Harker Kalkeischale
durchlief, beeinsiussen durch Wärme, Düste und Dünste andersgearteter
Wesen als der natürlichen Mutter? Mußte ein Hühnerei vom Huhn be-
brütet werden, um vollkräftige Hühnlein in'g Dasein zu schicken? Was
geschah, wenn Hühnereier der Blut- und in unserem Falle: Bruthitze einer
Tigerin untergesetzt wurden, oder in den durchwärmten Bauchbeutel eines
Känguruhs für drei Wochen wanderten — oder dem bestrahlenden Dunst
eines Elefantenweibchens anvertraut werden könnten? Könnten! Denn
all diese Versuche ließen sich ja bei dem Unverstand der dazu nötigen Teil-
nehmerinnen, die jedenfalls nicht behutsam genug mit den Eiern umge-
gangen wären, keineswegs durchführen. Hätten zum Beispiel die Küken
des Elefantenweibchens — wenn auch nur in ihrer Psyche — etwas
Elefantisthes aufgezeigt? Das Hühnlein der Tigerin irgendwie etwas Raub-
tierhafteS? — Äußerst interessantes Problem! Es ist erwiesen, daß die
Mcnschenamme dem Säugling eigene Eigenschaften vererbt, — hier beim
Vogeldotter wurde die Ammenmilch gewissermaßen vertreten durch Blut-
wärme irgend eines Tieres — eben der Vogelamme.
Allst) auch hier jedenfalls Beeinsinssting? Beein-
flussung, die sich vielleicht erst zeigt in fortgesetzten
zielsicheren Experimenten, Immer wieder diene —
unermüdlich diene in einer Kette von Züchtungen die
Tigerin als Vogelamme Dann werden wir — nach
zwanzig Generationen — einmal sehen, welche An-
näherung an TigerhasteS sich vollzogen hat. Aber
ach! — Tigerin als Bruthenne i niemals wird es
glücken. —

Ist es erstaunlich, daß Professor Lautenschlag,
den der Karneval geliefert hakte, sich entschloß, seine
Unregsamkeit, seine ins Bett versammelte Körper-
wärme dahin auSzunutzen, Hühnereier zu bebrüten?
— Er machte sich sofort daran. Kein Tag, sagte
er sich, ist zu verlieren, denn wenn schon die Glucke
einundzwanzig Tage sitzt, brauche ich gewiß so lange
bei meiner — eg ist wahr! — ein wenig vorhan-
denen Umständlichkeit.

Seine Frau mußte alsogleich stischcfle Eier vom
Markte holen. Das erste Gelege nun freilich mißlang
bereits in der ersten Stunde, denn obwohl er sich
so sachte wie möglich daraus nieöerließ und dauernd

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Register
Marianne Bruns: Ich trage den schwarzen Kimono
Marianne Bruns: Die Mädchen
Alexander Moritz Frey: Brutgeschäfte
Paul Rieth: Schlüsselloch
 
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