Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
I E

O T T I Ii

Do» M. DIT. Gehrke

rTTnrf) jenem JBinfer, in fern mein 511m ersten Mal eine seiner Sonaten
für Klavier und Rioline — op. 14, 9tr. 2 — öffentlich gespielt hatte,
wohnte dev junge Friedrich zu Rom in einem sechs Stockwerk hohen Haus
des Ouaitiere Ludovisi, in einem großen, heißen, öden Dachzimmer. Am
Morgen nach der ersten Narht, die er dort geschlafen hatte, weckte ihn
gegen acht Uhr eine Stimme, Die aus dem schmalen Hölleiifchlund der
Straße klagend zu seiner Höhe geklettert kam Erst war sie fern und dumpf,
kam dann näher und hielt endlich für Minuten am Fuß des Hauses, in
dessen Kopfgefchoß Herr Friedrich sich eiiigenistet hatte

Es war eine Männerstimme, die Stimme eines vielleicht Vierzigjährigen,
und sie wiederholte in kleinen Abständen, aber immer wieder und unauf-
hörlich, ein Wort, einen Namen: Ottilie! Sie tat es mit einem Ruf, der
zum Schrei wurde, zu einem Laut des hallenden Jammers, der das Herz
durchfchnitt. Sie fetzte dunkel klagend ein und brach auf dem ersten I in
einem Schluchzen ab, das an die Bajazzoträne des unvergleichlichen Caruso
erinnerte. Sie traf Friedrichs Herz wie ein Damaszeneröolch, er schnellte
auS dem Bett und bog sich entsetzt aus dem Fenster. Aber es gelang ihm
nicht, des Klagenden in der Tiefe ansichtig zu werden; nur das verzweifelte
Rufen stieg noch ein paar Mal herauf, um dann langsam in der Rirh-
tung der Villa Malta abzufchwellen.

Friedrich war ein Mensch von Empsinduug und nicht ohne Phantasie;
während des ganzen Tages, da er arbeitend an Klavier und Schreibpult
faß, summten um ihn die drei schluchzenden Töne: Ottilie. Vielleicht hätte
er ihrer über Nacht vergessen, wenn nicht am nächsten Morgen eine Wieder-
holung des seltsamen Vorgangs geschehen wäre, und so am dritten, am
vierten Tage, ohne daß es Friedrich unter äußerster Lebensgefahr des
HinausbeugenS anderes als die irr in die
Luft gereckten Arme des Rufenden zu sehe»
gelungen wäre. Ihm eigene, scheue Zurück-
haltung hinderte den jungen Musiker min-
dest ebenso sehr wie seine mehr als mangel-
hafte Kenntnis der italienischen Sprache,
bei der schivatzhaften Wirtin Erkundigungen
über das Schicksal des mutmaßlich Wahn-
sinnigen eiuzuziehen, und die gleiche Scheu
verbot ihm, als einem von stemder Tragö-
die geheimnisvoll Gestreiften, frühmorgens
auf der Sttaße den Irren abzuwarten und
ihm fein Geheimnis von unverhüllter Sürn
zu reißen. Überdies lag Friedrich gern lange
zu Bett.

Aber die Stimme kehrte wieder, manch-
mal fehlte sie ein paar Tage, dann erklang
sie neu in gedoppeltem Jammer, und nun
erfand der Hörer selbst ihrer Klage das
Schicksal, die Ursache: maßloser Schmerz
eines maßlos Liebenden, eines einfachen
Mannes, für den nach dem Verlust der
Geliebten kein Ausweg blieb als Wahnsinn
und Sprachkraft zu keinem anderen Wort
mehr als zum Namen der Verlorenen. War
sie tot, hatte sie ihn verlassen? War natür-
liche Krankheit oder sinnloser Uuglücksfall
ihres Lebens Ende gewesen? Oder hatte sie
nur, heiß und leichtsinnig, einem Liebhaber
sich ergeben und ftir ihn die übergroße Liebe
deS Gatten verraten? War sie am Ende eine
nur Ersehnte, nie Besessene, die zu erringen
keine Hofsiiuug ist?

Der junge Friedrich wußte keine Aukwott
auf diese Fragen. Aber da sie in feinem Hirn
nagten »nie Die Stimme an feinem Ohr,
schuf er sich eines Tages die Antwort; er
schuf sie in Tönen, in Arien süßer Sehn-

sucht, Duetten verzweifelten Trennungsschmerzes, in den Stürmen einer
düsteren und gewaltige» Ouvertüre und in einem milde weinenden Finale Er
schrieb sein erstes großes Weck, seine Oper, er hatte einen Librettisten zuii,
Freund, der ihm die Fabel so formte, wie er's dunkel wollte, ahnte,
haben mußte.

