Die Brücke liegt bald hinter mir.
In der Nähe des Springbrunnens sehe ich nach dem Engel auf der
Friedenssäule. Macht's der Wein, oder ist es Wüklickkeit: auf dem
ausgestreckten Arm der Figur sitzt ein menschenähnliches Geschöpf und
schwingt die Beine hin und her. „Filmaufnahme bei Magnesiumlicht"
denke ich gleichgültig, vielleicht auch die Vorbereitungen zu einem
Spreng-Attentat — und will es der nächsten Schutzmanns-Station
melden. Nicht sonderlich eilig Hab' ich's mit der Botschaft,- guter Wein
ist ein geselliges Ding und macht, daß man die Dinge im rosigsten
Lichte sieht. Ich stehe jetzt unmittelbar neben der Säule. Da läßt der
rätselhafte Mensch auf dem Engelarm sich plötzlich an dem Schaft
herunter, und es sieht nicht aufregender aus, als wenn ein praller
Wasscrtropfen an einer Fensterscheibe herunterrinnt. Das unheimliche
Weseir seht sich auf das Dach des Säulenvorbaues und läüt wieder
die Beine baumeln. Und nun sehe ich, daß es ein junges Weib ist.
Ein Weib, dessen ganze Garderobe in dein bis zum Knie reichenden
Haupthaar besteht. Das ist ein bißl wenig, selbst für süddeutsche Ver-
hältnisse, und auch die Nähe des Faschings rechtfertigt die Dürftigkeit
des Gewandes nicht. Goldig glänzt das Haar in der Nacht und stellt
den Glanz des Engels da droben weit in den Schatten.
„Wer bist du, und was machst du da?" frage ich mit der Uner-
schrockenheit des Mannes, der sich von keiner Frau ins Bockshorn
jagen läßt.
„Ich bin auf der Durchreise," tönt es lieblich-verlegen vom Dach,.
„meine Personalien sind Nebensache."
„Sie können mit der Verschleierung Ihrer Person in dieser Zeit
Scherereien bekommen uird einen Schnupfen obendrein. Warum gehen
Sie nicht ins Hotel?"
„Alles besetzt. Valutastarke, Großbanken und Film," flötet es traurig
zurück. „Und dann Hab' ich auch Nachthemd und Brennschere nicht
dabei." - „Möchtest
du nicht Zwangsmiete-
rin bei mir sein?" habe
ich den Mut zu fragen.
„Ich muß in der näch-
sten Viertelstunde wei-
ter .. außerdem ist dein
ehema's so guter Name
in der letzten Zeit ohne-
hin schon arg rampo-
niert.. ." Ich will Ein-
spruch erheben, da
kommt ein alter Herr
mit einem großen
Wolfshund die Treppe
herauf.
„Jetzt paß'mal auf,"
sagt die Fremde und hebt
den rechten Zeigefinger
in den Nachthimmel.
„Kara tumbo el mih!"
Heilige Allmacht, wie
sieht jetzt der Wolfs-
hund aus! Von der
Mitte des Leibes nach
hinten ist er plötzlich zur
Katze geworden. Und
weil von Alters her
grimm? Feindschaft iss
zwischen diesen zwei
Tie> gattungen, so beißt
der Hund sofort wütend
in den Kahenschwanz
und sich natürlich ins
eigene Fleisch, und es
hebt ein klägliches Ge-
wimmer an, aber der
Hund läßt den Schwanz
nicht IoS, und der alte Herr sagt, daß das grober Unfug ist und na-
türlich, wie immer, sei kein Schutzmann in der Nähe. Und wenn es so
weiter gehe mit der heutigen Jugend, dann gingen sie nächstens am
hellen Mittag nackt über den Marienplah und sängen dazu: „Puppchcn,
du bist mein Augenstern!"
„Sie Frauenzimmer, Sie ausgeschämtes Sie!"
„Kara tumbo el mih!"
Der Hund hat seine anständige Hundeform wieder, aber der alte
Herr schaut jetzt gespassig aus: auf der einen Körpcrhälfie sieht er wie
18 Jahre aus und auf der andern wie 70, und die jüngere Hälfte strebt
nach dem Liebespaar, das dort auf der Bank sitzt und sich den Teufel
kümmert um all' das, was hier vorgeht. Denn es ist zusammen höchstens
35 Jahre alt und hat auch keine Wohnung.
Und die alte erfahrene Hälste redet auf die junge Hälste ein: „Geh',
sei vernünftig, zuletzt sind Leiden Lohn der Liebe, ich kenne das, mein
Lieber!"
