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Richard Rost (München

N^ABUM 16» AUF DEN FILMBALL
MÖCHTE

Selbst wenn ich zu den ältesten Leuten gehörte, würde
ich mich kaum erinnern, je ein dümmeres Gesicht gesehen
zu haben als das meinige in jenem geldhistorischen Mo-
ment, da der Dollar, durch das drohende Moratorium
erschreckt, auf die beschämende Tiefe von etwa 15o Pa-
piermack herabgestürzt und damit zugleich die einzige
notleidende Privatbahnaktie, die ich doch mit ausge-
sprochener Gewinnabsicht für den Platinweckerlös aus
einigen im Familienbesitz befindlichen Stiftzähnen gerade
noch zum Höchstkurs von 199,9 erworben hatte, auf
weniges über Pari nachgefunken war.

Nicht nur mein Lieblingswunfch, aus dem Vermö-
genszuwachs ein Okonomiegut mit Käserei in bester
Algäuer Milchgegend zu erstehen, war vereitelt, sondern
auch der angesichts der unsichern Macktlage geplante
Ankauf eines über den laufenden Bedach hinausgehen-
den Kartostclvorrats in Höhe mindestens eines halben
Zentners.

Heldentum ist nach Fontane meist Produkt einer
Zwangslage!

Nach wiedergewonnener Fassung veckauste ich also,
ohne weiter mit der Wimper zu zucken, den trügerischen
Anteilschein und erwarb für das lachende Bargeld fünfzig
Bogen Kanzlei, um sie mit einem Film-Manuskript zu
bedecken. Das war nämlich, wie mir ein den hervor-
ragendsten Filmstatistinnen nahestehender Freund ver-
sicheck hatte, außer der Böche der einzige gesetzlich er-
laubte Weg zu ebenso plötzlichem als märchenhaftem
Reichtum. Die Hauptsache sei, dein Sensationshunger
des Publikums bis an die Grenze des Möglichen ent-
gegenzukommen.

Ich erfüllte die Forderung dadurch, daß ich den Dieb
einer diamantenen Strumpfbandschnalle auf der Flucht

DER CHAUFFEUR

„Wenn der liebe Jott 's 1 00 Kilometer-
Tempo jeahnt hätte, nachher hätt' e> die
Welt jrößer jemacht."

vor dem Detektiv nicht nur per Auto den obersten Gipfel
des Mt. Everest passieren, einer altindischen Witwen-
verbrennung beiwohnen und in der Kongogegend das
Auffressen seines Chausteurs durch Kannibalen miterleben,
sondern auch den Schleier lüften ließ, der sich anfangs
über die Blutsverwandtschaft des Aufgestefsenen mit
der Verbrannten und dem Kannibalenhäuptling ge-
breitet hatte.

Die „Sefi" (—Sensations-Film-Industrie) fand
das Stück vorzüglich, konnte es aber nicht mehr an-
nehmen, da sie sich, dem seit kurzem geläuterten Ge-
schmack der Kritik folgend, auf ein anderes Spezial-
gebiet geworfen hatte und unter dem neuen Namen
„Hilda" (— Historische Lichtfpiel - Dramen - Aktien-
gesellschaft) nur mehr gediegene Geschichtsromane ver-
silmen wollte.

Ich verstand den Wink und arbeitete das Manu-
skript in der Weife um, daß die Handlung ins frühe
Mittelalter verlegt und der Schleier, statt gelüstet zu
werden, von einer frommen Witwe genommen wurde.
Das optierte Weck konnte ich leider erst in dem Augen-
blicke zur „Hilda" bringen, als sie eben ihr Schild mit
Rücksicht auf das durch die neue Verschlimmerung der
Zeitläufte geföröecke Erheiterungsbedürfnis des Volkes
in „Lulll" (— Licht- und Lustspiel-Union) übermalen
ließ. Denn nur, wer ein gutes Lustspiel herauSbriuge,
könne augenblicklich auf Boinbenerfolg rechnen.

Nichts einfacher! Statt der Frommen führte ich jetzt
die „lustige Witwe" als Episode ein. Die Kanuibalen-
szene konnte bleiben, da Meuscheustefserei ja von vorn-
herein nie eines gewissen koiiiifchen Beigeschinacks entbehrt.

Der Regisseur der „Lulu" war enzückt. So und nicht
anders hatte er sich einen neuen Schlager vorgeüellt.
Schade, daß sich die Sache insofern nicht mehr reiitierte,
als das heurige Jahr im Zeichen von Oberammergau
stehe und ein Filin, der nicht mindestens im bagei ifcheu

1922 / J U G E N D Nr. 4 * Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehmen

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Gelja: Warum ich auf den Filmball möchte
Richard Rost: Der Chauffeur
 
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