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FREUND

MEIN

Und wenn ich einsam um die gelber schreite,

Darm geht vom Krühlicht bis zum Abendrot

Lin schwarzvermummter Mann an meiner Seite,
Das ist der Tod.

Gst hör ich ihn an meine Türe pochen.

Dort bleibt er stehn und steht mich ruhig an.

Doch hat er nie zu mir ein Wort gesprochen.

Der stille Mann.

Und einmal, mitternachts, aus meinem Lager,

Als ich die Lampe schon herabgeschraubt.

Da sühlt' ich seine Hände kalt und hager
Aus meinem Haupt.

Ich sagte ihm: ich will dir alles geben,

was meinem Herzen wohl und wehe tut.

Die Glut der Liebe und die Glut der Reben
Und Gold und Blut.

Nimm alles, alles hin! Nimm auch und knicke
Die stillste Hoffnung — aber gib dafür

Die Sehnsucht nach dem letzten Augenblicke,

Die gib du mir —!

vom Antlitz meines Gastes fällt die Hülle.

Sein Auge leuchtet und er lächelt sein

Und spricht ganz sanft: es wird der Gang zur Stille
So schwer nicht sein.

Lin kühler Trank nur vor der großen Reise —

Und namenlose Wonne spürest du ...

Dann drückt dein stummer weggesell dir leise
Die Augen zu.

REQUIEM IM HERBST

verblichne du, in meine lichten Tage

hebt sich dein Haupt aus ew'ger Nacht empor.

Du Rind, du Jubel, wundersüße Klage!

Bist du der Abendwind im trocknen Rohr?

wehst du dahin an blassen Herbstfeldbreiten!

Bist du es, die im sterbenden Geäst
aufbrennt, dieweil auf deiner Seele Saiten
mein Heimweh geigt und dich nicht schlafen läßt?

Ls ist nur manchmal, daß in irrem Suchen
mein Herzblut sich umwölkt in Haß und Hohn,

Dann lügt mein Mund — hungernde Lippen fluchen —
doch meine Seele hebt dich auf den Thron.

Willibald Gmankowski

Walter von Samjon-Simmelftjerna

D A S LETZTE ERLEBNIS

Line Lpifode von Tatherlna Godwln

vielleicht ist es eine Indiskretion, zu schildern, wie die letzten Tage meines
Lebens sich erfüllten — vielleicht erscheint es unmännlich für einen Mann,
das sentimentale Bekenntnis seiner letzten Gefühle aufzuzeichnen, doch war
alles so absonderlich, was mir geschah, daß ich es dennoch niederschreiben
will. Ich weiß nicht, ob dieses Blatt Papier, das mein Bekenntnis trägt,
einst jemand liest und wer es sei.-Doch ich will beginnen:

Um wahrhaft zu beginnen, müßte ich bei meiner Kindheit elnsehen, oder
ich müßte mein Lrlebnis in das soziale Erleben dieser Zeit einreihen oder
es mit dem Namen des modernen Luropa umschreiben. So beginne ich
lieber gleich beim Lnde. Venn ich hatte beschlossen, ein Lnde zu machen, ein
würdiges Lnde aller Unwürdigkeit. Der Kompromiß mit dieser Gegenwart
wollte mir nicht mehr gelingen. Ich gestehe, ich habe immer eine leise, nei-
dische Bewunderung vor jenen Menschen gefühlt, die die scheinbar Gefühl-
losen sind, die ihr Schicksal meistern und über alle Nöte der Zeit als Herr-
scher triumphieren.

Ich sehe Menschen, die angenehm gesättigt scheinen, die gut gekleidet,
ohne übertriebene Hast ihre Autos besteigen und die sympathische Erinne-
rung an eine echte Vornehmheit erwecken Man verstehe mich nicht falsch:
Ich liebe den Komfort wie eine anständige Gesinnung. Ich liebe den Lupus
wie eine erhöhte Moral. Alle Grenzen und Schranken, die sich hienieden als
wechselnde Gesetze erkennen, scheinen mir nur dazu da, das erhöhte Indivi-
duum in seiner persönlichen Kreiheit zu schützen. Dies find Randbemerkungen
im Hinblick auf mein letztes Lrlebnls. So nahe vor dem Lnde hat man wohl
das Recht, die Kragen des Lebens auf ihren tiessten Sinn zu prüfen. —
wir aber sind Abgewanderte vom Sinn und nur noch nach Zweck orientiert.

vielleicht sterbe ich an dieser Tatsache, und ich frage mich staunend: wa-
rum sterben so wenige Andere daran! Ist es nicht eln bedenkliches Zeichen
für unsere Zeit, daß alle jene Menschen, die gegen diese Zelt Stellung nehmen
müßten, den Kompromiß mit ihr schließen!