Die Oper hieß „Ottilie". Als sie vollendet war, zog Friedrich frohen
Herzeus fock von Rom, des Erfolgs gewiß. Eeii.e Zuversicht ward „och
übertroffen' Ottilie brachte ihm Lorbeeren und Gold in ungeahnter Rumge.
Sei» Ruf war geschaffen, sein Geschick gesichert; Kritik und Publikum
lag dein großen Säuger der verlorenen Liebe" blind zu F»,ze». Das
schönste und reichste Mädchen seiner Heimatstadt verliebte ,ich in ihn, als
sie in Berlin ihn fein Werk dirigieren hörte. Sie ward seine Frau und
brachte ihm sieben Millionen mit. Dag erste Kind, schon im eigenen
Schloß geboren, war ein Mädchen, das den Namen Ottilie erhielt.

Friedrich lebte lange, reich und glücklich, hatte viele Kinder und schrieb
noch viele Wecke; aber keines ftellich erreichte mehr die Kraft und Süße
jener Jugendoper. Die bittere EckenntuiS dieses Stillstands, ja Rückjchritts,
gegen die er sich lange wehrte, blieb ihm dennoch an feinem Lebensende

nicht erfpack. .

Eg trar bei ©deqmf)df fdiu’ö jicbgigftcii (Geburtstags, un i.re Hemmt-

stadt durch eine Neueinstudierung der „Ottilie" feiern wollte. Friedrich
hatte das ihi» für den Festabend ehrend augettageue Amt des Diri-
genten abgelehnt; allein und nur Eingeweihten erkennbar, hielt er sich im
Hintergrund der kleinen Jnteuöanteuloge, während feine Familie, ein Ziel
der Operngläser, geschmückte Ehrenplätze im Balkvi, inne hatte. Am Kapell-
meisterpult waltete ein junger Wiener, eine neue und große Hoffnung der

Musikerwelt, den Friedrich selbst, von der
Intendanz unterstützt, gebeten hatte, die
„Ottilie" an diesem Abend gastiveise zu
dirigieren. Unter Leidenschaft und Willen
dieses jungen Menschen, Saltegh mit Na-
men, blühte und klang Friedrichs Weck, so
schien es diesem selbst, wie nie zuvor. Eg
horchte der Komponist, als habe nicht er
diese Töne gesunden, sondern ein anderer,
ein unbegreifliches Genie. LI11D während sie
an dei» vorgebeugt Lauschenden vorüber-
sangen, hörte dieser wie eine quälende Be-
gleitung alles andere, was er geschrieben
hatte, all die Partituren, die Stückwerk
waren. Er legte den alten Kops in die Hände,
seine Augen blieben trocken: nichts, nichts
hatte er geschaffen, außer diesem einen
Werk. Genügte das nichi? Nein, nein! Es
war ja iiicht fein Eigen, es tvar die arme
Seele jenes römischen Irren, die er ge-
stohlen und in Töne umgegoffen hatte. . .

Friedrich konnte sich dem Bankett nicht
entziehen, das der Vorstellung folgte. Aber
er schwieg versunken, aß mechanisch und
viel und vernachlässigte die reizende Frau
des Intendanten, feine Tischdame, daß
diese den immer Liebenswürdigen, Gesell-
schaftssicheren nicht wiedererkennen wollte.
Er belebte sich erst bei den Zigarren, als
Saltegh, den man ihm vorher nur flüchtig
präsentiert hatte, sich ihm, zwischen Schüch-
ternheit und Selbstbewußtseiu, näherte. Mit
der ihm eigenen Bonhomie zog Friedrich
den jungen Menschen j„ eine abseitige Ecke
und spendete glatte Worte des Dankes für
die soeben erlebte Wiedergabe seines Wer-
kes; er hatte sich wieder bewältigt. Saltegh
wehrte, er habe zu danken. Es habe nur

Der Windgott

Wind springt aus

aus dem Winkel des Waldes.

wo der greise, slaiternde Sturmvogel sitzt.

Tau wirft er

von ailen Bäumen,

Lust schasst er

mit Flügelschlagen,

bis Nachtdunst und Gramgewvlk

eilig davonstiebt,

— Und der Gott grüßt das Licht:

„Steig auf. Morgen, trage
auf stemmenden Schultern
meines Willens Geschick!

Was ich dir befehle,

du wirst es vollbringen:

wie ich dich beschenke,

wirst du dich erfüllen

Schaudern wirst du in klammer Kälte,

wenn meine Stürme dich nicht erregen,

darben wirst du in karger Leere,

Wenn meine Kräfte dich nicht begnaden —

Wogen wirst du und übersließen,

du Helle Frische des Unerlebten,

du junger Jubel des Unerproblen —

du vorwärts dringender,

kräftig anspringender,

stürmender, jagender,

brausender, wagender,

jauchzender

Tag!

Margarete Cachse

370
Register
Martha Maria Gehrke: Ottilie
Margarete Sachse: Der Windgott
 
Annotationen