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«ESPEKSTER RATER SICH

licn A. M. Frey

Auf der uiigepsiasterten Straße einer Vorstadt — im Winkel, den zwei
Häuserwänöe schufen — weilten sie beieinander. Angängig, zu sagen, daß
sie beieinander saßen. Der Geist August wenigstens hatte eine kleine Mulde
in den Sand gewirbelt und verharrte bequemer darin als die anderen auf
dem platten Boden, dem sie irgendwie anzuhaften bemüht sein mußten.
Erfreulicherweise brütete die Sonne windstill hernieder.

Windstill. Aber jeder Irdische kennt diese plötzlich ausschießenden kleinen
Wirbel in Straßenwinkeln, die welke Blätter und Papierstücke rundum
tanzen lassen. Plötzlich ist wieder Ruhe, und das Blakt aus dem Schreib-
heft, in das ein tolles Leben gefahren schien, fällt tot zurück. Du trittst
heran und liest eine verwaschene Zeile: „Guten Morgen, schöne Mül-
lerin!" — Wie, wer begrüßt dich da? Wer wünscht dir einen guten
Morgen? — Dies alles wäre sehr unheimlich, wenn cs nicht am Hellen
Tage geschähe, und wenn der Blätterwirbel nicht einein gefügigen Winde
zugeschrieben würde, den man einfach für solche Fälle herbeikommcm-
öiert, unkritisch und denkfaul aus einem heitersten Himmel, den kein Lüft-
chen bewegt. — Und die Mulden im Sand? — Ach, die haben die
Hühner ausgescharrt, um Staubbäder zu nehmen! — Und man über-
zeugt sich gar nicht erst, ob Hühner zugegen sind, ob solche über-
haupt im weiten Umkreis ihr kopfruck- und kratzgackernöes Dasein führen.

Wahrlich, nein! Der Geist August lehrt, daß diese Erscheinungen von
Wirbel und Mulde andere Ursachen haben, als der Mensch von Fleisch
und Bein will und glaubt. — „Unerfreuliche Zeiten," begann Kleora Pak
die harmlos raschelnde Unterhaltung.

Herr Huber, wär' er vorübergewandelt,
hätte leichtsinnig vermeint, es knistere so
das Hausgestein im Sonnenbrand, ob-
wohl es unsinnig ist, zu vermuten, irgend
festgefügte Ziegel knisterten je. Knackt
aber das Holz eines Schrankes höchst
natürlich in der Nacht, so fährt er zu-
sammen, lauscht wachsenden Ohres und
zerbricht sich den Kops, was da wohl
vor sich gehe. So spielt das böse Ge-
wissen, schlafend bei Tage, den Men-
schen angstschweißtreibende Streiche. Und
das gute Gewissen, das einen Ziegelstein
als Geknister niemals hingehen lassen
könnte, das schläft imnier.

„Unerfreuliche Zeiten," wiederholte
Kleora. „Schrecklich, wie sehr die spiri-
tistischen Zirkel überhanönehmen." Kleora
Pat hieß wahrheitsgemäß LeonoraPatin,
aber sie nannte sich, wurde sie zitiert, mit
dem falschen Namen, um an Kleopatra
zu erinnern und die Vermutung, ja die
Gewißheit wachzurufeu, sie sei der Geist
jener berückenden ägyptischen Königin.

Daß sie in Manifestationen sächsisch
buchstabierte, weckte keinen Zweifel bei
den Gläubigen.

„Man hat zu tun," bestätigte Salo-
mon, der sich für den großen Justiz-
beamten des alten Testamentes unum-
wunden ausgab. Von den Geistern
glaubte ihm niemand, aber man schonte
ihn in seinen Kreisen und sagte ihm nicht
inS hauchgesormte Angesicht, daß man
ihn für den Kaufmann Salomon hielt,
verblichen am neunten Juni, Tegernseer-
landstraße zweiundöreißig. Man ließ ihm
die Marotte hingehen; Geister sind
duldsam.

„Wie? Man hat zu tun?!" wieder-

holte August in der Mulde aufgebracht, und Wirbelchen entstanden, weil
er sich ärgerlich tiefer wühlte. „Man hat nicht nur zu tun — inan weiß
gar nicht mehr aus und ein! I» der vergangenen Nacht bin ich sieben-
undvierzigmal auf achlunddreißig verschiedenen schwebenden Kreuzen
gesessen."

Lahebü mischte sich ein. Er hob, zum Zeichen, daß er etwas bemerken
wolle, den dreifach langen Zeigesinger, der in der Sonne durchsichtig zit-
terte, wie aussteigende, erhitzte Luft. Der Geist Lahebü war das Ergebnis
der Verschmelzung dreier Menschen, die in den ParoxySmen eines Tanz-
turniers ihre Seelen unlöslich ineinander geschlungen und schließlich, irdi-
sches Leben endigend, im äußersten Wettkampf sich aus sich selbst heraus-
getobt hatten.

