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NUN WIRD ES NACHT

Nun wird es Nacht. Aus silbernen Trompeten
BlasenS die Engel aus nach allen Winden
Oie fernen Glocken sind wie leises Beten
Oer Abend neigt sich sanft zu den verwehten
Traurigen Herzen, bis sie Frieden sindcn

Nun wird es Nacht. Es hebt der wunderklare
Gütige Mond sich aus den Wolkenwänden
Daß er des Schlafes dunkle Flut befahre
Oie kahlen Bäume sind wie dunkle Haare.

Oie bleichen Wolken gleichen weichen Händen

Nun wird cs Nacht. Den Kranken wird cs schlimmer.
Schwer legt der Tod die Hand aufs weiße Leinen
Diele Derlasine stehn im kalten Zimmer
lind starren ungetröstet in den Schimmer
Oer hellen Nacht; und neigen sich und weinen

Nun wird es Nacht. Oie Liebenden umfangen
Sich enger, aus dem kargen Tag gerettet.

Nur manchmal schreckt sic noch ein dunkles Bangen.
Als käme leis der sanfte Gott gegangen,

Oer sie zum tödlich süßen Schlummer bettet.

- - ny-tu

S I Z 1 EI AN E

Oer Sonne letzte Strahlenblickc blitzen

klnd blinzeln keck durch Pappel und Platane.
Ein Leuchten liegt um Berg- und Kirchturmspitzen
Ganz leise knarrt die alte Wetterfahne,

Um die die leichten Winde lustig flitzen

DerhaltneS Lachen tänzelt vom Altane.
Vergnügte Spatzen, die im Rinnstein sitzen.
Zwitschern das Ende dieser Siziliane

Otto Heinz Palm

AHENHHUSIK

Am Flügel ich im Dunklen. Träumerisch
Wogt meines Lebens dunkle Melodie.

Drei rote Rosen stehen auf dem Tisch.

Dort lauschest du den schweren Weisen, die

Nach reinem Oreiklang sich durch Gluten mühn.
Ich flnde deinen Blick. Und sieghast gehn
Oie Tone aus in des Akkordes Glühn,

Oer spricht; Ich will nie wieder von dir gehn. . . .
Hanno Änderte

AUE HE« BRÜCKE

Auf der großen Brücke aus Granit,

Stehst du, an die Brüstung hingedrängt,

Und dein stromgcbanntes Auge sieht,

Wie sich schaumgekröntes Wasser durch die Pfeilerkore

fzwängl

Wie das lockt und magisch dich hinunlerziehl,

Laute Lebensstadt versinkt um dich,

Ou vernimmst nur noch das Strömelied:

„Alles fließt, ergießt sich, ohne Maß und ewiglich —

Jähe Sehnsucht hält dein Herzblut aus,

Seele spannt Verlangen; grenzenlos
Sich zu lösen, wie ein Wasserlaus,

Strömen, strömen, hinzufließcn bloß!-—

Möwe, die sich wohl verflog vom Meer,

Weckte dich mit ihrem wehen Schrei. —

Laute Stadt wächst wieder um dich her,

Brücke dröhnt, Lastwagen stöhnt vorbei

Türme drohen aus dem Häusermeer,

Menschenlärm erstickt das Strömelied, —

Und -ein Herze schlägt auf einmal schwer
Gegen kühle Brüstung aus Granit. —

Martha von Sperling.M an stein

Eugen Roth

>» E K

BESUCH

Novelle von Hermann Skehr

Wenn jemand die Spule sehen könnte, über die der Faden der Tage

und Jahre deg Menschenlebens abgesponnen wird!

Dieses Grübeln der aussichtslosen Sehnsucht beherrschte die letzten zehn,
fünfzehn Jahre iin Dasein der Freifrau Maria von Borowski. Und immer,
wenn sie diese Worte eines rätselhaften Verlangens sann oder leise, ohne
die Lippen zu bewegen, vor sich hinsagte, fühlte sie sich dem Geheimnis so
nahe, wie ekiva jemand durch eine dünne Holzwand hindurch den Herz-
schlag eines Unbekannten hört, zu dem er nicht hinkommen kann.

Von einem Waldspaziergange an einem frühen Lenztage zurückkehrend,
überraschte sie als junge, glückliche Gattin des damaligen Oberstleutnants
Fritz von Borowski in dem Walöhäuschen ihren Mann in den Armen
der Gouvernante. Das traf sie wie ein tödlicher Degenhieb. Etwas in ihr
starb mit dem dünnen Schrei, mit dem ein Singvogel tot aus der Luft
fällt. Ohne einen Laut trat sie von dem Fenster zurück, durch das sie die
llntreue ihres Manneg gesehen hatte und kehrte in das Schloß zurück. Sie
sah die glänzenden Frühlingswolken am blauen Himmel zerreißen, als ob
sie auseinandergesprengt würden. Es knackte, als ob in der ganzen Welt
n,—,„rr„.orf,en würden. Sie schrie nick' klaate ihi—

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sie auscinandergesprengk würden. ES tnacrre, uu> ... ... ^
die jungen Zweige zerbrochen würden. Sie schrie nicht auf, klagte ihren
Mann nicht an, sondern ging nach Hause, ließ ihre Koffer packen, trat an
das Belt ihres einzigen SöhnchenS, küßte das schlafende Kind ein-, zwei-
cnal leise, schüchtern auf den Mund und fuhr in derselben Nacht ohne Ab-
schied davon.