Aber die junge Hälste schlägt alle Lehren in den Wind und strebt
hin zu dem Liebespaar auf der Bank, und die alte Hälste als die kör-
perlich schwächere muß natürlich mit.
Da aber fährt der Jüngling auf: „Mißwachs, elendiger, 's Madl
ausspanna, dös gibt's fei net!" und fährt dem Zwitterding an die
Kehle.
Das Weib auf dem Dache wird von Mitleid gerührt, es hebt den
Zeigefinger und zum drittenmal ertönt die Zauberformel.
Da hat der Herr seine edle harmonische Gestalt wieder und macht
sich mit seinem Hunde eiligst davon. Aber er muß einen Schutzmann
getroffen haben. Es taucht nämlich plötzlich eine Helmspitze auf, zückt
den Stift und das Notizbuch und fragt zum Dach:
„Woher des Wegs ?" — „Aus einer Vorstadt von Palermo." — „Mit
was?" — „Mit einem Besen." — „Zweck des Aufenthalts?" — „Ein
bissel verschnaufen."
„Reiseziel?"
„Blocksberg."
„Wo liegt dasHöft?"
„ Im ehemaligen Her-
zogtum Braunschweig."
„Wie kommen Sie
da hinauf?"
„Ich Hab' mich ver-
ritten."
„Steig'n S' abi...
Sö san verhaftet!"
„Oh, Sie Ungestü-
mer, ich Hab' doch mor-
gen Nacht mit meinem
Herrn und Meister eine
Vorbesprechung für das
nächste Walpurgis-
Rendezvous und so sehr
ich München liebe nein,
ich kann mich nicht ein-
sperren lassen."
Der Schutzmann
macht Anstalt, empor-
zuklettern Da besteigt
das Mädchen aus der
Fremde den hinter ihr
liegenden Besen und
schwingt sich in kühnen
Spirallinien um die
Säule empor hinauf in
die Nacht. Herrlich, wie
ihre rote Haarfahne
weht!
„Dös Jahr fangt ja
scho wieder guat an,"
sagt die Helmspitze und
verschwindet im Dunkel.
10
In der Nähe des Springbrunnens sehe ich nach dem Engel auf der
Friedenssäule. Macht's der Wein, oder ist es Wüklickkeit: auf dem
ausgestreckten Arm der Figur sitzt ein menschenähnliches Geschöpf und
schwingt die Beine hin und her. „Filmaufnahme bei Magnesiumlicht"
denke ich gleichgültig, vielleicht auch die Vorbereitungen zu einem
Spreng-Attentat — und will es der nächsten Schutzmanns-Station
melden. Nicht sonderlich eilig Hab' ich's mit der Botschaft,- guter Wein
ist ein geselliges Ding und macht, daß man die Dinge im rosigsten
Lichte sieht. Ich stehe jetzt unmittelbar neben der Säule. Da läßt der
rätselhafte Mensch auf dem Engelarm sich plötzlich an dem Schaft
herunter, und es sieht nicht aufregender aus, als wenn ein praller
Wasscrtropfen an einer Fensterscheibe herunterrinnt. Das unheimliche
Weseir seht sich auf das Dach des Säulenvorbaues und läüt wieder
die Beine baumeln. Und nun sehe ich, daß es ein junges Weib ist.
Ein Weib, dessen ganze Garderobe in dein bis zum Knie reichenden
Haupthaar besteht. Das ist ein bißl wenig, selbst für süddeutsche Ver-
hältnisse, und auch die Nähe des Faschings rechtfertigt die Dürftigkeit
des Gewandes nicht. Goldig glänzt das Haar in der Nacht und stellt
den Glanz des Engels da droben weit in den Schatten.
„Wer bist du, und was machst du da?" frage ich mit der Uner-
schrockenheit des Mannes, der sich von keiner Frau ins Bockshorn
jagen läßt.
„Ich bin auf der Durchreise," tönt es lieblich-verlegen vom Dach,.
„meine Personalien sind Nebensache."
„Sie können mit der Verschleierung Ihrer Person in dieser Zeit
Scherereien bekommen uird einen Schnupfen obendrein. Warum gehen
Sie nicht ins Hotel?"
