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aufwärts steigen. Dem zarten und hinfälligen Gebilde eines Schmetterlings
etwa wurde einverleibt die Wanze, entgiftet, doch unverwüstlich. Oer
Schmetterling, nicht mehr gebunden an das kurze Leben einiger Sommer-
tage, doch ganz verblieben in der Zartheit seines dem Lichte zugedrehten
Wesens, sollte später den Sprung in den Vogel machen.

Und so fort, und so fort.

Aber während Professor Lautenschlag sich mit diesen unabsehbaren
Plänen befähle, kam hinsichtlich der Versandwanzen eine alarmierende
Nachricht.

Kolgendes war geschehen: Kamilie Bock, nach Wien übergesicdelt, hatte
eine verbürgt wanzenfreie Wohnung bezogen, war aber überzeugt, dem all-
gemeinen Unheil einer Verseuchung in dieser östlichen Riesenstadt doch nicht
auf die Dauer zu entgehen. Um nun der wahrscheinlich anrückenden Schar
der alten giftigen Art zuvorzukommen, um sämtliche Räume, Betten,
Divans, Bilderrahmen schon beseht zu haben, ehe die anderen eintrasen,
lieh Vater Bock sich von Lautenschlag dreihigtausend der garantiert Gift-
freien zusenden.

Lautenschlag überantwortete prompt dreißig Zigarrenkisten zu je tausend
Stück. Die Sendung wurde in der Sechszimmerwohnung derartig verteilt,
daß man in jedem Zimmer fünf Behälter öffnete und je fünftausend Lpem-
plare herausspazieren ließ. Kamille Bock sah mit Vergnügen, wie dieRo-
lonnen von herzigen Tierchen sich in ihre geliebten finsteren wohnwinkel-
chen allsogleich zurückzogen.

Bisher hatten nur Leute, die schon Giitwanzen besaßen, sogenannte Gift-
freie bezogen und sich mit dem Lintrefsen des Lrfolges geduldet, von
Kamilie Bock aber kam, ach, jcbon nach dreien Tagen, ein Brandbrief an
Professor Lautenschlag: Die gelieferten Wanzen seien sürchterlichste Gist-
spriherinnen der Welt, vier der Kamilicnmitglieder lägen zur Unkenntlich-
keit aufgeschwollen mit hohem Kieber, unfähig Augendeckel zu heben und
Nasenlöcher zu öffnen, im Spital. Lr, Bock, werde den betrügerischen
Lautenschlag wegen vorsätzlicher Rörperverlehung, begangen an harmlosen
Krauen und Rindern, anklagen.

Lautenschlag war vor den Ropf gestoßen. Lr konnte sich die Ratastrophe
nicht erklären. Nachte die Probe, setzte die eine und andere der Novo-
Wanzen, aus beliebigen Lcken seiner Wohnung hergeholt, zum Saugen an
die Gattin. Nach der Stillung, wie er's erwartet hatte, zeigten sich nicht die
geringsten Reaktionen aus den Linstich.

Lr versank in Grübelei. Db sein Runde Bock ihn lediglich um das Geld
für die sicher einwandfreie Ware prellen wollte? Oie Bestellung war die
größte, die bisher gemacht worden war, und der Gesamtpreis für die
dreihigtausend Stück nicht klein.

Schon ging er mit dem Gedanken um, persönlich nach Wien zu fahren,
um die dreiste Kinte Bocks, mit der sich doch nur um Bezahlung hcrum-
gedrückt weiden sollte, zu entlarven, — als ein — oh. ein eigentlich lächer-

licher verdacht ganz vage in ihm aufstieg. Verdacht, für dessen Widerlegung
weitere Proben nötig waren. Drei vollkrästige wilde Wanzen, frisch ein-
gefangen im wartesaal des Hauptbahnhofes (durchsichtig vor Hunger
und daher sehr gistgcladen), ließ er aus dem Handgelenk der Gattin
Blut abzapfen. Als die Tierchen sich so prall mit rotem Säst voll-
gepumpt hatten, als feien sie eben gepflückte Zohannisbcerchen, nahm er
sie weg und besichtigte mit der Lupe die Linstichstellen. Nicht die geringste
Gistwirkung, keine Lrhöhung, keine Rötung, kein Zuckrciz, keine Quaddeln
wollten sich zeigen.

Hierfür gab es nur eine niederschmetternde Erklärung. Nicht Wider-
legung, sondern Bestätigung des verdachtes. Seine Kamilie und auch er
selbst waren immun geworden. Ganz ofsenbar hatte die Nachkommenschaft
der des Giftes künstlich Beraubten doch wieder Gift produziert, ohne daß
er's bemerkt hatte. Dhne daß die Rörper der Seinen dies einverleibte Gift
registrieren konnten, weil sie die langsam gesteigerten Dosen spielend und
restlos zu überwinden lernten — weil langsam gesteigerte Wanzenbrut sich
an ihnen nährte, bis die Normalwanze wieder an ihnen sog, ohne daß ihr
vollausgeschüttetcs Gift den Wirt irgendwie belästigt hätte.

