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DER LANDUNGSSTEG

von Werner Alling, Graz

Graf Sünewih beschäftigte sich mit Lächeln. Lr kniff die Augen ein wenig
ein. sodaß das Monokel über nichts als gelbem Pergament schwamm, ver-
tiefte die beiden ausgcrittenen und ausgeliebten vercrbungsfalten von der
Nasenwurzel bis zu den eingetrockneten Mundwinkeln und versuchte diese
mit vergeblicher Mühe aufzuziehen. „Hähä," bemerkte er zu sich. Nramte in
seinem Wörterschah und fand noch darüberhinaus das romanersehende:
„ßabelhaft." Lr lächelte über sich, da er heute bereits p Uhr vormittags
vollkommen gebadet, rasiert, srisiert, gefrühstückt — bitte, zuvor auch an-
gekleidet - auf der Hotelterrasse wartete. Und zwar schon seit einer halben
Stunde. Autta hatte gesagt, sie würde um 8 Uhr segeln.

Lr, Sünewlh, vor dessen harmloser Waffe man in Afrika Llefanten, in
öndien Tiger, ln Tiflis dressierte Nnaben und in Tasmanien blauschwarz-
haarige Weiber zufammengetricben hatte, setzte den Wechsel dieses Wilds
auf einhalb $> Uhr fest. Trotz einer Ahncnreihe, die in Reinkultur auf Hein-
rich den Städtebauer zurückging, war er unentwegter Optimist. Und lang-
weilte sich nun sträflich. Beschäftigte sich mit Lächeln... Bog mit der rech-
ten Hand die 8>nger der linken nach unten und liest sie wieder empor-
wippen. Bls es einhalb 10 Uhr war. Da erschien Autta ln Begleitung von
8red Milton, Lgon Schulze und Dr. 8e!ngold.

wie wundervoll schlank, grost, gesund. Ganz in weist. Diese Sturmmöv e.

Sünewih vergast sein 8>ngerspiel und starrte auf die schneeige, in die
8ormen des Oberkörpers gegossene Segeljacke. „8abelhaft," seufzte er, mit
einem leisen Unterton von Resignation, als er bemerkte, daß Or. 8eingold
im Gespräch eine Sekunde lang seine beringte Hand auf Zuttas Schulter
legte und keineswegs einen verweis erhielt. Lr schloß sich an und hielt sich
zu 8red Milton, der schweigsam und hartnäckig in Auttas Spur seine ge-
waltigen und solide beschuhten 8üße durch den Sand zog.

Als die 8ischerboote in Sicht kamen, begann die Möve zu fliegen. Sie
lachte hellauf und lief den vier Begleitern davon, kleine Wellenzungen über-
springend. Die Arme weit und glücklich ausgeschwungen, als wolle sie sich
aufschwingen in den blauen uferlosen Tag.

8red Milton erspähte etwas mehr von ihren Beinen als gewöhnlich und
setzte noch energischer, wenn auch nicht schneller, seine doppelsohligen Stiefel
der Düne auf den Nacken.

Nur Lgon Schulze besann sich seiner Mitgliedschaft im Leichtathletikklub,
preßte die Oberarme vorschriftsmäßig an den Leib, legte die 8äuste vor die
Brust und raste im Lilzugstempo ihr nach. Überholte sie, ohne sich umzu-
schauen und machte erst bei den Booten Hast,
wo er sich siegerhaft aufstellte, den keuchenden
Atem zu verbergen suchte und den Anschein
erwecken wollte, als habe er nicht mehr ge-
tan, als eine Mücke von der Hand geblasen.

Dr. 8eingold, der seinen Schritt beschleu-
nigt hatte, verachtete Schulze aus tiefstem
Herzen wegen dieser Parade trainierter Mus-
keln, lächelte ihm verbindlich zu und meinte
wohlwollend: „8amofe Leistung." Schulze
wehrte dieses Lob bescheiden ab mit einer
Geste, die eines Nönigs beim Verzicht auf den
tausendjährig angestammten Thron würdig
gewesen wäre.

Autta unterhandelte indessen mit Nloas,
dem jungen, flachshaarigcn Schiffer. Sein
Boot war schlanker gebaut wie die meisten
anderen, und er segelte kühner wie seine be-
dächtigen, priemkauenden Genossen mit den
verwitterten, gutmütigen Großvatergesich-
tern und den eisgrauen, zerzausten Bart-
krausen.

Man bestieg die Schwalbe. Schulze durch
Schlustsprung, 8red Milton mit demselben
gelassenen Riesenschritt, den er ungeachtet
jeglicher Ungleichheit der Bodenstruktur nie
abänderte, Dr. gcingolb, indem er sich schnell

und geschickt auf den Landungssteg setzte und sich zwei Spannen tief ln den
Bootskörper rutschen liest, um sich dann unauffällig die Nehrseite seiner
tadellosen weißen Hose abzuklopfen. Sünewih trat verlegen mit der Be-
merkung „Hähä" von einem Fuß auf den andern und konnte sich nicht ent-
schließen. seine empfindsamenBeine der schwankenden Stufe anzuvertrauen.
Bis ihn Nlaas unter dem Arm faßte und verstaute.

Autta hatte sich auf den Bordrand am Bug geschwungen und hielt sich
an dem singenden Drahtseil zwischen Nlüverbaum und Mast.

