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Knoll gründet einen Bund

V o n E u g c n Kalkschmidt

Für diejenigen, die Peter Knoll nicht kennen, mag vorausgeschickt
werden, daß dieser Charakter all den interessanten Zeiterscheinungcn
durchaus fremd und abwehrend gegenübersteht, die sich dem Begriff
„Gründung" einreihen lassen. Nie und nirgends hatte Knoll irgend-
etwas gegründet, mitgegründet oder mit Rücksicht auf verlockende ge-
schäftliche Aussichten unternommen. Insofern war er ein unmoderner,
ein unzeitgemäßer Mitmensch, ein Kind aus dem guten alten Deutsch-
land, das alle Eigenschaften besaß, den Himmel zu erwerben, aber keine
einzige, sich auf dieser Erde zu behaupten — wie unser großer Dichter
unwillig sagt.

So muß es Wunder nehmen, daß Knoll keine Bedenken getragen
hatte, eines schönen aber heißen Iulitages mit beherztem Schritt in den
Ehestand zu treten und damit doch quasi eine Gründung zu vollziehen:
eine Gesellschaft auf Gegenseitigkeit, deren Aussichten auch der beste
Wetterprophet und Konjunkturist nicht Voraussagen konnte,- es sei denn,
daß er das Horoskop zu Hilfe genommen und die Sterne befragt hätte.
Aber soweit war die Wissenschaft zu Knolls damaligen Zeiten noch nicht.

In der Tat war Knoll über die Kühnheit seines Unternehmens stets
verwundert, wenn er darüber nachdachte. Er dachte oft darüber nach,
wie er, Peter Knoll, eigentlich zu seiner Frau gekommen sei? Ein leichter
Zug verhaltenen Staunens über diese unabänderliche Tatsache prägte
sich seiner Miene auf und verlieh seinem Benehmen als Ehemann eine
fast jugendlich zu nennende Anmut und Ritterlichkeit. Es war, wie wenn
er zu Christine zwischen den nüchternen und sachlichen Bemerkungen
des Tageslaufes hindurch hätte sagen wollen: entschuldige, daß ich dein
Mann bin — entschuldige vielmals!

Indessen bedurfte es dieser Entschuldigung weder vor Gott noch den
Menschen. Denn weder hätte sich Christine einen besseren Mann wünschen
können als den guten Peter Knoll, noch wäre diesem eine andere Frau
angemessener gewesen. Christine stand fest und mit einer unverkennbaren
Behaglichkeit auf dieser Erde. Die braunen Augen.in dem klaren Antlitz
sahen den Dingen und den Menschen offen und freimütig ins Gesicht.
Sie war, was man so eine resolute kleine Person nennt. Solche Frauen
werden nicht geheiratet, nicht vom Baum geschüttelt wie reife Birnen —
o nein: sie sind es, die sich ihre Männer aus der Masse herausholen.
Christine hatte sich ihren Peter Knoll vom Baume geschüttelt, als er
reif dazu war. Deßhalb war Peters nachhaltiges Erstaunen nicht ohne
Berechtigung. Einer Entschuldigung bedurfte er allerdings nicht, denn
er koiurte wirklich nichts dafür.

Letzten Endes lag aber in seiner Verwunderung ein bescheidener Rest
von Widerspruch gegen das Schicksal, das sich seiner bemächtigt halte.
Seine Unabhängigkeit war dahin, und er sah sich je länger desto mehr
in einen Kreis von Pflichten und profanen Angelegenheiten verflochten,
die er früher, als einschichtiger Mensch, kaum gekannt und wenig be-
achtet, wohl gar verachtet hatte.

„Peter,komm doch mal schnell und spanne dicWäscheleine! — Möchtest
du nicht nach den Ofen sehen? — Würdest du uns wohl etwas Holz
spalten? — Nicht wahr, du bringst Hefe mit? Und sieh doch zu, daß du
Zucker kriegst!"

Mit solcherlei Bitten verstand es Frau Christiite ausgezeichnet, die
praktischen Möglichkeiten Peters für die Familie zu nützen. Er entzog sich
diesen häuslichen Aufrufen nicht. Er sah vollkommen ein, daß er ihnen
folgen müsse, nicht nur um ehelichen Verstimmungen vorzubeugen, sondern
auch, weil es Menschenpflicht war, einander in Nöten und Gefahren
beizustehen Aber er konnte doch nicht hindern, daß eine innere Stimme
in ihm vernehmlich fragte: warst du früher nicht ein freierer Mensch,
Peter? Ein einsamer Mensch? Wo ist deine stolze Einsamkeit hin?

Ja, die Einsamkeit — kann es etwas Erhabeneres geben als sie? Sind
nicht alle großen Geister einsam gewesen? Ist sie es nicht, die dem Ge-
danken starke Schwingen verleiht, Entschlüsse reift und Taten zur Welt
bringt? Ist nicht die Einsamkeit die wahre unsterbliche Geliebte des
Mannes? Jenes Manites, der nicht gewillt ist, im flachen Getriebe der
Welt zu versinken? Peter Knoll gesellte sich im Geist gern zu solchen Män-
nern. Bescheiden und fest stellte er sich mit ihnen in Reih und Glied.

