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Ja, das mußte wirken. Das war wie eine Lotterie: geheimnisvoll
und spannend. Befriedigt trug Knoll das zierlich mit grüner Tinte be-
schriebene, förmlich gemalte Dokument in die Expedition des Tagblattes.
Der ältere Herr am Schalter rauchte gleichmütig seine Stummel-
pfeife weiter, während er las, und bemerkte dann kurz und geschäfts-
mäßig : bei Wiederholungen käme es billiger. Knoll verzichtete kühl auf
die Wiederholungen,- einmalige Aufnahme genüge vollständig. Er zahlte
und ging eilig. Er kam sich irgendwie bloßgestellt vor, obgleich er nicht
hätte sagen können warum. Denn schließlich war es doch anonym.
Der Erfolg war durchschlagend.
Nicht ohne Verwunderung, mit Neugier und schließlich mit Sorge
beobachtete Christine das geheimnisvolle Treiben ihres Mannes, der
sich von nun ab jeden Tag eine geschlagene Stunde in sein Zimmer
zurückzog, hinter sich abschloß und jede Störung gereizt abwies. Was
trieb er da mit seinen Papieren? Wichtige Korrespondenzen? Mußte
er die vor seinem treuen Weibe verbergen? Dann stand es schlimm mit
ihm. Sollte er sich am Ende gar in irgend eine politische Verschwörung
eingelassen haben, in eine jener fürchterlichen Organisationen, von denen
man jetzt so viel hörte, die die Minister ermorden wollten? Großer Gott
im Himmel!
So war Peter Knoll doch früher nicht gewesen. Christine ward es
angst und bange in ihrer quälenden Ungewißheit. Und da Peter hart-
näckig schwieg, oder nur halbe Antworten gab, aber zunehmend düsterer
und versonnener herumlief, wichtige Besorgungen vergaß oder doppelt
machte, beschloß die arme Frau, das Geheimnis unter allen Umständen
zu lüften.
Das gelang ihr denn auch eines Tages, als Peter den Schlüssel seines
Schreibtisches hattestecken lassen. Sie fand ein stattliches Bündel Briefe —
Briefe unter einer wunderlichen Ziffer,- in den verschiedensten Formaten,
den fremdesten Handschriften. In mehrere Päckchen geordnet und sauber
verschnürt. Also doch eine Geheimkorrespondenz!
Christine zitterten die Knie. Sie mußte sich sehen. Unschlüssig wog
sie das erste Päckchen, zauderte, und löste endlich mit raschem Griff die
Schnur. Die Schriftzüge unverkennbar weiblich! Peter — war es
möglich?Betrog er sie? Dieser Duckmäuser! Na warte! Der aufsteigende
Zorn entflammte ihren Mut. Sie entfaltete, las:
«Werter Gesinnungsgenosse! Der edle Ton, den Sie angeschlagen,
klingt freudig in meinem Herzen wieder. Ja, auch ich liebe die Einsamkeit
über alles in der Welt. Deshalb habe ich mich von der Menschheit ab-
gewendet und dem Tierreich zugesellt. Ist das nicht eme Bestialität, daß
es Menschen gibt, Menschen sage ich, o pfui! die den lieben Katzen nach-
stellen um der Mode willen. Da lauten die Modeweiber herum, einge-
wickelt in Katzenfelle, und schämen sich nicht, sondern prunken mit dem
Mord der unschuldigen Tiere. Ich, wenn ich so eine sehe, sage ich
immer: ,Miau, miau/ Mitten ins Gesicht sage ich das. Ich nehme da
kein Blatt vor den Mund. Diese gefühllosen Kahenmörder wollen
uns das letzte rauben, das unsere Einsamkeit bevölkert. Schmach und
Schande! Auf zum Kampf gegen sie!"
Verblüfft ließ Christine das Blatt sinken,- verblüfft und beruhigt
Nein, nach ehelicher Untreue klang das eigentlich nicht. Aber weiter:
«p.p. Ein einsames Frauenherz, erprobt in Freud und Leid zur Zeit
aber verraten und verkauft durch einen treulosen Wicht, dem sie ihr Alles
und fast auch ihr ganzes Vermögen in den Schoß geworfen hätte, wünscht
schon längst Trost im Ungemach durch gleichgesinnte feine Natur, mit
Bildung und Verschwiegenheit gepaart, wo auch Sinn für Poesie im
Leben vorhanden ist. Einige Verse, beiliegend, sagen alles, was eine
geschiedene Frau so grausam fühlt. Wenn p. p. ebenfalls in Versen zu
träumen bekundet, könnte Austausch des Seelenlebens nichts im Wege
stehen. Oh Einsamkeit, du bist mein Freud — zu jeder Tag- und Jahreszeit!
Berta S ... postlagernd Neustadt a/M,"
Die drei Gedichte steckte Christine ungelesen in den Umschlag. Eine
Postkarte fiel ihr als nächstes Dokument in die Hand:
„Zwei junge Mädchen, blond, 20 und 22 Jahre, fern der großen Welt,
suchen anregenden Gedankenaustausch mit einsamen Menschen. Herren
mit festein Gehalt, ehrlichen Absichten und gutem Auskommen bevor-
zugt. Spätere Liebesheirat nicht ausgeschlossen. Etwas Vermögen vor-
handen usw."
Jetzt Hab ich's! dachte Frau Christine erlöst — er will ein Heiratsbüro
aufmachen. Ja, ist er denn ganz verdreht?
Sie griff nach dem nächsten Bündel, das um vieles gewichtiger vor
ihr lag. Steile eigensinnige Handschriften, kaum leserlich. Große Bogen,
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