Sie beobachtete und bewunderte Nlaas, als er das große, braune, sauber-
geflickte Segel hißte, wie kraftvoll, ungekünstelt jede Bewegung. Zn dieser
Nnappheit und Sicherheit des Greifens oder Anziehens ruht etwas Vor-
nehmes. Die unbedingte Überlegenheit über den Stoff.

Nun stieß er ab und lebte nur noch für Segelleine und Steuer. Man war
bald vor dem wind.

Zartgrün schwollen die langen, sanften wogen an. Die Schwalbe warf
sich rauschend, silbrig vom §lug umsprüht, ihnen entgegen.

Autta lag halbausgestreckt auf dem Spritzwafferverdeck. Sie legte ihr
Ohr an die Planken und hörte, wie der Nörper der Schiffes vor Arbeit dem
winde zu willen zu fein und eine hastige Schaumspur in die unabsehbar
blaugrüne Stille zu pflügen stöhnte. Sle fühlte durch ihren angeschmiegten
Lech das Zittern der Spanten und das Surren des Mastes. Daran berauschte
sich ihr Blut. Zhre Augen suchten die Ferne fanden aber keinen Horizont.
Das Meer wölbte sich im Unabsehbaren in den Himmel, und die azurne
Höhe verschmolz sinkend in die Umarmung der beschwichtigten Wasser. Line
inbrünstige Umschlingung der glanzvollen, lichtseligen Unendlichkeit. Autta
empfand diese Hingabe der Wellen an den wind, des Bootes an die um-
drängende Tiefe, des sonnentrunkenen Äthers an die ruhende See wie eine
gewaltige Orgie zu Lhren ihrer nie erschöpften Sehnsucht nach Vereinigung
im Überschwang der Leidenschaft.

wie liebte sie alles Bedingungslose, ln Nraft und Wirkungssicherheit
Schweigsame, Harte, verschwenderische.

Sie sah Nlaas am Steuer sitzen. Sein junges, hartes, ernstes Gesicht
streng über dem Bug in die Ferne gerichtet, ohne daß seine hellen, klaren
Augen auch nur um eine Sekunde bei ihr verwel ten. Durch das aufgcwehte
Schifferhemd schimmerte bronzefarbcn seine hohe, breite Brust, wie um-
fpannte seine arbeitgewohnte, doch nicbt unschöne Hand das Seil! Hutta ver-
gaß allmählich wogen,Himmcl und Schiff. Nlaas hielt schweigend das Steuer.

Dr. 8c!ngold kletterte vorsichtig über die Mast-
bank und versuchte ein Gespräch. — „8amose
8 E N W E G Sache, was, Auttachen? Nischt wie Wasser.

Aber die Ausmachung, wenn ich der liebe
Gott wäre, würde ich den ganzen Nitsch an
eine 8ilmgesellschaft verpachten."

Lgon Schulze gönnte seinem Rivalen den
Triumph dieser Unterhaltung nicht. Lr turnte
elegant nach vorn und mischte sich ein. „vor
allem werden wir heute Mittag einen bären-
mäßlgen Appetit haben," stellte er hände-
reibend fest. „Salzlust," bemerkte er vervoll-
ständigend und schnupperte um sich.

„Dlle Namellen," rundete 8eingold herab-
lassend ab.

Schulze ärgerte sich. Besonders da er sich
nicht im Nlarcn war, welchen Grades die
Grobheit sein durfte, die er so gerne zurück-
geben wollte, vor Autta hätte er den Anschein
vornehmer Zurückhaltung im Zorn erwecken,
8eingold aber gleichzeitig die 8aust unter die
Nase strecken wollen. Sie aber, um die dieser
stumme, ingrimmige Streit entrüsteter Männ-
lichkeit ging, stellte sich schlafend, hatte keines
Wortes geachtet und blinzelte hinter gesenk-
ten Lidern steucrwärts. — grcb Milton saß
unverrückbar auf demselben Platz, den er zu

D E R WIE

Geschäftig eilt der Wiesenweg durchs' Tal,

den Bach entlang:

enthufcht dem steilen Sonnenstrahl

und laulcht der Wellen verstecktem Sommersang;

schlingt sich dann wieder durch gelbgcbrclte

gleich einer weißen, umhegten glut,

vom Mittag übersonnt wie von heller Marienseide;

trinkt in die Adern nährende Glut,

schwillt wie von ungeduldigem Blut.

Und weiter — vorbei an den strengen, langen,

windsuchenden Telegraphenstangen,

über gleißende Lisenbahnschienen,

zwischen ruhendem Dust und Herbst elnläutenden

zum ersten Haus. Bienen —

Das bietet wie einen Willkommstrauß

ein Beet demütig dunkler Georginen.

Dann lchlendert er gepflastert und breit

in des Dorfs behütete Linsamkeit,

trägt spielende Ninder und schwatzende Frauen

und die rinnende Gosse, die nur zerknittert den blauen

Himmel spiegelt, vorbei an dem dunstenden, leeren Gut

schleicht er müd und befriedigt zum Schatten der Liche,

trinkt aus dem dumpfen Teiche

und ruht.

Lrnft Ludwig Schellenberg

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Register
Ernst Ludwig Schellenberg: Der Wiesenweg
Werner Illing: Der Landungssteg
 
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