Nur so war dieses fatale Vorkommnis zu deuten. Aber Lautenschlag
lernte aus ihm. Lr zahlte willig die ärztlichen Honorare, die aus der Bock-
fchen Kamilie entstanden waren, — dann wechselte er die Krönt und mar-
schierte als beweglicher Gelehrter, dem das Ziel alles, der weg nichts galt,
anders herum. Vas Ziel war: Beseitigung lästiger Nebenwirkungen von an
sich dascinsbcrcchtigten Gefchöpschcn. Ronnte man sie nicht steril machen,
so machte man ihren Krcund-Kcind einfach immun. Nicht aus dem lang-
samen Wege allmählicher Steigerung der einzuvcrlcibenden Mengen, son-
dern durch überkräftige, einmalige Dosis.

Und er beschloß, Wanzen zu züchten, die eine bislang ungekannte Gist-
intensität und Gistmenge produzierten, einen Stoff, dem er — dies war
das Tragende seiner neuen Bestrebungen — die Ligcnschasten der Lymphe
verleihen wird. Offenbar — hierin hatte er sich verrechnet gehabt — gelang
es bei jedem Geschöpf Gottes leichter, böse Anlagen zu steigern als sie, nach-
haltig in den Generationen, auszumerzen zugunsten guter. Lr zweifelte
keinen Augenblick, daß ihm eine Zdealwanze dieser Art — er wollte sie nicht
mehr Novo-Wanze nennen — gelingen werde. Und im voraus, so sicher
war er seiner Sache, erließ er schon Anzeigen:

„BestesNittel gegen die europäischewanzenplage: Totalimmunisicrung.
Zn vierundzwanzig Stunden, bezugeweije einer nächtlichen Transfusion
sicher erreichbar durch Prosessor Lautenschlags hächstgesteigertes wanzcn-
antitopin. wird vom Giftträger persönlich cingespriht, wodurch jeder
Lnergieverlust ausgeschlossen. Ldelzucht; Lpcmplar in bester Ausführung
hundert Mark. Tier geht in das Ligentum des tymphekäufers über. Lrsolg
verbürgt. Reine Lerussstörung. — Altrenommiertes chemobiologisches
physikalinstitut von prosessor Laban Lautenschlag."

O a

Rasiert, hellbraun montiert, betreßt und goldbeknöpst
— sonst nichts — steht der Portier auf feiner Steile.
Vu ahnst, woraus er seine Größe schöpft:
er hütet stumm der ganzen Schöpfung Schwelle.

Sibirien! China! Sachsen und Peru!

Meer! Atelier! Kabrik und Tropenwelt!

Lr weiß: was sie nur liefern, findest du
hier alles, alles, alles ausgestellt!

Hier düsten Seifen, blitzen Necessaire,

Prachtbände funkeln golden und verblassen,
Rorbmöbei stell'n sich drohend in die Puere
und kränken dich, bevor sie dich entlassen.

s warenha

Rnallrot der Nund und zauberklein der Kuß,
wächserne Damen tanzen, gehn und sächein
und präsentieren Rleider und Dessous
starr mit gespenstisch-eingefrornem Lächeln.

Vu stehst geknickt vor ausgestopsten Assen,
Leihbüchereien, Vamengarderoben,

Sporthemden, Kleischkonserven. Rlnderwasfen,
Teeräumen, erste Treppe links nach oben ...

Blitzblanke Syphons harren Hellen Bieres,
Sparherde.. Du erschrickst: Musik und Rrach!

(Lin Kräulein weist die Güte des Rlavieres
an Hand der „Kledermaus" dem Volke nach.)

u 6

Die Menge drängt sich surrend in die weite,
zwölf Grammophone haben dich zum besten,
du gehst, halb aus versehn. nur einen Schritt zur Seile
und stürzest jäh ins Reich der Sommerwesten.

Vu merkst: das Chaos aller Lpistenten,
hier ist's zum Rosmos weisheitsvoll gebändigt,
und jeder Teil der Welt wird dem solventen
Mitbürger gegen Rasse ausgehändigt.

Die Rechnung stimmt, hier bringt kein Gott Lrrettung,
du stehst erblaßt, bewältigt und verdöst
und siehst der Schöpfung brausende Verkettung,
die ganze weit in waren aufgelöst.

Und diesem Rosmos hebst du an zu fluchen,
indes der Strom dich flutend weiterschiebt,
und voll verzweislung sängst du an zu suchen
nach irgendetwas, das es hier „nicht gibt".

Umsonst. Und durch dein sieberwirres Kragen
versickert'» dumps: Geist... ideeller wert...

Dann wankst du fort, verwelkt, zermürbt, zerschlagen
und bist zum Glauben des Portiers bekehrt.

Werner Sergengrueir

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Werner Bergengruen: Das Warenhaus
 
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