Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE SCHERBEN

KUNSTKRITIK

(Dnfel Pepi sammelte schon von fugend auf mit
flammender Leidenschaft Trambahnbiilets, Gemsbärte
und japanisches Porzellan Und se t fahren suchte er mit
hervorstehenden Augäpfeln nach einer Teetasse, auf der
eineschie endeGeishaabgemaltwar. Lr fand sie nirgends.
Sie jolste ihm die verilärende Sonne und das milde
Licht seines Lebensabends
werden. Um ihretwillen
knüpfte er Verhältnisse mit
allen porzellanverkäuferin-
nen vieler Warenhäuser an,
verlobte sich mit einem japa-
nischen Rindersräulein und
versprach dem Büsfettsräu-
lein des Mongolischen Tee-
Salons die Lhe. Aber die ge-
wünschte Tasse fand er nicht.

Zn einer trüben Stunde
erzählte er seine Sehn'ucht
seinem Lrb-Rcsfen Auberlen,
der eben das philosophische
Lebenswerk des nachkanti-
schen Gelehrten Schleiden
unter dem Sammelbegriff
„Schlcidol" zu vereinigen
suchte. Und da er ihm zu sei-
ner Ooktorarbeit den Vor-
schuß zum Ankauf vonzwan-
zig Lagen wasserliniertes
Papier gab, versprach dieser
sich aus die Suche nach einer
Tasse mit der schielenden
Geisha zu begeben.

Rach langem Hin und Her
entdeckte derStudent die ge-
wünschte Rarität auf der
Münchner Auer Dult. Aber
was er davor sich liegen sah,
waren eigentlich nursiebzehn
einzelne Scherben. Doch dem
RefsenstiegausdiesemJrüm-
merhausen ein glück icherGe-
danke hervor. Lr kaufte die
Scherben für ein Trinkgeld,
gab den Auftrag — die Tasse
vornehm einzupacken und sie
per Post dem Dnkel Pep! zu-
zuschicken. Dafür bezah le er
eptra noch zwanzig Mark. Am
andern Morgen stürmte der
Student des Dnkcls Bude
mit demZubelruj: „Die Tasse
ist gefunden! Roch eine kleine
Weiieundsiewirdohnejeden
Fehler vor Dir stehen...!"

Dnkel Pepi weinte in seiner
seelichen Auslösung 8reu-
dentränen und da die Paket-
post läutete, lies er ihr m der
Unterhose entgegen. Der dick-
ohrige Student nahm vor-
auseilend die Tasse in Lm-
psang und schickte sich an, im
feierlichsten Schwung die Rarität dem Dnkel zu überrei-
chen. Aber — und jel tkamdasRassiniertedcsRefsenzum
Ausdruck — ehe d s Geschenk in die empsangsbereiten
Hände glitt, ließ der durchgaunerte Reffe mit markierter
Ungeschicklichkeit das Paket tlirren' aus den Boden fallen.

„sfehtwird siewohl in Scherben gegangensein?" fragte
er in ungewisser Traurigkeit den fassungslosen Dnkel, der
sich aber doch noch zu einem innigen Dank aufrafste, wo-
bei er betonte, dcß ihm der gute Wille des Reffen ein

LrsahfeifürdieebenverunglückteTasse.Und siebegannen
vorsichtig das Geschenk auszupacken.

Aber... verfluchter Mißverstand! Oer Händler hatte
die Aufforderung des Studenten, die Taffe gut zu ver-
packen, mlsch verstanden und jedes Scherbenstück ein; ein

in Seidenpapier verpackt und laufend numeriert_

bis siebzehn. Mit quittierter Rechnung über eine zer-
brochene Tasse „Schielende Geisha". g. 5.

SCHEINWERFER

„Der kürzeste weg zu sich selbst führt über Andere!"

„Mittelmäßigkeit ist der solide Rahmen um das Meister-
werk."

„Die Heimat kann im Dufte einer Blume liegen."

Lnne,Marie Reumann

Runst-Ausstellung. Line w'llige Landschaft, mit wei-
tem Horizont, im Mittelpunkt ein kleiner Tümpel, der
altersgraue, verkrüppelte weiden widerspiegelt. Vögel
in den Zweigen, die Röpschen ins Gefieder versteckt, im
vordersten Weidenbaum aber sitzt pan — die glöte noch
in müder Hand und schläft. Über dem ganzen eine Stim-
mung von nebelübei hauch-
te! Dämmerung, von Mor-
gennähe — Morgeneinsam-
keit. Reich des großen pan!
Durch den Besucherschwarm
schiebt sich ein lodenbekleide-
detes paar heran; ländlich,
behäbig und sicher mit mehr
Verständnis für handgreif-
liche G tobeifestgenüffe, als
für Runst begabt.

DiebeidenwiffmdasBild
nicht zu deuten. Sie schütteln
den Rops und suchen im Ra-
talog nach Auskunft.

„Ro. 1181, ,Der Morgen
graut'."Lrneu esRopf chüt-
teln. diesmal mit entschiede-
ner Mißbill gung:

„verrückt jan's die Ma-
lersleut!"

p.öh ich aber kommt ihm
eine höchst vergnügliche
Lrleuchtung. „8annerl, i
Hab 's," ru t er laut lachend,
und deutet mit seinem Wurst-
finger aus den schlummern-
den Gott — „siegst, bei dem
schlechten Wetter ollaweil
muaß sogar der Spari-
fankerl auf die Baam
übernachten!" x.m.

*

VOM TAGE

Die französischen Militär-
polize gerichie im Rheinland
erhielten einen hohen Besehl
der Besahungsbehörde, wo-
nach die Rcbenstrafe der Ver-
öffentlichung des Urteils im
Inseratenteil deutscher Zei-
tungen aus Rechnung des
Angeklagten künftig mit
Rücksicht auf die hohen
Rosten nicht mehr ausge-
sprochen werden darf. Lin-
geweihte Rreise s hen darin
den ersten Stritt zur prak-
tischen Verwirklichung des
Bar hou'fchen Sanieiungs-
planes, wonach dem deut-
schen Volk „unangebrachte
Ausgaben"verbotenwerden
können. Bei der Häufigkeit
der Verurteilungen zu denen
die französischen Militärpolizeigerichte andauernd ge-
zwungen sind, wird so viel deutsches privatvermögen
ge pari, daß damit leicht eine neue zoo^/oige Gehaltser-
höhung für üieBesahungstruppen bestritten werden kann!
Leioerw>rd8rankreichauch ierw.edecmitdemdeutschen
bösen Worten r chnen müssen, nachdem die Verbrecher
schon bisher einen boshaften Spaß daran gesunden haben,
die Urteile der französischen Miluäipo izeigerlchte der
vater.ändischen Äsfenilichkeit zu überlie ernl ®eija

Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehmen

908 b

1 92 2 /JUGEND Nr. 23
Register
Gelja: Vom Tage
E. H.: Die Scherben
Anne-Marie Neumann: Scheinwerfer
 
Annotationen