„Alles besetzt. Valutastarke, Großbanken und Film," flötet es traurig
zurück. „Und dann Hab' ich auch Nachthemd und Brennschere nicht
dabei." - „Möchtest
du nicht Zwangsmiete-
rin bei mir sein?" habe
ich den Mut zu fragen.
„Ich muß in der näch-
sten Viertelstunde wei-
ter .. außerdem ist dein
ehema's so guter Name
in der letzten Zeit ohne-
hin schon arg rampo-
niert.. ." Ich will Ein-
spruch erheben, da
kommt ein alter Herr
mit einem großen
Wolfshund die Treppe
herauf.
„Jetzt paß'mal auf,"
sagt die Fremde und hebt
den rechten Zeigefinger
in den Nachthimmel.
„Kara tumbo el mih!"
Heilige Allmacht, wie
sieht jetzt der Wolfs-
hund aus! Von der
Mitte des Leibes nach
hinten ist er plötzlich zur
Katze geworden. Und
weil von Alters her
grimm? Feindschaft iss
zwischen diesen zwei
Tie> gattungen, so beißt
der Hund sofort wütend
in den Kahenschwanz
und sich natürlich ins
eigene Fleisch, und es
hebt ein klägliches Ge-
wimmer an, aber der
Hund läßt den Schwanz
nicht IoS, und der alte Herr sagt, daß das grober Unfug ist und na-
türlich, wie immer, sei kein Schutzmann in der Nähe. Und wenn es so
weiter gehe mit der heutigen Jugend, dann gingen sie nächstens am
hellen Mittag nackt über den Marienplah und sängen dazu: „Puppchcn,
du bist mein Augenstern!"
„Sie Frauenzimmer, Sie ausgeschämtes Sie!"
„Kara tumbo el mih!"
Der Hund hat seine anständige Hundeform wieder, aber der alte
Herr schaut jetzt gespassig aus: auf der einen Körpcrhälfie sieht er wie
18 Jahre aus und auf der andern wie 70, und die jüngere Hälfte strebt
nach dem Liebespaar, das dort auf der Bank sitzt und sich den Teufel
kümmert um all' das, was hier vorgeht. Denn es ist zusammen höchstens
35 Jahre alt und hat auch keine Wohnung.
Und die alte erfahrene Hälste redet auf die junge Hälste ein: „Geh',
sei vernünftig, zuletzt sind Leiden Lohn der Liebe, ich kenne das, mein
Lieber!"
Aber die junge Hälste schlägt alle Lehren in den Wind und strebt
hin zu dem Liebespaar auf der Bank, und die alte Hälste als die kör-
perlich schwächere muß natürlich mit.
Da aber fährt der Jüngling auf: „Mißwachs, elendiger, 's Madl
ausspanna, dös gibt's fei net!" und fährt dem Zwitterding an die
Kehle.
Das Weib auf dem Dache wird von Mitleid gerührt, es hebt den
Zeigefinger und zum drittenmal ertönt die Zauberformel.
Da hat der Herr seine edle harmonische Gestalt wieder und macht
sich mit seinem Hunde eiligst davon. Aber er muß einen Schutzmann
getroffen haben. Es taucht nämlich plötzlich eine Helmspitze auf, zückt
den Stift und das Notizbuch und fragt zum Dach:
„Woher des Wegs ?" — „Aus einer Vorstadt von Palermo." — „Mit
was?" — „Mit einem Besen." — „Zweck des Aufenthalts?" — „Ein
bissel verschnaufen."
„Reiseziel?"
„Blocksberg."
„Wo liegt dasHöft?"
„ Im ehemaligen Her-
zogtum Braunschweig."
„Wie kommen Sie
da hinauf?"
„Ich Hab' mich ver-
ritten."
„Steig'n S' abi...
Sö san verhaftet!"
„Oh, Sie Ungestü-
mer, ich Hab' doch mor-
gen Nacht mit meinem
Herrn und Meister eine
Vorbesprechung für das
nächste Walpurgis-
Rendezvous und so sehr
ich München liebe nein,
ich kann mich nicht ein-
sperren lassen."
Der Schutzmann
macht Anstalt, empor-
zuklettern Da besteigt
das Mädchen aus der
Fremde den hinter ihr
liegenden Besen und
schwingt sich in kühnen
Spirallinien um die
Säule empor hinauf in
die Nacht. Herrlich, wie
ihre rote Haarfahne
weht!
„Dös Jahr fangt ja
scho wieder guat an,"
sagt die Helmspitze und
verschwindet im Dunkel.
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