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DER
EWIGE
SEEHUND

Von Carl D. £eterfen

Es war zu verschö-
nen Zeit, als Holm und
ich in den Schären von
Gothenburg lagen, um
Seevögel zu schießen.

Wir wohnten wie stets
bei Fredrik auf Hanö

— ein großer Fischer
und Seefahrer vor
dem Herrn und ein
ebenso großer Auf-
schneider, ein guter
Kamerad und Wirt

— besonders wenn er
Leute bei sich hatte, die
ordentliches „Zeug"
milbrachten. — Das
„Zeug" mußte am
liebsten und vor al-
lem hauptsächlichst auf
Flaschen gefüllt sein,
dann konnte es noch
in Tabak und Konser-
venbüchsen bestehen,
und gegen Kaffee hatte
er auch nichts einzu-
wenden. Den letzteren
trank er stets aus einem
Glase: „Ich weißnicht,
sagte er, „wozu der
der Henkel — wir sind
doch mit Flasche und
Glas aufgezogen wor-
den."

Holm und ich hat-
ten bereits viele schöne
Iagdtage hinter uns

— bei dem feinsten
Wetter waren wir von

einer zu der anderen Felseninsel gesegelt und jeden Abend naß und
müde mit dem Boote voller Seevögel heimgekehrt. — Seit gestern aber
war das Wetter umgeschlagen, der Wind lag hart von der Nordsee
her über den kahlen, blankgeschliffenen Steininseln, und heute ging ein
rauchender Orkan.

Das Haus vom Fredrik stand auch gar zu exponiert auf dem Felsen,
und in unserem Zimmer, das gegen die Wetterseite lag, war es nicht
zum aushalten. Daher saßen wir heute Abend bei Fredrik in der Küche
drin. Es war hell und warm, der Herd glühte nur so von all dem Zug,
der um und über uns mit unermeßlich vielen pferdekrästen hinzog. Von
Zeit zu Zeit, wenn der Sturm seine richtigen Ansätze machte, hatten
wir das Gefühl, als drehe sich das ganze Haus wie ein Karussell mit
dem auf den Felsen gemauerten Kamin als Achse. Als ich zum Fenster
hinausschaute, war es nicht die dunkle Nacht und der rasende Sturm,
die uns umgaben, sondern es wirkte eher als ein fürchterlicher schwarzer
Strom, in dem wir rettungslos dahintrieben. Denk, wenn die kleinen,
blanken Scheiben nachgeben und die unheimliche Flut hkneinquellen
würde! Wenn das Fensterkreuz zusammenbräche, und das Licht und
alle unsere Habseligkeiten in schwarzer Tinte ertränken, und wir uns um
die Gegenstände, die einigermaßen als NcttungSplanken dienen könnten,
raufen müßten! Aber noch war alles Friede und Helligkeit. Der Kaffee-
keffel brodelte auf dem Herd und die Hängelampe schaukelte gemütlich
wie in einer Kajüte auf offener See. Ts war wie ein kleines Fest

— ein Weihnachts-
fest oder so etwas -
es Härte aber auch
ein Fest am letzten
Tage der Welt sein
können.

Während nun al-
les draußen tobte und
raste, und Holm die
Beefsteaks von den
Eidergans - Brüsten
klopfte — kam der
Seehund. Aber nicht
mit der Flut zum Fen-
ster herein, sondern in
Form einer Erzählung
des Fredrik. Ich hatte
schon lange gemerkt,
daß Holm mit Fredrik
etwas vorhatte - wie
er ihm zublinzelte und
freundlichst mit dem
Ellenbogen in dieSei-
te stieß — wie er eine
außerordentliche Be-
sorgniß an den Tag
legte, daß Fredriks
Glas, trotz des fleißi-
gen Zutrinkens, nicht
leer blieb. Aber Fred-
rik war schwer in Be-
wegung zu bringen.
Er fing wohl an —
setzte aber gleich wie-
der ab und verneigte
und entschuldigte sich
nach allen Seiten über
die Anmaßung, eine
so alberne Geschichte
ernstlich vortragcn zu
wollen. Erst als die
Eidergans-Beefsteaks
mit vielen Schnäpsen
begrüßt und mit eben-
so vielen begleitet wa-
ren, und der Kaffee zum zweiten Male auf dem Tisch stand, kam er
in Schwung und gab uns ungefähr Nachstehendes zum besten:

Da war nun einer von den Hanöer — also einer von Fredriks
eigenen Leuten — der bucklige Ludwig. So ganz bucklig war er ja nicht,
aber doch so — wie man sagt — verwachsen. Er stellte auch nicht seinen
Mann als richtiger Fischer, sondern trieb sich mit Jägerei, Aushilfe-
arbeiten und dergleichen herum. — Dieser hatte eines Abends einen
Seehund draußen bei den Blendschären geschossen. Das Tier lag auf
einem der blanken Felsen, und er hatte den Schuß vom Boot aus gut
angebracht. Es rollte von dem Stein ins Wasser hinab, und Ludwig
ruderte geschwind heran, damit es nicht, wie in so vielen Fällen, ver-
sinken würde. Er kriegte es auch rechtzeitig mit seiner kleinen Harpune,
zog es ins Boot und begab sich nach Hause. Der Widerschein des ver-
schwindenden Tages stand als ein langer roter Fetzen am Wcsthimmel,
und jede Welle, jede Bewegung des Meeres gab ihn mit kupfernem
Glanz zurück Und Ludwig ruderte — kn seinem stillen Sinn bereichert
und befriedigt — und freute sich des ruhigen schönen Abends. Da sah
er plötzlich aus den Wellen etwas hinter dem Boote auftauchen und
still und leise nachschwimmen. Ludwig schaute. Es war ein kleiner, blan-
ker Kopf mit zwei großen schwarzen Augen, die ihn unablässig ver-
folgten. Es mag ihm wohl etwas wunderlich vorgekommen sein — und
ich kann mir wohl denken, daß es ihm in der Stille und Einsamkeit ein
wenig unheimlich zu Mule wurde. War es vielleicht der Geist des toten

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Carl Olof Petersen: Der ewige Seehund
Carl Olof Petersen: Holzschnitt
 
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