Er tat das, ohne viel Worte zu verlieren. Es tat ihm wohl, wie ein
unerkannter König und Ritter eines geheimnisvollen Ordens dazustehen.
Eines Tages würde die Welt schon dahinter kommen, was für ein Kerl
er eigentlich war. Auch Christine. Sie liebte ihn ja auf ihre Art, in den
Grenzen der bürgerlichen Begriffe von Liebe und Ehe.. Von dem Kos-
mos, der in seinem Innern brandete, hatte sie keine Ahnung. Obgleich
er ihr in der Verlobungszeit mehr als einmal gewekssagt hatte:

„Der Mensch, Christine, ist ewig einsam. Die letzten Gedanken und
Gefühle lassen sich nicht aussprechen. Auch wir, Christine, sind einsame
Menschen." — „Ach Peter," hatte Christine gesagt, „wenn man zu zweien
ist, trägt sich die Einsamkeit leichter. Meinst du nicht auch?" Und zur
Bekräftigung gab sie ihm einen Kuß und lachte. Da hatte er nicht wider-
sprechen können, obwohl er fühlte, daß sie nicht bis zu der hehren Ein-
samkeit durchgedrungen war, deren er selber sich teilhast wußte.

Sie stand doch eben nur im Vorhof des Tempels, und da war sie
bis heute stehen geblieben. So konnte sie seinen gradezu unauslöschlichen
Durst nach einsamer Scelengröße nicht einmal ahnen und zerstörte un-
bedacht und munter oft die zarten Keime seiner Sehnsucht. Darunter
litt er,- seine Einsamkeit litt.

Was war da zu tun? Peter Kiwll benutzte jede halbwegs freie Stunde,
um über diese Frage nachzugrübeln. Wenn er durch die Wälder strich,
um Beeren und Pilze zu sammeln,- wenn er, den Rucksack aufgepackt,
nach den praktischen Ratschlägen von Frau Christine auf Hamstcrfahrten
über Land zog, ja, selbst im dichtesten Marktgewühl der Großstadt be-
schäftigte ihn unablässig das Problem: wie erhalte ich mir mein Recht
auf Einsamkeit?

Eines Tages durchzuckte ihn wie ein Blitz die Erkenntnis: er mußte
Gesinnungsgenossen suchen, sich mit ihnen verbinden und für ihre ge-
meinsame Idee werben. Wenn es mehr Einsamkeit in der Welt gäbe,
wäre alles viel besser. Dazu gehörten mehr einsame Menschen, wie er,
Peter Knoll, einer war. Wo steckten sie?

Peter blickte im Geiste rund um sich herum. Er inusterte zuin ersten
Male seine Freunde und Bekannten auf ihre Begabung zur einsamen
Seelengröße. Ach, das Ergebnis war nicht erhebend. Keine drei, vier
Mitmenschen, von denen er hoffen durfte, in seinem dunklen Drange
begriffen zu werden.

Schließlich einigte er sich auf zwei: den Apotheker Pfefferkorn, der
mit Passion die weitesten Wanderungen unternahm, um seltene Pflanzen
zu sammeln,- und den Buchhalter Lämmlein, der bei jeder Gelegenheit
von seinen einsamen und gefahrvollen Gebirgsfahrten die verwegensten
Geschichten zu erzählen wußte.

Diese beiden also lud Knoll zu einer herbstlichen Sonntagsfahrt über
Land und verfehlte nicht, durchblicken zu lassen, daß es sich um mehr
als um einen gewöhnlichen Spaziergang handle.

Natürlich dachten Pfefferkorn wie Lämmlein, Knoll werde ihnen eine
neue und besonders billige Quelle für Butter und Eier erschließen,- sie
stellten sich pünktlich ein. So geriet das hochgestimmte Unternehmen
schon zu Beginn in Gefahr, am stumpfen Felsen einer leider allgemein
verbreiteten Genußsucht zu stranden.

Jedoch Peter Knoll lenkte mit ungewohnter und unerwarteter Energie
die schlappen Geister höheren Zielen zu. Rüstig ausschreitend, begann
er, die Verflachung und die Verirrungen des neueren Zeitgeistes an
bunten und beschämenden Beispielen zu kennzeichnen. Die „Masse" sei
cs, die heute den Tag regiere. Was aber sei die Masse anderes als ein
toter Stoff, dem erst das Feuer der starken Einzelseele den Odem des
wahren Lebens einblase?! Die Masse gebe immer und zu allen Zeiten
den gemeinen Instinkten nach, er hasse diese Massenmenschen. Man
müsse sie vereinzeln, sie trennen,- um sie in die Flucht zu schlageir. Der
wahre Fortschritt fange beim Einzelnen an. Das Grundübel sei die
Unfähigkeit der meisten Menschen, mit sich allein zu sein. Sie wüßten
den Segen der Einsamkeit nicht zu schätzen, weil sie ihn nicht kennen.
Hier läge eine große Aufgabe vor, eine sozusagen revolutionäre Mensch-
heitsidee, die er, Peter Knoll, auf seine Fahne geschrieben habe, lind in-
dem er stehen blieb, beschloß Peter seine erbaulichen Betrachtungen pathe-

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Eugen Kalkschmidt: Knoll gründet einen Bund
 
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