Doch ich will meinen Vorsatz nicht beschönigen. Ich entschloß, mit einer
Lcbensbejahung zu scheiden: ich wollte die gesicherte Lpistenz einmal an mir
selbst empfinden, ich wollte mein Leben auf wenige Wochen konzentrieren
und in dieser kurzen Spanne Zeit den Reichen, den Genießer, den Lebens-
bezwinger mimen.

Zu diesem Zwecke prüfte ich mein bescheidenes vermögen, setzte es in bare
Summe um, verkauste die wenigen wertvollen Dinge, die ich besaß und ließ
mich vom ersten Schneider ausstassieren. Ich bezog das erste Hotel der
Stadt und spielte vor mir selbst den Kremden.

Ich begann bei der Pose. Ich lehnte in Klubsesseln, ich, der Gestrandete,
markierte den Gelandeten.

Ich joh viele Menschen an mir vorüberziehen: echte Reiche, Poseure des
Reichtums und solche, die mit ihrem Reichtum noch nicht identisch waren.
Ich hatte Zeit — fünf lange Wochen der Erfüllung! Ich lebte, als gehöre mir
diese verschwenderische Gegenwart, während ich keine Zukunst mehr besaß.

Mein Zustand barg eine große Spannung und einen ungeheuren Reiz.

plötzlich war das Leben neu, es öffnete bereitwillig seine Pforten, selbst der
Portier (der sich als der eigentliche Herrscher im Heute gebärdet), verneigte
sich vor mir in diensteifriger Hochachtung.

Allmählich beschlich mich der verdacht, daß ich vielleicht dennoch zur Lr-
füllung geboren sei und mit der nötigen Lnergle und Rücksichtslosigkeit,
heute wirklich der Mensch sein könnte, den ich nur mimte.

jedoch ich trug mein Todesurteil in der Tasche. Noch wenige Tage, und
dies alles war aus: die Sonne, die hastenden Menschen, die brausenden
Straßen, der lärmende Strom der Zeit, den lch so oft verflucht hatte, und
den ich heute bereits als ein Rückbllckender liebte.

Kann fein, daß Andere, wenn sie den Tod nahen fühlen, sich noch mlt
jedem Genuß anhäufen wollen wie mit einer üppigen Henkersmahlzeit. Ich
selbst sehe in dem krankhaften Willen zum Genuß, den unsere Lpoche so
deutlich verrät, einen Ausdruck des Verfalls; es scheint wie ein Verzweif-
lungszustand, bei dem jeder bereit ist, den möglichst größten Prosit für sich
aus dem Kadaver der Zeit noch herauszuschlagen.

Aber lch weiche vom Thema ab:

Kaum, daß ich das Hotel betrat und mit ihm den neuen Boden meiner
neuen Lpistenz, fühlte ich, daß das Leben, dem ich früher vergebens nach-
rannte, mich nun umwarb. Mochte es! Heute war ich der Ablehnende. Ich
wollte nichts mehr vom Leben.

Dies Wissen gab mir eine große Sicherheit und eine Souveränität über
all die anderen Menschen, die alle noch etwas vom Schicksal forderten; ich
ruhte in meinem Sessel, als wäre ich der Mittelpunkt des hastigen Weltge-
triebes, der einzige Zuschauer unter einer Horde applaussüchtiger Akteure,
die alle gewillt schienen, des Daseins Hauptrolle ehrgeizig und eitel an sich
zu reißen.

Ich weiß, daß ich jetzt, da ich niemand beachtete, lebhaft beachtet wurde.

vielleicht ist Zeder, der einen vollendeten Typus darstellt, beachtenswert.
Und ich stellte den vollendeten Bekenner der Kaffade dar, den Mann, der
von dem Lindruck lebt, den er auf die Anderen macht.

Unter der Stärke dieses Lindrucks wuchs die müde Überlegenheit meines
Ausdrucks. Daß ich diesen Typus so meisterlich spielen konnte, lag darin
begründet, daß mich seine ganze Leere bewußt erfüllte und ich ihn zu einem
Symbol unserer Zeit erhob. Da sollte mir die Dame mit dem gelben Hand-
schuh begegnen. Das mag kinohaft klingen. Zedes große Lrlebnis jedoch
birgt einen kinohasten Moment; grade das Kino versucht ja, wenn auch
zumeist auf profane Art, das Alltagserlebcn aus seiner Prosanität auf-
zurütteln.

Aber ich schweife wiederum ab!

Ls waren viele Krauen in diesen Wochen an mir vorübergegangen ; sie
hatten mich teils auffällig durch die Lorgnette geprüft, teils unauffällig mit
ihren Blicken gestreift. Die Dame aber mit dem gelben Handschuh sah mich
weder dreist noch heimlich an; sie blickte auf mich zögernd, fragend, stau-
nend: sie hatte ein Schicksalhaftes.

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Register
Willibald Omansen (Omankowski): Requiem im Herbst
Walter v. Samson-Himmelstjerna: Mein Freund
Katharina (Catherina) Godwin: Das letzte Erlebnis
 
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