,Man muß eben nicht nur arbeiten," sagte Lahebü lächelnd, und es
lächelten bei ihm drei Gesichter in einen,; es war, als quirle verschieden-
farbiger Dunst durcheinander. Herr Huber, wär' er vorbeigewandert, hätte
sich eingeredet, hier schwebe der wegglimmende Zigarrenrauch eines hin-
geworfenen Stummels blau und grau mitten in der Sonne. — „Nicht
mir arbeiten, sondern seine Arbeit kurzweilig zu gestalten wissen."

„Wie das?" fragte knapp Friedrich Zell, der sehr schweigsam war und
nicht beliebt bei den Irdischen ivegcn seiner Hartgeistigkeit.

Lahebü wogte durcheinander und sprach: „Man ist unterhaltend um
der eigenen Unterhaltung willen Man folgt nicht brav den Wünschen der
Leiblichen. Mag sein, daß ich, dreifach durchgeistet, besonders dafür ge-
schaffen bin. In mir ist Widersetzliches
genug. Jede Sitzung, die um mich her-
um abgesessen wird, verläuft stürmisch."

„Was unternehmen Sie zuni Bei-
spiel," erkundigte sich Kleora, nestelte in
der einstigen Gegend eines einstigen
HaarknotenS und tat, als spiele sie niit
der Schlange der Ägypterin.

Zur Antwort faltete Lahebü sein drei-
faches Wesen in Einzelgeister auseinan-
der — und schon befehdeten sie sich.

La, der früher Lappel hieß, brachte
heftig hervor: „So ist das Turnier nicht
zu gewinnen! Flinker, mehr Hingebung
der Glieder!"

„Niemals Hingebung!" widersetzte
sich Fräulein He, im totgetanzten Leben
Helga gerufen. „Wofiir halten Sie
mich!"

„Nicht siinker, aber zarter!" schrie
Bü dazwischen. Oh, dies Geschrei klang
irdischen Ohren nur wie ein hochzirpen-
derGrillenflügel. „Nicht leiblich — seelisch
unbegrenzter, bunter, flutender! Inso-
weit volle Hingabe!" — Büchmann
war Schaufensterdekorateur gewesen.

Lahebü faltete sich wieder zusanimen
und lächelte sein Lächeln. „Seht ihr,"
sagte er, „so wird die Sache unterhal-
tender. Wenn ich dreifach in der Sitzung
erscheine, wenn ich mich auf eines dieser
Kreuze oder siderischen Pendel, auf ein
Tischlein oder auf eine dieser Planchettcn
nieöerhocke zwischen die allabendlich in
Deutschland nun tausendfach hingestreck-
ten Fingerspitzen, die uns herbeikitzeln,
— immer weiß ich, was zu tun ist. Ich
nehme die Spaltung meiner Dreieinig-
keit vor — und gleich raufen wir uns
darum, den Irdischen Mitteilungen zu
mache'.. So haben wirunserSpäßchen."

I» II

O diese Zeit des stürmenden Ungemachs,
dies Zerren und Schlingen.

Reißen und Ringen,

dies Schultern des unbehüteten Dachs!

In heißen, m asten durch g ierten Sälen

steht einer da und schreit

mit krampfigem Quälen

in Proletarierhirne die Wut der Zeit —

und schnellt Wort an Wort.

wie Pfeile gedrängt,

gegen einen Sebastiansleib, der dort

gepfählt und zerrissen in Qualm und Bierdunst hängt. . .

Du aber, den sie meinen

und höhnend verweisen,

Du irrst in ihrem Spotte mit leisen,
nahenden Tritten und stockendem Weinen.

Und wie sic auch wehren mir Rede und Hand:

Du bist, Du bist — in ihrem Widerstand!

Sie aber wissen es nicht, die Dich verfluchen,
daß sie Dich suchen,

irgendwo draußen — in Revolution —
in schmetternden Liedern und lechzenden Fahnen:
und ist doch ihr Hohn
ein unbcgrifsenes, würgendes Ahnen.

Sic bauen um Dich den Wall der Parteien
und brüllen die Internationale:

Du aber wandelst durch ihre Reihen
unhörbar im verrufensten Lokale.

Du steigst wie Frü hling ssafr in rissiger Rinde
und bereitest Dich im bewußtlosen Kinde,
das sich der Frau dort unter dem Herzen regt,

Und während die tobt: „Schlagt ihnen die Knochen
entzwei!"

weiß sie nicht, wen sie im Blute trägt

und daß Du bist — Du bist — in ihrem Schrei!

Ernst Ludwig Echciienberg

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Register
Alexander Moritz Frey: Gespenster unter sich
Ernst Ludwig Schellenberg: Du
 
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