Auf der Fahrt nach dem Süden sing dag Grübeln über den Sinn des
Lebens an. Zertreten, beschmutzt, entwürdigt war nicht nur ihre sieben-
jährige Ehe, sondern auch alle Träume der Kindheit, alle jungfräulichen
Süchte und Verzückungen, die zu ihr geführt hatten. „Nie mehr nach
Deutschland zurück! Nie mehr." Das war der einzige Gedanke auf der
Flucht im O-Zuge. Und als im Gotlhardtunnel das Donnern der Tiefe
begann und die Wagen bebten, als schlüge man mit eisernen Stangen
gegen die Wände und Decken, schloß sie die Augen und betete inbrünstig,
die Felsen möchten über dem Zuge zusammenbrechen und sie zermalmen

und begraben.

Aber zwei Tage später fuhr sie auf einem kleinen italienischen Dampfer
von Locarno nach Pallanza, den Lago maggiore hinab. Der Zollbeamte
trat an sie heran und revidierte ihr Gepäck. Mit der ausgesuchteste» Artig-
keit, unter vielen Entschuldigungen, nur obenhin, entledigte er sich dieses
Geschäftes und streifte dann und wann huldigend die vornehme, schöne
Dame Mct dem blassen, ratlosen Gesicht und den bebenden Händen. So

viel dezente Teilnahnie, so viel begeisterte Hingabe sprach aus dem Feuer
keiner mosten schwarzen Augen, daß sie die Beherrschung ihres Sch.nerzes
verlor und ihn fragte, ob er die Spule kenne auf der die Tage und Jahre
des Menschenlebens abgesponnen werden. Die Umstehenden starrten auf
sie wie auf eine Irr-sinnige, der junge Italiener machte ein erschrecktes Ge-
fickt und verbeugte sich verlegen. Sie sank mit geschlossenen Augen aus
bren Sitz und sah dann unverwandt mit starren, trockenen Blicken über
den alatten See. Aber nichts an ihr zitterte mehr als ihre Oberlippe. Gegen
Abend fuhr das Schiff an den fast in den Fluten versunkecien Trümmern
des maurischen Kastells vorüber. Der Anblick dieser, dem langsamen, aber
sicheren Verfall geweihten Ruine beruhigte sie.

Marie von Borowski blieb ihrem Vorsatz treu. Alle Briefe ihres Man-
nes schickte sie uneröffnct zurück, verlangte nie nach ihrem Sohne und ver-
hielt sich auch ablehnend gegen alle VerföhnungSversuche ihres Vaters.
Endlich hörte dieser auf, seine unglückliche, verschüttete Tochter von ihrer
fast unmenschlichen Hartnäckigkeit abbringen zu wollen und beschränkte sich
darauf sie mit Geldmitteln reichlich zu versehen, weil sie eS leidenschaftlich
ablehnte, auch nur einen Pfennig von ihrem Manne anzunehmen, von
v„n fick dock nicht scheiden wollte, sondern ihn wissen ließ, daß ei

ablehnte, auch nur einen Pfennig von ihren, Granne anzuneymen von
dem sie sich doch nicht scheiden wollte, sondern ihn wissen ließ, daß einmal
sicher die Wiedervereinigung stattsinden würde, wenn alles Eis „m iK,-

Heiz abgetaut sei. ^

So, begraben und lebendig, tot und atmend, wohnte sie an den Ufern
des Langen Sees, immer im Anblick der Jsola bella, die sie aber nie be
trat, im Winter in Pallanza, in der heißen Jahreszeit auf den, gegenüber
liegendeu kühlen Ufer in Stresa unter ihrem Mädchennamen als Baronin
von Trüppelt. Ihr Vater starb, sie eilte nicht an fein Grab. Die Mukt-r
folgte ihrem dahingeschiedenen Gatten, sie verharrte in dem fteiwilliaen
Exil. Ihr Mann wurde kommandierender General. Ihr Sohn Da ob
trat in die Kadettenanstalt, wurde Leutnant bei den Dragonern. Alles" ^
spurlos an ihr volüber. 9m9

Sie sah die Blumen blühen, die Schmetterlinge bunt gaukeln die M
schen lachen und traurig sein, den See glänzen und sich verdunkeln
fpiegeltcn sich im See, Dörfer lagen verträumt in den Tälern S, ^
blitzten auf und erblichen, Jahreszeiten kamen und gingen Sie ve,'.
fühlend, bewußtlos in den Wirbel des Daseins, und ihr Her- fvLf

d-elem ratlosen Staunen, ,n diesem abgründigen Versinken lebte sie.

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Register
Eugen Roth: Nun wird es Nacht
Martha v. Sperling-Manstein: Auf der Brücke
Hanns Anderle: Abendmusik
Otto Heinz Palm: Siziliane
Hermann Stehr: Der Besuch
 
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